Ein 700-Kilo-Liebesbrief
Mehr als 30 Objekte aus Stein, Holz und Metall hat der 2006 gegründete Verein Kunst:Projekt bisher im oberen Kurpark von Bad Salzhausen bei Nidda aufgestellt. Zuletzt bereicherte Stephan Guber den Park im Juni 2019 mit diesem überlebensgroßen Paar. Beim Werkforum vom 24. bis 31. August 2019 kommen weitere Werke und Künstler hinzu.
Skulpturen für Salzhausen
Schweißperlen stehen auf der Stirn des Künstlers. Gerade hat er eine dicke runde Stahlplatte auf die Palette gewuchtet. Nun legt Michael Priester einen Streifen Dachpappe über die drei Gewindebohrungen der Platte. Mit einem Gummihammer schlägt er so lange darauf ein, bis sich die Löcher in der Pappe abzeichnen. Jetzt muss der Traktorfahrer mit der Fronthydraulik den 700 Kilo schweren Basaltstein anheben. Und zwar so, dass die drei Bolzen an der Unterseite der mehr als zwei Meter hohen Skulptur genau in die Löcher einrasten, ohne die Gewinde zu beschädigen. Das Manöver gelingt. Die Anspannung weicht aus dem Gesicht des stämmigen Künstlers mit der runden Studentenbrille. Er zieht den Unterarm über die Stirn, atmet schwer und sagt dann grinsend: „Im nächsten Leben mach ich nur Seidenmalerei!“ Da muss man nicht so viel heben und keine Angst haben, bei der Ausstellungs-Vorbereitung die Finger zu zerquetschen.
In Lava gehauenes Fragment eines Liebesbriefs
Tatsächlich verletzt sich sein Künstler-Kollege Axel Wilisch leicht an der Hand, als er Michael Priester bei der Aufrichtung des Kunstwerks im oberen Park von Bad Salzhausen hilft. „Ist nicht weiter schlimm“, signalisiert der Vize-Vorsitzende des Vereins Kunst:Projekt. Nach einer Stunde hat er gemeinsam mit dem Butzbacher Künstler und dem Vereinsvorsitzenden Matthias Weidmann die erste Skulptur des nächsten Werkforums auf den Sockel gestellt. Der Trumm aus schwarzem Eifel-Basalt heißt „Fragment eines Liebesbriefes“. Das in die Frontseite gehauene Relief sieht aus wie eine rundliche, alte, fremde Schrift. Michael Priester: „Die Idee dafür hatte ich, als ich in Madagaskar eine alte Stampflehm-Wand sah.“ Sein 700 Kilo schwerer Liebesbrief ist für die nächsten zwei Jahre vor einer Gruppe gewaltiger Kiefern im Kurpark zu betrachten.
Der Künstler aus Butzbach hat das Werk auf den Drehkranz eines Lkw-Sattelauflegers montiert. So kann man es leicht ins rechte Licht schieben. Und sieht dann, dass die vermeintlichen Schriftzeichen aus lauter liegenden, sitzenden, stehenden, sich beugenden Frauen-Rümpfen bestehen. „Um so den Blick des Betrachters auf das Wesentliche zu lenken“, erklärt Matthias Weidmann diese Motivwahl. So gelinge es Priester, „die Ausdrucksmöglichkeiten der gestalteten Form zu steigern, die sich im Spannungsfeld zwischen figürlicher Abbildung und Abstraktion verortet.“ Will sagen: Der Besuch der Kunstwerke vor Ort ist ab dem 24. August 2019 viel eindrucksvoller und aufschlussreicher als alle Versuche, die Skulpturen zu erklären.
Seit 2006 organisiert der inzwischen gut 60-köpfige Verein Kunst:Projekt Skulptur-Ausstellungen im Parksaal. Anfangs gab es alle zwei Jahre Symposien – offene Werkstätten, bei denen bis zu zehn Künstler gleichzeitig vor Ort werkelten. Das wurde dem Verein trotz einiger Sponsoren zu teuer. Nun gibt es jährlich das Werkforum, bei dem fünf ausgewählte Künstlerinnen oder Künstler ihre kleinen Objekte im Parksaal zeigen, die größeren im Kurpark. Die Werke draußen bleiben ein, zwei oder viele Jahre vor Ort.
Fünf Künstler kommen
Diesmal sind fünf Männer mit ihren Werken in Bad Salzhausen präsent. Neben dem 1957 geborenen Michael Priester (der im Brotberuf übrigens Bergbauingenieur ist) kommt Johannes Hepp aus Freiburg zur Eröffnung am übernächsten Samstagabend in den Parksaal. Er bringt ein hölzernes Männchen mit, das bis zur Brust im umgedrehten Horn einer Kuh steckt. Der Kurator Matthias Weidmann schreibt: „Oftmals beweglich und zudem bemalt, zeigen Hepps Objektkästen den Menschen als eine Art Marionette im Spielfeld seiner Wunschvorstellungen und Zwänge. Hinter diesen theatralischen Bildern menschlicher Clownerien verbirgt sich aber oft auch ein Blick in deren Abgründe.“
Manfred Emmenegger-Kanzler aus Ottersweier in Baden-Württemberg zeigt Objekte aus Metall und Keramik. In der Einladung heißt es: „Oftmals verbindet er beide Materialien miteinander und widmet sich damit nicht nur deren materieller Gegensätzlichkeit, sondern auch der von Positivform und Negativform, der von Substanz und Raum, genau wie der von Gradlinigkeit und Verformung.“
Robert Kögel aus Dreieich arbeitet mit geschnittenen Stahlplatten, die er in den Raum faltet, teilweise aber auch um organisch wirkende Holzelemente erweitert. Neben Kögel kommt auch Uli Eulberg aus Limburg zum Werkforum. Er durfte 2012 im New Yorker Atelier des berühmten Künstlers und Björk-Exfreundes Jeff Koons arbeiten. Eulberg betont das „Fragmentarische der Figur“, so Matthias Weidmann. Und das stehe in gewissem Gegensatz zu Eulbergs Profession als Restaurator. Man wird sehen.
Werkforum in Bad Salzhausen
Die Vernissage des Bad Salzhausener Werkforums beginnt am Samstag, 24. August um 18 Uhr im Parksaal. Der Eintritt ist frei. Nach den Reden gehen alle hinaus in den mittlerweile größten Skulpturenpark der Wetterau. Die Künstler werden dort ihre für Bad Salzhausen bestimmten Werke zeigen und erläutern. Es gibt Live-Musik und auch etwas zu trinken.
Das Gespräch über die Kunst wird am Sonntag, 25. August um 11 Uhr im Parksaal fortgesetzt, melden die Organisatoren Matthias Weidmann, Anita Guber und Axel Wilisch. Fortan ist der Skulpturenpark jeden Tag frei zugänglich. Der Parksaal mit weiteren Arbeiten der fünf Künstler öffnet in der letzten Augustwoche zwischen 11 und 18 Uhr – der Eintritt ist frei. Das Werkforum endet am Samstag, 31. August, ab 20 Uhr mit einer Finissage im Parksaal. Die Organisatoren lassen dabei die „Soul Miners“ mit Karolina Strassmayer und Drori Mondlak auftreten.