Paris-Brest-Paris

Eine tolle Erfahrung

Von Jannis Rieb

Der legendäre Fahrradmarathon Paris-Brest-Paris zog im August 2023 einige begeisterte Radelnde aus Mittelhessen an. Neben Teilnehmenden aus aller Welt stellten sie sich der Herausforderung, eine Strecke von über 1220 Kilometern in einem vorgegebenen Zeitlimit zu bewältigen.

Vorbereitung und Qualifikation

Auch für mich ging der Traum in Erfüllung. Am 19. August 2023 holte ich am Startort Rambouillet die Startunterlagen ab. Der Ort glich einem Fahrradfestival vor der wunderbaren Kulisse des Schlosses. Bereits bei der Ankunft hatte ich mehrere Gänsehautmomente. Über 6000 Menschen, so unterschiedlich wie ihre Fahrradtypen, versammelten sich für ein gemeinsames Ziel: 1220 Kilometer und etwa 10000 Höhenmeter in einem Zeitlimit von 80, 84 oder 90 Stunden zurückzulegen. Für alle aufmerksamen Leser*innen des Landboten: Das ist etwa 19 mal der Wetter-Radweg von der Quelle bis zur Mündung.

Wer mitfahren wollte, musste die Qualifikationsreihe aus Brevets über 200, 300, 400 und 600 Kilometern schaffen. Brevets sind Langstreckenfahrten, die in einem bestimmten Zeitraum zu bewältigen sind. Es sind ausdrücklich keine Rennen – auch Paris-Brest-Paris ist keines. Alle Teilnehmenden fahren in ihrem eigenen Tempo und auch die Anzahl und Dauer der Pausen sind individuell. Ich konnte meine Qualifikationsbrevets bequem an meinem Wohnort Gießen beim ARA Mittelhessen absolvieren. Der Organisator Christian Schulz brachte Paris-Brest-Paris (PBP) ebenfalls erfolgreich hinter sich.

Bereits die „kurzen“ Strecken der Brevets über 200 und 300 Kilometer hatten es in sich. Schnee, Hagel oder Dauerregen stellten Mensch, Material und Kleidung auf die Probe. Die Brevets über 400 und 600 Kilometer wurden dagegen unter deutlich besseren Bedingungen ausgetragen. Wertvolle Tipps für die Verpflegung, Kleidungswahl, Material und die Wahl der Fahrradtaschen gab es durch spannende Gespräche während der Brevets. Nach der Qualifikationsreihe stand Paris-Brest-Paris nichts mehr im Weg. Spätestens jetzt fühlte ich mich gut vorbereitet für die legendäre Ausfahrt.

Meine Ausrüstung ….
… komplett auf meinem Fahrrad verstaut. (Fotos: Jannis Rieb)

Die Fahrt

Am 20. August 2023, um 19.30 Uhr startete ich bei bestem Wetter mit dem Startblock O. Etwa alle 100 Kilometer gab es Kontrollstellen, an denen es neben Verpflegung auch erste Hilfe, Duschen, Schlafmöglichkeiten und Werkstattstationen gab. Zudem wurde die Durchfahrtszeit mittels eines Transponders gemessen und die Teilnehmer*innen mussten sich einen Stempel für ihre Brevetkarte abholen. Der erste Checkpoint nach 120 Kilometern war noch völlig überfüllt. Auf der Strecke sah man endlose Reihen, die sich mit zunehmender Dunkelheit in eine Lichterkette mit gelb funkelnden Warnwesten verwandelten.

Im weiteren Verlauf verteilte sich das Feld, was sich auch auf der Strecke bemerkbar machte. Allein unterwegs war ich bis zum Schluss aber kaum. Die Begegnungen mit Mitradelnden aus aller Welt hielten die Motivation aufrecht und spannende Gespräche über die Beweggründe der Teilnahme, Technik und Material hielten die Müdigkeit ab. Waren zwischen den Kontrollstellen mal die Wasserflaschen leer oder der Essensvorrat knapp, konnte ich das Proviant an einem der zahlreichen Verpflegungsstände auffüllen, die von der mitfiebernden Bevölkerung in den Durchfahrtsorten aufgebaut wurden.

Die erste Nacht konnte ich ohne Schlaf durchfahren. Mein Plan war es, Brest am Abend des zweiten Tages zu erreichen und dort eine ausgiebige Schlafpause abzuhalten. Etwa 25 Kilometer vor Brest kam jedoch die Abenddämmerung und damit schlagartig die Müdigkeit. Ich entschloss mich zu einer Schlafpause in einer Bushaltestelle. Nach anderthalb Stunden ging es weiter nach Brest, wo ich eine weitere Schlafpause einlegte.

Unterwegs

Als ich mich zur Weiterfahrt bereit machte, begegnete ich Jan, den ich von den Qualifikationsbrevets in Gießen kannte. Wir beschlossen gemeinsam durch die Nacht zu fahren. Gegen 6 Uhr morgens merkte ich, dass drei Stunden Schlaf nicht ausgereicht hatten, um mich durch die Nacht zu bringen. In einem Holzschuppen am Rand der Straße machte ich es mir nochmal gemütlich. Jan setzte die Fahrt allein fort. Nach einer halben Stunde ging es weiter und ich wurde mit einem sagenhaften Sonnenaufgang belohnt.

Wieder kam die Energie mit der Helligkeit zurück und der Tag verging wie im Flug. Highlight war eine Pizza von einem Markt in einem kleinen Ort. Riegel und Gels konnte ich nicht mehr sehen und die Gelüste nach herzhaftem Essen wurden immer größer. Die Fahrt in die letzte Nacht begann euphorisch. Ich hatte das Gefühl, ich könnte ohne Schlaf bis Rambouillet fahren, und rechnete im Kopf schon aus, wann ich etwa ankommen würde. Das führte aber zu ständiger Neuberechnung, da die Pausen immer unregelmäßiger und die Fahrt ungleichmäßiger wurden und auch die Müdigkeit wieder zurückkam. Die Strapazen wurden immer größer. Mit kurzen Schlafpausen von 15 Minuten an den Kontrollstellen konnte ich mich durch die Nacht retten.

Die letzten Kilometer lagen vor mir. Leider wurden diese noch von einem Sturz eines Mitfahrers überschattet. Wir wurden von einer Ambulanz überholt. Dabei kam mein Mitfahrer vor Schreck von der Fahrbahn ab und landete kopfüber im Straßengraben. Trotz ein paar Schürfwunden und Schmerzen in der Schulter konnte er weiterfahren.

Die letzte Etappe fuhr ich mit einer Gruppe, die sich neu zusammengefunden hatte. Wir beschlossen, gemeinsam zum Ziel zu fahren. Die Einfahrt zum Schloss Rambouillet war wieder ein Gänsehautmoment. Nach 66.02 Stunden überquerte ich die Ziellinie und konnte mir den letzten Stempel für die Brevetkarte abholen. In dem Moment konnte ich noch gar nicht realisieren, was hinter mir lag.

Im Ziel empfingen mich meine Eltern, die keine Risiken und Mühen gescheut haben, mich auf dem Weg nach Rambouillet zu begleiten. Zu meiner Überraschung wartete auch Alejandro im Ziel, den ich von den Ausfahrten in Gießen kannte und der PBP in einer sagenhaften Zeit von unter 60 Stunden hinter sich brachte. Er leistete mir beim Essen, das den Finishern spendiert wurde, Gesellschaft und fing mich in meinem Delirium auf.

Ich komme wieder

Paris-Brest-Paris ist nicht nur eine legendäre Langstreckenfahrt, auch die Atmosphäre, die unterstützenden Menschen, die Organisation, die Begeisterung der Radfahrenden und der Bevölkerung sind legendär. Nicht nur die wunderschöne Landschaft, sondern auch die Unterstützung der Bevölkerung am Straßenrand, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft mit der man überall begrüßt wird, machen diese Langstreckenfahrt aus. Auch wenn mir zwischendurch der Gedanke kam, dass ich das nicht nochmal mache, stand mein Entschluss schon nach dem Überqueren der Ziellinie fest: Ich komme wieder.

Die Radler wurden überall herzlich und gastfreundlich begrüßt.

Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Distanz für mich unvorstellbar gewesen. Erst durch die Teilnahme an den ersten Brevets in Gießen verschoben sich die Grenzen und mit jedem längeren Brevet stiegen die Ambitionen. Es geht nicht nur um das lange Radfahren, sondern auch das Vernetzen und Austauschen mit anderen Menschen, die die Leidenschaft fürs Radfahren teilen. Wer sich das zutraut und gerne mal in die Welt der Langstreckenfahrer eintauchen möchte, kann sich mit einem Brevet von 200 Kilometer herantasten. Vor allem über junge Neueinsteiger würde sich die Szene der Langstreckenradler*innen freuen. Wer Interesse hat, kann sich auf der Seite des ARA Deutschland über den nächstgelegenen Startort schlau machen. Der nächste Start in Gießen über eine Strecke von 200 Kilometer ist am 25. November 2023, um 8 Uhr. Alle Informationen gibt es auf der Homepage des ARA Mittelhessen (Links am Ende des Artikels).

Überzeugt von einer Teilnahme an Paris-Brest-Paris wurde ich durch den Dokumentarfilm „Brevet“, in dem unter anderen Claus Czycholl bei PBP 2015 begleitet wird. Er ist das Urgestein der deutschen Randonneurszene und schildert mit Ruhe und Gelassenheit, wie und warum man solche Strapazen auf sich nehmen sollte: „Wenn wir Klassentreffen haben, kommt die Hälfte mit einem Rollator und ich komm mit einem neuen Rennrad“. Auch die musikalische Begleitung der Dokumentation von „Digger Barnes“ ist eine Empfehlung Wert. Wer sich einen Eindruck von der Atmosphäre bei PBP machen möchte, sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen.

Audax Randonneurs Allemagne: audax-randonneure.de

Standort Mittelhessen: ara-mittelhessen.de

Begleitmusik von Digger Barnes: diggerbarnes.bandcamp.com/album/time-has-come

Titelbild: Ein toller Sonnenaufgang war die Belohnung für die ohne Schlaf durchfahrene erste Nacht.

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