Nach 126 Jahren das Aus in Büdingen
Von Klaus Nissen
Es sieht schlecht aus für den traditionsreichen Büdinger Schlachthof. Die Veterinärbehörden haben ihn inspiziert. Sie schickten danach eine Mängelliste. Die Auflagen sind so massiv, dass die Betreibergenossenschaft den 1895 gegründeten Schlachthof lieber schloss. Das Zeitfenster, um ihn wieder zu öffnen, ist nur klein. Schon jetzt finden die Fleisch-Direktvermarkter kaum noch Schlachtstätten für ihre Tiere.Tiere erleiden weitere Wege zur Schlachtung
Die Kontrolleure kamen um vier Uhr früh. An einem Montagmorgen im Juli 2021 erschienen sie mit Ganzkörper-Schutzanzügen im Schlachthaus der Metzgereigenossenschaft Büdingen am Pferdsbacher Weg. Sie hätten noch nicht mal „Guten Tag“ gesagt, erinnert sich Metzgermeister Heiko Nagel aus Büdingen. Die Kontrolleure aus dem Darmstädter Regierungspräsidium und dem Friedberger Fachdienst für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung guckten in alle Ecken.
Ihr Mängel-Protokoll hat es in sich: Der Fußboden des 2002 generalsanierten Schlachthofes weise feine Risse auf, zitiert Metzger Nagel daraus. Er müsse erneuert werden. Es fehle eine Beregnungsanlage, damit die Schweine, die den letzten Tag ihres Lebens im Schlachthof verbringen, in der Sommerhitze nicht zu sehr schwitzen. Dabei seinen die Schweine höchstens mal für eine Nacht hier untergebracht. Für die Kühe fehle ein Melkstand. Falls der volle Euter vor der Schlachtung zwickt. „Dabei wird bei uns gar kein Großvieh mehr eingestellt“, entgegnet Metzger Nagel. Die Rinder würden von ihren Besitzern direkt zur Schlachtung gebracht.
Die neue Tötungszange wurde beanstandet
Die elektrische Tötungszange befanden die Kontrolleure als ungeeignet. Sie müsse erneuert werden. Dabei habe man erst im vorigen Jahr ein neues Gerät gekauft, entgegnet der Metzger. Weiterhin bemängelten die Kontrolleure, dass der unreine Bereich im Schlachthof nicht ausreichend vom Reinraum getrennt sei. Aus dem Brüh-Bereich, in dem die Schweine nach der Tötung landen, könne heißer Dampf ordnungswidrig in die Zerlege-Abteilung wandern. Die Büdinger Metzger müssten eine Trennwand und eine stärkere Absaugung installieren. Doch selbst wenn man das täte, berichtet Metzger Nagel, würde die Genossenschaft nach einer Andeutung der Kontrolleure keine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz bekommen.
Summa summarum: „Die Kontrolleure sind total auf kontra“, meint Nagel. „Wir haben den Eindruck, dass die eher keine Fleischesser sind.“ Früher habe man nach den Inspektionen bei Beanstandungen immer gemeinsam mit den Veterinären nach Lösungen gesucht – und sie auch gefunden. Nun sei offenbar eine neue Generation am Ruder.
Anfang 2022 droht zu Zulassung zu erlöschen
Wenige Wochen nach der ersten Kontrolle kamen die Veterinäre noch einmal. Dabei „waren keine wesentlichen Verbesserungen festzustellen“, berichtet Petra Schnelzer von der Pressestelle des Wetteraukreises. Kurz darauf teilte die Metzgergenossenschaft mit, dass sie den Schlachtbetrieb einstellt. Mitte August 2021 setzte das Regierungspräsidium Darmstadt die lebensmittelrechtliche Zulassung aus. Wenn die Mängelliste bis zum Frühjahr 2022 nicht abgearbeitet ist, wird der Büdinger Genossenschaft die EU-Lizenz entzogen. Dann ist es ihr auf Dauer untersagt, Tiere zu töten und das Fleisch zu verkaufen. Erst recht perdu ist dann die erst 2019 erteilte Lizenz, Bio-Fleisch zu zerlegen.
Die Folgen sind schon jetzt drastisch. Metzger Nagel aus Büches hat bislang die Schweine für das Fleisch in seiner Ladentheke von einem Landwirt in Geiß-Nidda bezogen. Die Rinder für die Rumpsteaks kamen aus Büches. Doch Nagel kann die Tiere nicht mehr selber schlachten. Er beziehe sein Fleisch jetzt von den Schlachthöfen in Gießen oder Fulda, sagt er. Ein gutes Dutzend Kunden aus der Region schickte seine Tiere bislang zur Lohnschlachtung am Pferdsbacher Weg – pro Woche gut 50 Schweine und je zehn Rinder und Schafe. Das geht nun nicht mehr.
Die Fahrt zu anderen Schlachtstätten dauert länger
Betroffen ist auch der Rindfleisch-Direktvermarkter Dennis Bruce aus Glauburg. Er verschickt die edelsten Teile seiner Hochlandrinder in Paketen an zahlende Kunden. Doch nun habe er Mühe, eine Schlachtstätte zu finden. „Ich musste die Tiere schon eine Stunde lang im Anhänger bis nach Usingen kutschieren und da noch auf die Tötung warten.“ Dabei gerate das Rind spätestens dann in Stress, wenn es fremde Tiere riecht. Und das sei nicht gut für die Fleischqualität.
Neben dem Büdinger Schlachthaus gibt es in der Wetterau noch etwa 30 kleinere Zerlege-Betriebe. Doch diese Metzgereien haben in der Regel nur eine Lizenz für die Tötung von maximal vier Tonnen Schlachtgewicht pro Tag. Sie nehmen schon deshalb ungern Aufträge anderer Viehhalter an, berichtet Dennis Bruce.
Die regionale Fleisch-Direktvermarktung ist gestört
Die regionale Fleisch-Direktvermarktung ist gestört, sagt die Bauernverbands-Vorsitzende Andrea Rahn-Farr aus Rinderbügen. Die Tiere der Direktvermarkter müssten nun zu weiter entfernten Schlachthöfen gebracht werden. Das erzeuge bei den Tieren Stress und führe zu hohem Aufwand für die Halter. Dabei sei doch die regionale Fleichvermarktung politisch gewollt. „Die Landwirte machen sich Gedanken, wo der Zug hinfährt“, so Rahn-Farr. Man brauche einen regionalen Schlachthof. Und wenn es Probleme damit gebe, „sollten Ermessensspielräume schon genutzt werden.“
Fraglich ist, ob das im Fall des Büdinger Schlachthofs noch geschieht. Belege gibt es dafür nicht. Ein Weg, die regionale Fleischerzeugung und-Vermarktung zu reparieren, ist nicht in Sicht. Die Erfüllung der im Juli erteilten Auflagen würde eine sechsstellige Summe kosten, meint Genossenschaftsmiglied Heiko Nagel. Seit Jahresanfang2021 prüfe man einen Neubau des Schlachthofs in einem Büdinger Gewerbegebiet. Aber das würde mindestens drei Millionen Euro kosten.
Direktvermarkter fordert Unterstützung vom Staat
Der Direktvermarkter Dennis Bruce wünscht sich derweil eine aktivere Schlachthausgenossenschaft. Nur drei der neun Mitglieder seien im Fleischgeschäft aktiv. Bruce versteht nicht, warum das Unternehmen keinen richtigen Geschäftsführer benenne und keine neuen Genossen aufnimmt, die Geld und Know-How mitbringen. Und der Politik hält er vor, sie predige die Direktvermarktung, ohne konsequent zu sein. „Ich wundere ich mich, dass es keinen Rechtsanspruch auf eine regionale Schlachtstätte gibt.“