Pressefreiheit

Gegner der „Schere im Kopf“toni6

„Schnibbelt nicht mit der ‚Schere im Kopf‘ an Eurer Ehre herum“, mahnte der jüngst verstorbene Journalist Anton J. Seib vor 25 Jahren. Wir dokumentieren die Rede des Landbote-Mitgründers als sein Vermächtnis und unseren Auftrag.

Öffentlichkeit herstellen

Der Ortsverein Wetterau der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union (dju) hatte 1988 einen „Maulkorb für pressefeindliches Verhalten“ gestiftet, um Personen, Institutionen und Organisationen anzuprangern, die Journalisten öffentlichkeitsrelevante Informationen vorenthalten, sie bewusst falsch informieren oder versuchen, sie unter Druck zu setzen. Der „Maulkorb für pressefeindliches Verhalten 1989“ ging an die Büdinger CDU. Bei der Verleihung am 6. Februar 1990 im Alten Rathaus in Büdingen hielt der dju-Vorsitzende Anton J. Seib folgende Rede:

„Es wird viel über die Macht der Presse geredet. Sie hat Macht,
keine Frage. Es ist aber eine Legende, die Presse schwinge sich
zur Kontrolleurin der Macht auf, ohne selbst kontrolliert zu
werden.

In unserer Marktwirtschaft üben die Leser die Kontrolle aus, mit ihrer Kaufentscheidung. Wir gewerkschaftlich organisierten Journalisten mögen das für schlecht befinden, weil statt Qualitä oft nichts als die blanke Auflagenhöhe zählt. Aber um ehrlich zu sein: Eine Kontrolle durch Käufer und damit potentielle Leser ist mir lieber, als eine durch Politiker.

Womit wir beim Thema wären.

In einer Demokratie sind Politiker der öffentlichen Kontrolle unterworfen. Einen Teil dieser Aufgabe übernimmt die Presse, indem sie über das politische Geschehen berichtet. Einige Politiker wollen sich dieser demokratischen Normalität entziehen. Sie eröffnen Nebenkriegsschauplätze: Da wird dann flugs über Pflichten der Lokalpresse schwadroniert, die Unabhängigkeit der Presse uminterpretiert in eine moralische Pflicht zur Meinungslosigkeit und aus Angst vor Stimmenverlusten bei der nächsten Kommunalwahl das schon in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten absurde Instrument der Ausgewogenheit auch für privatkapitalistisch-organisierte Zeitungsverlage reklamiert Mit dieser Diskussion soll von den Rechten der Presse abgelenkt werden.

Überhaupt: Die Parteien und von ihnen entsandte Vertreter in

Parlamenten und Kommunalverwaltungen operieren zuweilen mit einer Perversion des Begriffs Pressefreiheit.

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Anton J. Seib übergibt den Maulkorb an Büdings CDU-Vorsitzenden Bernfried Wieland.

Zum einen halten sie Lokaljournalisten für verkrachte Existenzen, Schmierfinken, hergelaufene Pressefritzen, Presseheinis, Schreiberlinge (das sind alles authentische Bezeichnungen, mit denen ich schon belegt wurde).
Zum anderen sehen viele Lokalpolitiker die Institution Lokalpresse als Instrument zur Selbstdarstellung. Die aus der Pressefreiheit abgeleiteten Rechte der Journalisten dagegen sind für sie lästige Begleiterscheinungen, nicht ganz zu beseitigen. Journalisten werden da schnell zu ungeliebten Störenfrieden, die den normalen Geschäftsgang stören.
Ausgerechnet jene Spezies Mensch soll also berechtigt sein, einem gestandenen, nicht selten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten, Kommunalpolitiker auf die Finger zu schauen – Kommunalpolitiker sehen in Lokalzeitungen oft PR-Organe für ihre Partei oder die von ihnen geführte Verwaltung. Sie verdrängen dabei, daß ihnen Grundgesetz und Pressegesetze Grenzen setzen. Ist es Unkenntnis, ist es Unverschämtheit, wenn ein Bürgermeister wörtlich folgendes sagt:

„Ich erlaube mir, bestimmte Unterlagen (an Journalisten bei Parlamentssitzungen – der Verfasser) nicht herauszugeben ohne sie zu kommentieren, weil sonst die Gefahr besteht, daß in der Presse etwas falsches steht.“ Ist das nicht bereits Zensur?

Oft bleibt es bei einer offen gezeigten Abneigung gegen jene, die die für die Demokratie unerläßliche Öffentlichkeit erst herstellen. Im vergangenen Jahr haben wir das mit der Maulkorb­verleihung an den Butzbacher Bürgermeister Kall Heinz Hofmann angeschnitten .

Mitunter aber schlägt diese strukturelle Abneigung (für die weitherzige Journalisten ja noch Verständnis aufbringen können) um. Und an dieser Stelle beginnt sich die Machtstellung der Journalisten zu relativieren, beginnt hinter der Macht der Presse die reale Macht der Verlage durchzuscheinen:

Sobald nämlich einzelne Journalisten oder Redaktionen im lokalen Bereich genauer hinschauen, sich mit den Ereignissen kritisch auseinandersetzen, gerät für nicht wenige Lokalpolitiker die Welt durcheinander. Bei aller Aufgeregtheit wissen sie aber immer noch, bei wem sie sich beschweren müssen: In den seltensten Fällen bei den Redaktionen, in der Regel beim Verleger.

Druck, beteuern sie dann meist verbindlich, haben sie nicht ausüben wollen. Und natürlich habe man auch nicht die Existenz von Journalisten aufs Spiel setzen wollen. Man habe eben nur Verleger auf ihre „besondere Verantwortung“ aufmerksam machen wollen. Der Verleger müsse prüfen angesichts einer „hohe(n) Akzeptanz“ des Blattes, „ob gerade in letzter Zeit ihr Blatt dieser Verantwortung in vollem Umfang gerecht wird“ – das war ein Zitat.

Nun ist an einer Auseinandersetzung zwischen Blatt und Lesern oder Betroffenen nichts auszusetzen. Die Presse ist nicht sakrosankt. Es ist aber ein Unterschied, ob sich eine Redaktion von gleich zu gleich mit einem Bürgermeister, Fraktionsvorsitzenden oder sonst einer einflußreichen Person auseinandersetzt, oder eben jene Einflußreichen zumeist an der Redaktion vorbei die Redaktion gängeln wollen. Das erstere könnte einen fruchtbaren Diskurs in Gang bringen. Letzteres ist nichts anderes als eine verfeinerte Repression.

Man kann ihn nicht oft genug wiederholen, den Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allge­mein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film v/erden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Was da so tagtäglich in unseren Landen passiert, läuft dem Geist
dieses Grundrechts zuwider.

– Wir Lokaljournalisten und Lokaljournalistinnen könnten schier endlos berichten, wie man uns das Recht beschneiden will, uns frei zu äußern und aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

– Wir könnten berichten davon, wie man mit unserer Freiheit mitunter umgeht.

Und daß eine Zensur nicht stattfindet, ist eine fromme Lüge.

Der „Fall“, der uns hier zusammenführt: Eine Partei stellt die Freiheit eines Kreis-Anzeiger-Redakteurs auf Äußerung seiner Meinung in Frage. Das hat unserer Auffassung nach mit einer legitimen Kritik an der Berichterstattung nichts zu tun.

Folgendes geschah: Unter der Überschrift „Schaden genommen“ kritisierte der Kreisanzeiger-Redakteur Frank Bugge Mitte September 1989 den Büdinger Bürgermeister Eberhard Bauner wegen dessen Politik in Sachen Hubschrauber-Landeplatz. Bugges Meinung: Bauner habe am Parlament vorbei, ja gegen dessen ausdrücklichen Willen, auf den Ausbau des Hubschrauberlandeplatzes an höherer Stelle gedrängt. Bugges Fazit: „Die Demokratie hat Schaden genommen.“

In einer Pressemitteilung vom 21. September wertet die CDU-Stadtverordnetenfraktion das so: „Die Büdinger CDU-Fraktion bedauert auch in aller Form einen Kommentar, worin die gebotene Zurückhaltung einer Zeitung, die für sich Überparteilichkeit in Anspruch nimmt, mißachtet wird.“

Die dju Wetterau sieht darin nicht den ersten Versuch

der CDU, den Kreis-Anzeiger zu disziplinieren. Ich erinnere nur an den Bockbieranstich, den Bericht darüber und die Folgen.

Das Verständnis der CDU von überparteilichkeit bedeutet offenbar, daß weder die Union noch ihr Bürgermeister kritisiert werden dürfen. Die dju Wetterau hielt die Verleihung des Maulkorbs an die Büdinger CDU für berechtigt, besonders auch unter dem Aspekt, der Redaktion des Kreis-Anzeigers und jeder anderen Lokalzeitung im Wetteraukreis Mut zu machen, solchen Disziplin-ierungsversuchen zu widerstehen.

Ich weiß, daß wir mit der heutigen Maulkorb-Verleihung das Problem nicht aus der Welt schaffen, auch nicht mit künftigen. Deshalb werde ich nicht an Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, an alle Politiker, die mit der Lokalpresse zu tun haben, appellieren, sie sollen nie mehr Einfluß auf Redaktionen zu nehmen versuchen.

Nein, ich appelliere an die Redaktionsleiter, an Herausgeber und Verleger – und alle Innen eingeschlossen: Wehren Sie sich gegen Einflüsse von außen, stellen Sie sich hinter Ihre Redaktion, die schließlich einen wesentlichen Anteil am ökonomischen Erfolg Ihres Blattes hat.

Nicht kritisch denkende und arbeitende Redaktionen gefährden die Existenz der Verlage. Im Gegenteil. Gefährlich sind jene Kräfte, die versuchen, Redaktionen einzuschüchtern. Sie könnten Totengräber der Pressefreiheit sein, und auf Pressefreiheit sind auch Verleger angewiesen.

Und mein Appell geht an die Kolleginnen und Kollegen in den Lokalredaktionen: Laßt nicht alles mit Euch machen. Schnibbelt nicht mit der „Schere im Kopf“ an Eurer Ehre herum. Wehrt auch Ihr Euch gegen Disziplinierungsversuche. Unserer Hilfe könnt Ihr gewiß sein.“

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Bericht der FR vom 8.2.1990 über die Maulkorbverleihung

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Der „Maulkorb“ wurde viermal verliehen. Zuerst ging er 1988 an den Butzbacher Bürgermeister Karl Heinz Hoffmann (SPD), der für Journalisten äußerst schwer zu erreichen war. Nach der Büdinger CDU war die US-Armee Empfängerin der Negativ-Ehrung, weil sie sich völlig gegen neugierige Journalisten abschottete. Nach langer Pause wurde der Maulkorb zuletzt 2004 an die Butzbacher SPD verliehen, weil die einen Lokaljournalisten ehrenrührig beschimpft hatte.

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