Ohne Scheiß jetzt…

Franken-Terror in der Schweiz

Von Klaus Nissen

 Bad Homburg: FR-Redakteur Klaus Nissen aus der FR-Redaktion Bad Homburg. Foto aufgenommen am 14.12.2011 Foto: Rolf Oeser

Schon am Schalter der Reisebank im Frankfurter Hauptbahnhof steigt eine Ahnung auf: Die Schweiz macht dich arm. Dass es soo schlimm kommt, hätte ich mir aber nicht träumen lassen.

Ohne Scheiß jetzt…

Der junge Mann hinter dem Schalter zuckt mit keiner Wimper. Obwohl ich 500 Schweizer Franken von ihm verlange. Er greift in die Schublade und zählt die bunten Scheine ab. „Das macht dann 503 Euro achtzig“, sagt er freundlich.  Wieso? Ein Franken sei doch wohl weniger wert als ein Euro? Der Banker lächelt milde. Theoretisch ja. Ein Euro zählt einen Franken und sieben Rappen.  Plus Ankauf-Aufschlag. Dann komme noch eine Umtausch-Gebühr von zehn Euro hinzu. „Bewahren Sie die Quittung gut auf. Wenn Sie dann zurückkommen, können Sie die restlichen Franken gebührenfrei wieder in Euro umtauschen.“ Welch blanker Zynismus! Als ob nach der Schweiz-Reise noch Franken übrig wären!

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Im ansonsten ausgestorbenen St. Martin bei Ilanz bietet ein Wirt immerhin noch eine Mittags-Jause für Wanderer an. Wir konnten sie uns nicht leisten. Fotos: Klaus Nissen

Wir können es nicht vermeiden, diese Augustwoche in der Schweiz zu verbringen. Vor einem Jahrzehnt haben wir begonnen, den Alpenbogen zu durchwandern, von der Hohen Wand bei Wien bis zum Mittelmeer. Nun sind wir halt in der Schweiz und müssen da durch. Die erste Nacht in Tamins am Vorderrhein habe ich schon  gebucht und bin vorgewarnt. „Das macht 120 Franken mit Frühstück“, sagte die Wirtin am Telefon.

Das Gasthaus Zur Krone in diesem sonst recht öde wirkenden Dorf hat Tradition. Es ist das letzte von einst drei Gastwirtschaften.  Die Wirtin persönlich weist uns ein: Sie hat ihr Hotel in eine Art Vintage-Boutique umgebaut. Rüschige Textilien drapieren auch unser Zimmer. Ein Fernsehgerät oder W-Lan gibt es darin natürlich nicht. Bei diesem niedrigen Zimmerpreis. Die Wirtin brät uns auch zwei Schnitzel, es gibt ja nichts anderes im Dorf. Sie kosten 26 Franken pro Stück. Inklusive Pommes.

190 Franken für Zimmer mit Schmuddel-Teppich

Gasthaus Krone Tamins
In Tamins kostet ein Doppelzimmer in der „Krone“ 120 Franken. Das Badezmmer liegt auf der anderen Flurseite.

Am zweiten Tag  stiefeln wir über die ersten Hügel hoch über den Vorderrhein. Da sehen wir die noch frisch wirkenden Abbruchkanten des Gebirgsrutsches am Ende der Eiszeit. Etwa 15 Kubikkilometer Gestein fielen damals ins Flussbett. Da, wo jetzt Ilanz steht – die erste Stadt am jungen Rhein. Sie hat knapp 3000 Einwohner, ein paar Kneipen und ein halbes Dutzend Pensionen oder Hotels. Aber alle sind belegt. Mehr als ein  „Nein“ höre ich von keinem der angerufenen Gastwirte. Noch nicht mal: „Bedaure“.  Es ist Sonntag, Ferienzeit und schönes Wetter. Schweizerische Berg-Radler und pensionierte Harley-Fahrer haben sämtliche Zimmer einkassiert. Verloren und erschöpft stehen wir mit unseren Wander-Rucksäcken am Tresen. „Probiert es doch mal im Eden Montana“, schlägt eine barmherzige Bardame vor.

Das Eden Montana ist ein Vier-Sterne-Haus mit etwa 50 Betten im fünften und sechsten Stock des einzigen Hochhauses von Ilanz. „Wir haben nur noch ein Zimmer frei“, sagt die Chefin. „Das macht dann 190 Franken inklusive Frühstück.“ Wir schauen uns verzweifelt an. Was bleibt uns anderes übrig? Zum Glück hat Traugott seine Kreditkarte dabei. Das Zimmer ist zwar groß und hat ein Fernsehgerät. Aber der alte Teppichboden wirkt schmuddelig, und das Nachtschränkchen weist kleine Löcher auf – hier lebten einst Holzwürmer. Vier-Sterne-Standard in der Schweiz. Wir holen uns zwei Billig-Pizzen im Fastfood-Diner, das Stück zu 16 Franken.

140 Franken für Frühstück ohne Käse

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Hotel Terri in Vrin verlangt 140 Franken, bietet aber weder Bad noch Fernseher.

Am dritten Tag landen wir in Vrin, hoch oben im Glenner-Tal. Das Hotel Terri habe ich vorher sicherheitshalber angerufen. Ja – es gebe ein Zimmer, es koste 140 Franken. Es liegt im zweiten Stock des schönen Holzhauses von 1888. Die Zimmerdecke liegt nur knapp über meinem Kopf. Das Plastikgehäuse einer Dusche steht in der Ecke. Das Klo liegt eine Treppe tiefer. Und einen Fernseher gibt es nicht. Kann man das bei 140 Franken pro Nacht verlangen? Wir trösten uns in der Gaststube mit Calanda-Bier vom Fass. Die Stange für sechs Franken.

Beim Frühstück bestätigt sich die Ahnung, dass wir die einzigen Gäste im Hause sind.  Auf dem Tisch steht neben dem Kaffee etwas Graubrot und ein Teller mit fünf Scheiben Jagdwurst. Wir hätten gern noch etwas Käse, insistiere ich beim jungen Aufwärter.  Er blickt überrascht. Wir beschließen, in der Schweiz keine Trinkgelder zu vergeben.

Die Terri-Hütte auf 2170  Metern am Greina-Plateau erreichen wir nach hartem Anstieg unter heftigen Regenschauern. Zum Glück sind zwei schmale Matratzen im Lager frei.  Hätte ich meinen Alpenvereins-Ausweis nicht vergessen, dann wären wir unter hundert Franken für eine Nacht geblieben! So kommen wir heute tatsächlich mit dem Gemeinschaftsessen auf einen Tagessatz von knapp hundert Euro pro Tag und Wanderer.

110 Franken für zwei Feldbetten

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Diese Jurte am Lukmanier-Pass kostet 110 Franken pro Nacht. Sie hat einen Holzofen für die eiskalten Abende und Nächte. Am nächsten Tagen riechen die Klamotten wie Räucherfisch.

Fast 2000 Meter hoch landen wir zwei Tage später im Naturschutzzentrum Uomo Natura in Acquacalda kurz unterm Lukmanier-Pass. Eigentlich ist es nur ein Gasthaus – nirgendwo findet man richtige Informationen zur schönen Umgebung. Wir entscheiden uns für die billigste Übernachtungs-Möglichkeit. Es sind zwei Feldbetten in der Jurte hinterm Haus. Kostet 110 Franken. Nebenan nächtigen sieben Jungfrauen von etwa 16 Jahren – was wir ganz nett finden. Als wir auf der Terrasse ein kleines Bier trinken (a sechs Franken), versammeln sie sich zum Ringelrein. Ohne Scheiß jetzt: Zwei der jungen Damen schauen herüber und winken:  „Hey Guys – do You want to dance with us?“ Ich stottere etwas von „two left legs“, dann flüchten wir in die Gaststube. Unsicher, ob wir uns geschmeichelt oder verhöhnt  fühlen sollen. Wir sind beide gerade sechzig Jahre alt geworden. Die Nacht wird dann noch eiskalt.

Airolo, knapp 1200 Meter hoch, ist unsere letzte Station. Hinter den Bergflanken am Bedretto-Tal liegt schon Italien. Wir checken mit unseren letzten Devisen im Hotel Motta ein. Es wirkt hell, modern, und die Chefin gibt uns 20 Franken Rabatt, weil wir zwei Nächte bleiben! Das kostet zusammen  260 Franken. Im Restaurante Bedrelli geben wir die letzten Franken für Pizza und Schnitzel aus. Trinken Bier – und trotzdem stehen keine 70 Franken auf der Rechnung. Laut Karte wären mehr als 80 fällig gewesen. Ausnahmsweise bekommt die nette Bedienung zwei Franken  Trinkgeld. Weil sie so schlecht in Mathe ist.

Es kommen Araber und Chinesen

Ohne Scheiß jetzt: Für die Wanderwoche in der Schweiz habe ich gut tausend Euro ausgegeben! Kein Wunder, dass wir unterwegs keine anderen Deutsch-Touristen getroffen haben. Nur ein paar alte Schweizer. Einmal gingen die Pferde mit mir durch. Nachdem wir uns den Fünf-Franken-Kaffee in der modernistischen Ski-Bergstation verkniffen hatten, fuhr ich ein älteres Wanderer-Pärchen an: „fühlen Sie sich nicht einsam in  diesem irrwitzig teuren Land? Wir sind bestimmt die letzten ausländischen Touristen, die hier vorbeikommen. Man kann keinem empfehlen, in die Schweiz zu reisen!“ Sie guckten ein wenig ertappt.

Es stimmt ja auch nicht. Die Zahl der Logiernächte in der Schweiz nahm im Juli 2015 um 3,7 Prozent zu. Von Januar bis Juli wuchs sie um 0.2 Prozent  auf 21.1 Millionen Übernachtungen, meldet das Bundesamt für Statistik der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Und das, obwohl man seit Februar nicht mehr 1,20, sondern nur noch 1,07 Franken für einen Euro bekommt.  Um sagenhafte 274 Prozent wuchsen die Übernachtungszahlen von Gästen aus den Golfstaaten.  Die Chinesen bescherten den Schweizern 55 000 Hotel-Nächte  mehr als im Vorjahr. Die Schweizer haben das mit einem Trick erkauft. Im Sommer verschifften sie einen drei Tonnen schweren Felsblock ihres National-Bergs Rigi nach China. Im Gegenzug bekamen sie ein acht Tonnen schweres Stück vom Heiligen Berg Emei Shan. Den montierten sie auf der knapp 1800 Meter hohen Rigi-Kulm in der Schwyz. Seitdem lassen sich die Chinesen in Sonderzügen auf den schweizer Berg chauffieren, um sich mit dem chinesischen Felsklotz zu fotografieren. Mag es so viele Franken kosten wie es wolle.

Jedes dritte Hotel wird schließen

Doch es gibt kein Happy End.  Die Araber und Chinesen werden die Schweizer Tourismusbranche nicht retten.  In den einsamen Tälern und Hochplateaus wird mit an absehbarer Zeit kaum noch Übernachtungsmöglichkeiten finden. Die vielen Übernachtungen finden meist in Zürich und Luzern statt. Die Wanderer und Skifahrer aus Europa bleiben weg.  Allein im Juli 2015 sank die Zahl ihrer Übernachtungen um 145 000 oder zehn Prozent. Am größten ist das Minus in Graubünden, wo wir gewandert sind.  Bei diesem erlittenen Preis- und Service-Niveau wundert mich das nicht.  Kurt Baumgartner betreibt drei Hotels in der südlichen Schweiz. In der Zeitung „Schweiz am Sonntag unkte er am 23. August: „Ich glaube, dass in den nächten Jahren in Graubünden, Tessin und Wallis rund ein Drittel der Hotels aufgibt.“ Manche Hotels und Pensionen seien nur noch zu einem Drittel ausgelastet. „Diese Hotels sind akut gefährdet“. Vielen würden Waren nur noch gegen Bargeld geliefert.

Wenn die alten Gasthöfe dann dicht sind, könnte man sie ja zu Eigentumswohnungen umbauen. Oder Flüchtlinge darin unterbringen, wie es in Deutschland ein löblicher Brauch ist. Nicht so in der Schweiz: Seit 2013 gilt eine staatliche Vorschrift, entnehme ich dem österrreichischen „Kurier“: Wenn in einer Gemeinde die Zahl der Zweitwohnsitze mehr als 20 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes übersteigt, sei eine Umnutzung des Hotels ausgeschlossen. Also quasi überall in den schönen Berggegenden. Damit keine Geister-Orte entstehen. Dabei sind sie es schon längst.

Ein Gedanke zu „Ohne Scheiß jetzt…“

  1. Richtigstellung:
    -Das auf dem Foto ist das Restaurant Post in Vrin, im 1888 erbaut
    – Das Hotel Péz Terri wurde im 1923 erbaut
    – 140.- inkl. reichhaltiger Frühstück und Kurtaxe für 2 Personen
    – Dusche war im Zimmer vorhanden, Toilette auf der Etage
    – Ist ein Fernseher wirklich immer nötig? Will man nicht ab und zu die Ruhe geniessen und auf Luxus verzichten? Wenn man Luxus braucht ist man in Vrin am falschen Ort
    -„fünf Scheiben Jagdwurst“, man kann auch alles schlecht machen, übertreiben und ein Schwachsinn schreiben
    -eine Stange Calanda kostet 3.80 und sicherlich habt ihr nicht 6.- für eine Stange bezahlt

    Nächstes Mal bitte die ganze Wahrheit schreiben bevor man einfach irgend ein Schwachsinn veröffentlicht

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