Der Weg zur Macht
Von Bruno Rieb
„Die ‚Machtergreifung‘ 1933 in Rhein-Main“ ist das Thema einer Broschüre, die von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, der Kultur-Region Frankfurt-Rhein-Main und Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg herausgegeben wurde. Darin wird untersucht, wie sich die Nazis in hessischen Kommunen durchsetzten. Ein spannendes Thema angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus heute.„Machtergreifung“ oder „Machtübernahme“?
„Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler mit Hilfe nationalkonservativer Politiker, darunter Franz von Papen und Alfred Hugenberg, an die Spitze einer Koalitionsregierung zwischen NSDAP und DNVP berufen und vom Reichspräsidenten der Weimarer Republik Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Die neue Regierung unter Hitler leitete unmittelbar in den Wochen und Monaten danach die schrittweise Auflösung aller demokratischen Strukturen der Weimarer Republik ein und ersetzte sie durch ein totalitäres, menschenverachtendes Regime“, heißt es in der Einleitung.
Ist „Machtergreifgung“ der richtige Begriff? Er transportiere, dass die Nationalsozialisten am 30. Januar die Macht in einer Art „Staatsstreich“ gegen die herrschende Elite der Weimarer Republik erobert hätten. „Es handelt sich um einen technischen, funktionalen aber auch heroischen Begriff, der den kämpferischen Akt betont“, wird festgestellt. „Machtübernahme“ hingegen sei nicht nur eine auch im Nationalsozialismus gebräuchliche Vokabel, sondern werde auch häufig in der Geschichtsschreibung verwendet, um darauf hinzuweisen, dass die „Machtergreifung“ kein punktuelles Ereignis war. „Machtübernahme“ meine vielmehr eine Art Prozess oder Transformation, bei der der gesellschaftsgeschichtliche Kontext eine große Rolle spielt.“
Wie auch immer, der Fokus der Beiträge liegt darauf, wie sich der Machtwechsel lokal vollzogen hat. „Wie entscheidend war die Stärke beziehungsweise die Schwäche der lokalen NS-Parteiorganisationen für die ‚Machtergreifung‘? War die ‚Machtergreifung‘ von oben gesteuert oder nahmen die NS-Akteurinnen und Akteure vor Ort Rücksicht auf lokale Gegebenheiten? Welche Ereignisse trugen zur Radikalisierung beziehungsweise zur Entradikalisierung der ‚Machtergreifung‘ bei?“, wird in der Einleitung gefragt.
Das rote Offenbach wehrt sich
Barbara Leissing blickt in ihrem Beitrag „Das rote Offenbach“ auf Gewalt und Widerstand. „Direkt nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 organisierten die Nationalsozialisten den ersten Fackelzug, der mit etwa 150 Teilnehmenden durch die Stadt marschierte. Auf dem Wilhelmsplatz fand eine Kundgebung von KPD, SPD und SAP mit rund 2.000 Personen statt. Es wurde zur Einheitsfront gegen die NS-Bewegung aufgerufen. Trotz der Appelle, Ruhe zu bewahren, kam es schon am Abend zu gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen den Nationalsozialisten und der Eisernen Front. Auf beiden Seiten wurde der Vorwurf erhoben, die Polizei würde für die jeweils andere Seite Partei ergreifen. Die Auseinandersetzungen setzten sich fort, sodass am 1. Februar etwa 3.000 Personen durch die Stadt zogen. Die Parole lautete: ‚Das rote Offenbach bleibt rot! Einmütiger Protest der Offenbacher Arbeiter gegen das Hitler-Kabinett! Der Streit ist begraben’“. Auf der großen anschließenden Kundgebung auf dem Wilhelmsplatz wurde von Rednern der SAP, KPD und SPD die Einigkeit gegen Hitler beschworen.“
Es half nicht. „Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 und Hindenburgs ‚Verordnung zum Schutz von Volk und Staat‘ begannen auch in Offenbach die Verhaftungen von Mitgliedern der KPD, SPD, der Gewerkschaften, des Reichsbanners und der Eisernen Front. Schon am 1. März durchsuchte die Polizei sämtliche Wohnungen von KPD- und SPD-Funktionären. Bei den Reichstagswahlen am 5. März erhielt die NSDAP schließlich mit 32 Prozent in Offenbach die meisten Stimmen, gefolgt von SPD, KPD und dem Zentrum.“ Und Eine Woche nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 wurde auch in Offenbach die Stadtverwaltung gleichgeschaltet. Leissing: „Zu den ersten Entlassenen im Rathaus zählte Oberbürgermeister Dr. Max Granzin (1873–1940), ein aus Berlin stammender Jurist und SPD-Mitglied, der seit 1919 als erster Nachkriegs-Oberbürgermeister die Entwicklung der Stadt geprägt hatte. Auch die Bürgermeister Rech und Aull (geb. 1880), der sich 1938 das Leben nahm, sowie Stadtdirektor Tzschech wurden gezwungen, ihre Posten zugunsten von NSDAP-Leuten zu räumen. Die NSDAP übernahm die Macht in Offenbach.“
Wie ein Lokalblatt die Nazis hofiert
Carsten Parré beschreibt die Rolle des „Büdinger Allgemeinen Anzeigers“ (BAA). „Der ‚Büdinger Allgemeine Anzeiger‘ 1933. Eine Regionalzeitung offenbart Büdingens willfährigen Marsch in die NS-Diktatur“ heißt sein Beitrag. „Der BAA wurde augenscheinlich schon wenige Tage nach der Wahl gleichgeschaltet. Die Rubrik ‚Aus den Parteien‘ erschien ab dem 11. März nicht mehr. Sie wurde obsolet, da nun außer der NSDAP keine andere Partei mehr positive Erwähnung fand.“
Den 1. Mai, den „Tag der Nationalen Arbeit“ der Nazis 1933 feiert das Blatt laut Parré so: „Ein Festtag liegt hinter uns, wie ihn Büdingen wohl noch niemals erlebt hat […]“. Die Stadt war ein Flaggenmeer, ‚alle‘ waren auf den Beinen und beteiligten sich an dem Festzug. Im Vorfeld hatten die NSDAP-Ortsgruppe, die Stadtverwaltung, der Ortsgewerbeverein, die ‚Arbeitsgemeinschaft Büdinger Vereine‘ und auch die Büdinger Schulen zur Teilnahme aufgerufen. Zum Programm gehörten ‚deutsche Tänze‘, Reden, Spiele und das gemeinsame Lauschen der Hitlerrede im Radio. Der propagandistische Zeitungsbericht behauptet zudem, dass sich ‚der Dank der Festesfrohen dem Manne gegenüber, der […] aus einem mißhandelten, verzweifelten, zerrissenen Volk wieder eine hoffende Einheit‘ gemacht habe, ‚in tausendfältigem ‚Heil Hitler‘ kündete’“
Die Ereignisse in der Region werden beleuchtet
Die Beiträge stammen aus einem interregionalen Symposion anlässlich des 90. Jahrestages der „‘Machtergreifung‘ 1933 in Rhein-Main“. Eingeladen hatten das Projekt „Geist der Freiheit“ der KulturRegion FrankfurtRheinMain, das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 und die Volkshochschule Aschaffenburg.
Nun liegt der druckfrische Sammelband mit Beiträgen des Symposions vor. Auf 112 illustrierten Seiten werden die politischen Ereignissen vor 91 Jahren in der Region beleuchtet. Die Beiträge von haupt- und ehrenamtlich Engagierten in der regionalen Geschichtsforschung, der Erinnerungskultur und der Geschichtsvermittlung berichten neben den gewalttätigen Auseinandersetzungen im „roten Offenbach“ auch von den „Chaostagen“ in Großostheim oder über die Gleichschaltung an der Preußischen Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Geisenheim.
„Die ‚Machtergreifung`1933 in Rhein-Main. Forschungen, Werkstattberichte und Impulse“ steht in Kürze in den Bibliotheken der hessischen Hochschulen sowie in sämtlichen kommunalen Bibliotheken und Archiven in der Rhein-Main-Region zur Verfügung. Kostenfreie Exemplare sind über die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, die Geschäftsstelle der KulturRegion FrankfurtRheinMain und das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg erhältlich. Darüber hinaus steht die Publikation zum Download unter krfrm.de zur Verfügung.