Nicht nur die Kugeln töteten ihn
Ein trauriges Kapitel der deutschen Geschichte jährt sich: Am 11. April 1968 verletzte mit drei Schüssen Josef Bachmann – ein aufgehetzter und verblendeter junger Mann – vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm in Berlin Rudi Dutschke (Foto), der die linke Oppositionsbewegung anführte. Bachmann tötete seinen „Feind“ sozusagen in Raten: Der von seinen Anhängern umjubelte, von Gegnern verhasste Soziologe überlebte, kämpfte sich ins Leben zurück, erlag aber 1979 doch den Spätfolgenden des Attentats.
Was Machtmissbrauch bewirken kann
Was sich am 11. April 1968 ereignete, ist ein klassisches Beispiel dafür, was Machtmissbrauch bewirken kann. Ich war damals 15 Jahre alt, Schüler in Gießen und kann mich noch gut daran erinnern, wie damals auch in unserer Universitätsstadt an der Lahn (auf dem Seltersweg und anderswo) viele Bürger – junge und ältere – mit der „Bild“-Zeitung in der Hand wild in der Luft herumfuchtelten, wenn das Thema auf diese „langhaarigen Studenten“ kam, die die Deutschen in ihrer muffigen Wohlstandsbehaglichkeit mit Themen wie „Vietnamkrieg“, „Schah-Regime“ und „Diskriminierung von Schwarzen in den USA“ störten und zudem bewiesen, dass viele ehemalige Nationalsozialisten sich in entscheidenden Stellen in der Bundesrepublik eingenistet hatten.
Die Springer-Presse (und nicht nur die) wütete gegen die Protestierenden. Hinzu kam, dass es Politiker wie Franz Josef Strauß gab, die pausenlos vornehmlich die Apo (Außerparlamentarische Opposition) auf dem niedrigsten Niveau attackierten und dafür von zahlreichen fanatisierten Sympathisanten frenetischen Applaus erhielten. So entstand durch das verbale Zündeln verschiedener Medien sowie Politikerinnen und Politikern (nicht nur aus dem rechten Lager) eine hochexplosive Mischung, die im Kopf des Attentäters Josef Bachmann ein fatales Feuer entfachte und ihn schließlich zu den Schüssen auf Rudi Dutschke trieb. Bachmann war eifriger Leser unter anderem der Deutschen National-Zeitung, die ihre Leser aufgefordert hatte, Dutschke „zu stoppen“. Wie gesagt: Es waren nicht nur die Springer-Zeitungen, die gegen die „ungewaschenen Studenten“ agierten. Die Macht der Presse hatte in der Tat dazu beigetragen, dass ein Mensch sterben musste.
Der 11. April wiederholt sich immer wieder
Hat man daraus gelernt? Sind die Medien heute von solchem Machtmissbrauch frei? Leider nicht überall, wie man weiß. Schlimm, dass sich beispielsweise in Ländern, in denen auf den Menschenrechten herumgetrampelt wird, sehr schnell karrieregeile Typen in bedeutende Machtpositionen hangeln, die im Fahrwasser der Unterdrücker schwimmen: Journalisten, Juristen, Politiker, die Proteste im Keim ersticken und Andersdenkende wegsperren und zur Tötung von Oppositionellen beitragen. Der 11. April 1968 im damaligen West-Berlin wiederholt sich international also immer wieder. Glücklicherweise gibt es genügend Menschen, die sich ihre Zivilcourage bewahrt haben und denen, die ihre Macht missbrauchen, nicht nachlaufen. Das macht Hoffnung, wenn man auf den Tag zurückblickt, als die Saat von Propagandablättern bewirkte, dass auf Rudi Dutschke geschossen wurde.