Mit 75 immer noch frech
von Jörg-Peter Schmidt
Pippi Langstrumpf feiert ihren 75. Geburtstag und müsste längst eine ältere Dame sein. Aber in all den Jahren, in denen sie die Herzen der Menschen weltweit erobert hat, ist sie immer das freche, liebenswürdige rothaarige Mädchen mit den nach außen abdriftenden Zöpfen geblieben. Zu ihren unzähligen Fans gehört auch Landbote-Autor Jörg-Peter Schmidt. Er erinnert sich gern daran, wie er zum ersten Mal die deutschen Ausgaben der dreiteiligen Reihe in den Händen hielt:Die Abenteuer aus der Villa Kunterbunt
In den 1960er Jahren fuhr ich regelmäßig mit meiner Schwester Marion im Omnibus in die Gießener Stadtbibliothek, um das Ausgelesene abzugeben und Neues auszusuchen. Wir hatten jedesmal große, geräumige Taschen dabei, denn wir kamen meistens dick bepackt mit Lesestoff nach Hause (unter anderem mit den Serien von Enid Blyton wie „Fünf Freunde“). In den Regalen der Stadtbibliothek entdeckten wir eines Tages die in leuchtendem Blau eingebundenen Pippi-Langstrumpf-Ausgaben, die sich in ihrer Aufmachung von vielen anderen Büchern unterschieden: Die Abenteuer des in der Villa Kunterbunt mit einem Äffchen und einem Pferd lebenden Mädchens waren in kleinen, handlichen Bänden mit tollen Zeichnungen verpackt. So manch anderes Buch war viel dicker, klobiger und hatte auch nicht so ansprechende Titelbilder, die Fröhlichkeit vermittelten. Der Verlag Oetinger, der sich von der schwedischen Autorin Astrid Lindgren die deutschen Veröffentlichungsrechte gesichert hatte und sie bis heute hat, machte alles also richtig.
Zuhause angekommen, bekam ich heiße Ohren beim Lesen. Die Erlebnisse Pippis und ihrer Freunde sind einfach superspannend. Und dann kann die „Kleene“ ja auch noch Außergewöhnliches, beispielsweise eben mal ein Pferd hochheben. Und sie muckt gegen Autoritäten auf, lässt sich überhaupt nicht unterkriegen. Das ist die Freiheit, nach der man sich halt sehnt. Und man freut sich als Leserin oder Leser auch, dass Pippi ihren Vater wiederfindet.
Ein Verlag lehnte ab
Damals habe ich mir keine Gedanken gemacht, wie es überhaupt dazu kam, dass Astrid Lindgren diese Kult-Figur erfunden hat. Heute, als Erwachsener, interessiert mich das aber sehr. Aus den Veröffentlichungen, die von Wikipedia bis zu den Berichten in Zeitungen, im Rundfunk oder im Fernsehen reichen, erfahre ich, dass es einen schwedischen Verlag namens Bonnier gab, der es fertig brachte, mit höflichen Worten abzulehnen, als Astrid Lindgren das Manuskript anbot, das heute unschätzbaren Wert haben dürfte. Diese Fehleinschätzung erinnert an die legendäre Absage der Plattenfirma Decca, die die „Beatles“ nicht verpflichtete. Nach diesem Reinfall war die Zusage an eine bis dahin unbekannte Gruppe namens „Rolling Stones“ dann für Decca immerhin ein „Trostpflästerchen“.
Freches mädchen – schlechtes Vorbild?
Zurück zu Pippi Langstrumpf: Bei einem weiterer schwedischen Verlag (Rabén & Sjögren) hatte Lindgren 1945 Erfolg. Der Siegeszug dieser wunderbaren Geschichte war nicht mehr aufzuhalten. Obwohl es zunächst auch Vorbehalte gab: War diese selbstbewusste Göre nicht so etwas wie eine Anarchistin, eine regelrechte Chaotin und damit ein schlechtes Beispiel für die Jugend in einer Zeit, in der das kirchlich-gesellschaftliche „Idealbild“ von der Frau im Heim am Herd überwog – als beispielsweise in Deutschland Frauen aufgrund der Gesetzeslage ihre Männer um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie arbeiten wollten? Aber Astrid Lindgrens lässig-literarische Erfindung hat sich durchgesetzt. Es macht einfach Spaß, mit ihr Abenteuer zur erleben, entweder in den Büchern oder den Filmen. Also: Happy Birthday!
P.S. Da fällt mir noch ein: Dass man wie Pippi zwei unterschiedlich farbige Strümpfe trägt, ist bei vielen jungen Leuten heute längst in (auch zwei unterschiedliche Schuhe sind hip). Die Schwedin war ihrer Zeit schon immer voraus. Und heutzutage sind beispielsweise Kindertagesstätten (wie in Gießen) nach ihr benannt.