Langer Kampf um Tarifvertrag
Der Wind weht heftig an diesem Donnerstag, zumal der riesige Betonquader des amazon-Versandhändlers auf einer Anhöhe bei Bad Hersfeld liegt. Die Streikposten kämpfen mit ihren Transparenten, das Tuch mit der Aufschrift „Dieser Betrieb wird bestreikt“ flattert schwer lesbar im Wind.
Hohe Krankenquoten
Die amerikanische Firma hat sich bisher nicht bewegt. Der von Jeff Bezos gegründete weltgrößte Online-Versandhändler hat neun Standorte in Deutschland, zahlt aber nur wenig Steuern hier. Zum xten Mal fordert die Belegschaft unter der Ägide der Gewerkschaft Verdi an diesem 7. April 2016 einen Tarifvertrag, gemeinsam mit der amazon-Filiale in Koblenz und fünf weiteren Standorten.
Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die das Arbeiten bei ‚amazon.de‘ erschweren und die letztlich durch den fehlenden Tarifvertrag verursacht sind. Die Krankenquoten sind daher sehr hoch – höher als im Durchschnitt der Unternehmen in Deutschland. Kein Wunder, sind doch der Stress und die Monotonie, verbunden mit unzureichenden Erholungszeiten, hier besonders groß. Ein Flugblatt nennt auch „ungünstig gestaltete Arbeitsplätze und fehlende Hilfsmittel“ sowie „ständige Kontrolle und Überwachung“ als krankmachende Ursachen. So haben die Streikenden sich den Weltgesundheitstag am 7. April ausgesucht, um auf ihre Probleme erneut aufmerksam zu machen. Dazu die verdi-Gewerkschaftssekretärin Mechthild Middeke: „Die Krankenquoten sind außerordentlich hoch. Dies wollen wir am Weltgesundheitstag mit einer Wandzeitungsbefragung und Aktionen zum Thema machen,“
Schon nach kurzer Zeit wird auf dieser Wandzeitung deutlich, wo der Schuh am meisten drückt. Die meisten Punkte haben die Beschäftigten am Bad Hersfelder Standort an folgende Rubrik vergeben: „Die Arbeit laugt mich aus, weil Erholungszeiten viel zu knapp bemessen sind (Pausen, Urlaub, Arbeitszeiten)“. Fast ebenso viele Punkte erhält die Rubrik: „Vorgesetzte behandeln mich oft respektlos. Meine Leistung für das Unternehmen wird nicht richtig gewürdigt.“ Insgesamt gesehen haben also die Beschäftigten das Gefühl, „nicht viel wert zu sein“. Von MitarbeiterInnen kann man da wohl kaum reden, wenn diese als pures Mittel zur Gewinnsteigerung betrachtet werden. Der Streikposten Christian Krähling drückt es präziser aus: „Amazon verwehrt uns Demokratie im Betrieb und Mitbestimmung bei den für uns wichtigen Themen. Wir gehören überdies nicht zur Logistikbranche, sondern zum Versandhandel und wollen endlich einen Tarifvertrag.“
Der Streik am Weltgesundheitstag endete mit der Spätschicht. Nicht zu 100 Prozent hat sich die Belegschaft an ihm beteiligt. Sie kommt von weit her angefahren, die Autoschilder auf dem Parkplatz zeigen, dass Arbeitsplätze rar in Oberhessen sind. Vor allem KollegInnen mit befristeten Arbeitsverträgen hoffen auf ein Wunder, nämlich später fest eingestellt zu werden, wenn sie sich „wohlverhalten“. Die Streikposten lassen sie passieren, ohne sie zu bedrängen. Das ist gut so, denn das kollegiale Verhältnis soll nicht kaputt gehen. Doch seit in den deutschen Filialen von amazon die Streiks für menschenwürdige Arbeitsbedingungen laufen, ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder gestiegen.
Sehr interessant! Dörte v. Drigalski
Liebe Ursula,
das ist ein sehr guter und fundierter Bericht von einem Streik bei diesem Moloch. Wer seine Mitarbeiter derart ausbeutet und, um nicht gerechte Steuern und Löhne zahlen zu müssen, vielleicht noch mit Rückendeckung des „Gesetzgebers“, den Betriebszweck falsch deklariert, der sollte durch dauernde Streiks lahmgelegt werden. Solche „Betriebe“ frühkapitalistischer amerikanischer Ausbeuterei brauchen wir in Deutschland nicht, vor allem dort nicht, wo von ihnen eine strukturelle Notsituation, wenige Arbeitsplätze, brutal ausgenutzt werden.