Südumgehung Reiskirchen

Protest gegen B49-Ausbau

Reiskirchen soll für über 31 Millionen Euro eine Südumgehung der B49 erhalten. Gegen das klimaschädliche und flächenvernichtende Projekt formiert sich Widerstand. Verkehrswende-Aktivisten laden zu einem Sonntagsspaziergang and der Trasse für den 20. November 2022 ein.

Die Ortsumgehung beginnt laut Hessen Mobil westlich von Reiskirchen an der Verknüpfung der B49 mit der A5. Sie schwenkt nach Süden ab und überquert mit einem Unterführungsbauwerk die Bahnstrecke Gießen-Fulda und die Talaue der Wieseck. Danach verläuft sie zwischen Altersheim und Sonnenhof, um südöstlich von Lindenstruth wieder auf die B 49 einzuschwenken. Die Streckenlänge der neuen Ortsumgehung beträgt 4,42 Kilometer.

Naturzerstörend und Klimaschädlich

Die Umgehungstraße soll den amtlichen Verkehrsplanern zufolge die aktuelle Ortsdurchfahrten Reiskirchen und Lindenstruth vom Durchgangsverkehr, insbesondere vom Schwerverkehr, entlasten. Der Verkehr im Ort werde reduziert, die Verkehrssicherheit verbessert sowie Emissions- und Immissionsbelastungen für die Wohnbevölkerung verringert.

Die Verkehrswende-Aktivisten sehen das ganz anders. Sie haben eine lange Liste mit Kritikpunkten. Sie reicht von der Naturzerstörung über die Folgen für die Menschen in und um Reiskirchen bis zum Vorwurf an die Reiskirchener Politik, viel zu wenig für eine Reduzierung des störenden Autoverkehrs gemacht und damit das Problem mit erzeugt zu haben.

Die Kritik im Einzelnen: Fläche werde versiegelt. Unter dem Beton der Straße verschwänden wertvolle Äcker und Weiden. Die Landschaft werde zerschnitten. Zwei kleine Wälder und die Feuchtgebiete der Jossolleraue würden vom Umland abgeschnitten. Tierwanderungen würden unmöglich, erholsame Spazierwege in Reiskirchens Süden ebenso wie landwirtschaftliche Wege unterbrochen und verlärmt. Die Natur sei bedroht, weil die Trasse an Wäldern und der Jossolleraue vorbeiführt, die zum Teil sogar Naturschutzgebiet sei.

Wer Straßen sät erntet Verkehr

Die Unfallgefahren würden steigen. Umgehungsstraßen gehörten zu den unfallträchtigsten Strecken, insbesondere bei Crashs mit Toten und Verletzten. Grund seien die hohen Geschwindigkeiten in unmittelbarer Ortsnähe. Neben Wohngebieten lägen eine Grundschule, das Martinsheim und ein Pferdehof direkt oder sehr nahe an der Trasse.

„Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten!“, mahnen die Verkehrswende-Aktivisten. Der Neubau werde zusätzlichen Verkehr anziehen – insbesondere bisherige A5-Fahrten aus dem Vogelsberg. Die Entlastungswirkung sei geschönt. Studien zu Straßenneubauten würden davon ausgehen, dass Durchgangsverkehr aus den Orten wegbleibe. Das sei regelmäßig falsch, weil viele noch Zwischenstopps einlegen würden, bei Geschäfen zum Beispiel, und das gerade dann, wenn die innerörtliche Straße nicht mehr so stark befahren werde. Hinzu komme, dass alle Industriegebiete im Norden von Reiskirchen und Lindenstruth liegen. Deren PKW- und LKW-Aufkommen müsse weiter die Ortsstraßen passieren.

Verkehrsproblem ist hausgemacht

Die Verkehrswende-Aktivisten werfen den Straßenplanern Geldverschwendung vor. Statt Millionen in eine neue Straße zu investieren, wäre dieses Geld zur Elektrifizierung und Stärkung der Vogelsbergbahn sowie zur Einrichtung von Fahrradverbindungen sinnvoller eingesetzt. Der Gemeinde Reiskirchen werfen sie vor, untätig zu sein. Seit Jahrzehnten verweigerten die Verantwortlichen die längst machbaren Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, zur Stärkung des ÖPNV und zur Schaffung eines Fahrradstraßennetzes. Zudem seien alle Einkaufsmöglichkeiten aus den Dörfern und aus der Ortsmitte von Reiskirchen verschwunden. „Das Problem des Autoverkehrs ist zu großen Teilen hausgemacht. Dafür soll jetzt die Natur büßen“, klagen die Verkehrswende-Aktivisten. Der Verkehr nehme ohnehin ab, stellen sie fest. Durch den Bevölkerungsrückgang im Vogelsberg und den A5-Anschluss bei Grünberg sei die Verkehrsmenge auf der B49 auch ohne Neubau bereits gesunken. Dieser Effekt könne durch innerörtliche Verkehrsberuhigung (Tempo 30 und Rückbau) verstärkt werden, durch die Stärkung der Vogelsbergbahn mit zusätzlichen Haltepunkten in Lindenstruth, Buseck-Ost und Rödgen sowie eine Ausweisung von Fahrradstraßen zwischen und in allen Orten (mit dem Rückgrat des „R7“ Fernradweges).

Auch der Landesverband Hessen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) ruft zu dem Trassenspaziergang auf. Entgegen allen klima- und verkehrspolitischen Notwendigkeiten entstehe unmittelbar „vor unserer Haustür“ ein weiteres großes Straßenbauprojekt im Raum, das Natur großflächig zerstöre und den Primat des Autoverkehrs weiter zementiere. Nach jahrelangem Einsatz des VCD gegen das Projekt mit dem Tiefpunkt der nun abgewiesenen Klage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof würden nun erhebliche Investitionsmittel in den Straßenbau fließen, statt sie endlich konsequent in den öffentlichen und in den Radverkehr umzulenken. Gerade das Wiesecktal böte beste Voraussetzungen für die überfällige Verkehrswende: mit dem Ausbau der Vogelsbergbahn, einer leistungsstarken Busanbindung der nicht an der Bahnlinie liegenden Orte und mit dem Ausbau des Radwegs R7 zu einer auch im Alltag nutzbaren schnellen Radverbindung .

Der Sonntagsspaziergang mit Trassenbesichtigung startet am Sonntag, 20. November, um 14 Uhr bei der Feuerwehr in Reiskirchen (Nähe Bahnhof). Bis zum Ende der Trasse im Osten beim „Sonnenhof“ sind es knapp fünf Kilometer. Als Rückweg zum Ausgangspunkt kann der Radweg R 7 genutzt werden (2,3 km).

Titelbild: Der Verlauf der Südumgehung Reiskirchen. (Grafik: Hessen Mobil)

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