Nationalversammlung

Nicht besonders demokratisch

Von Bruno Rieb

Die erste Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche vor 175 Jahren wird als Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland gefeiert. Doch sehr demokratisch ging es nicht zu. Das aufstrebende Bürgertum bekämpfte die zart keimende Arbeiterbewegung.

Arbeiterbewegung wird unterdrückt

Bei den offiziellen Feierlichkeiten des 175. Jahrestages der Nationalversammlung fehlten kritische Töne zum Demokratieverständnis dieses Gremiums, beklagten Dieter Wesp, Frankfurter Stadthistoriker mit dem Schwerpunkt Sozial- und Arbeitergeschichte und Vorsitzender des Vereins für Frankfurter Arbeitergeschichte, und Harald Fiedler, langjähriger Frankfurter DGB-Vorsitzender und ebenfalls im Vorstand des Vereins für Frankfurter Arbeitergeschichte im Gespräch mit dem Landboten.

Kurz bevor die Nationalversammlung am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, „meldete sich zum ersten Mal und ohne Anonymität die Frankfurter Arbeiterbewegung zu Wort“, berichtet Dieter Wesp, Frankfurter Stadthistoriker mit dem Schwerpunkt Sozial- und Arbeitergeschichte und Vorsitzender des Vereins für Frankfurter Arbeitergeschichte. Mit einem Aufruf „An die Arbeiter“ wurde für den 14. Mai zu einer Arbeiterversammlung „im Lokale der städtischen Reitbahn“ eingeladen. Die dort Versammelten gründeten den Arbeiterverein Frankfurt und beschlossen die Herausgabe einer Zeitung. Die „Allgemeine Arbeiterzeitung“ sollte zweimal in der Woche erscheinen und „die politischen Ereignisse vom Standpunkt des arbeitenden Volkes“ besprechen.

Christian Esselen

Zum provisorischen Präsidenten des Vereins war Christian Essellen gewählt worden, der zusammen mit Eduard Pelz auch für die Zeitung verantwortlich zeichnete. Die erste Ausgabe der Arbeiterzeitung erschien bereits am 18. Mai, dem Tag, an dem die Nationalversammlung zusammentrat. Die Versammlung war nicht sehr demokratisch entstanden. Frauen durften nicht wählen, damit war etwa die Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen. Aber auch ein beträchtlicher Teil der Männer war nicht wahlberechtigt, „Unselbständige“ wie Handwerksgesellen oder Dienstboten zum Beispiel. Wesp schätzt die Zahl auf etwa fünf Millionen oder 20 Prozent.

Radikale Demokraten

Der Arbeiterverein prangerte das auf originelle Weise an: Er rief alle, „welchen die Ausübung ihres Wahlrechts bei den in Frankfurt stattgefundenen Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung entzogen war“, zur Wahl eines Abgeordneten auf. Allerdings waren auch hier die Frauen ausgeschlossen. Gewählt wurde Christina Essellen. Laut Wesp gibt es Hinweise, dass Essellen dem Bund der Kommunisten „mindestens nahestand“. Wesp: „Nach Haltung, Selbstzeugnis und allem weiteren, was wir aus Schrift und Tat dieses Mannes lesen können, war er ein radikaler Demokrat und Sozialreformer, der in der Revolution von 1848 dort, wo er wirkte, für die Arbeiter und unteren Volksklassen das aufgrund der gegebenen Verhältnisse Nächstliegende und der vorhandenen Kraft Angemessene tun wollte. Das gilt auch für
Eduard Pelz.“

Wahlaufruf des Arbeiterverine für die Nichtwahlberechtigten.

Das Treiben der beiden gefiel dem Frankfurter Bürgertum gar nicht. In einer „Bürgeradresse“ wurde der Senat der Stadt aufgefordert, gegen die beiden vorzugehen. Noch am 24. Mai, dem Tag mit dem die Bürgeradresse datiert war, wies der Senat die Polizei an, Pelz und Essellen vorzuladen und sie auszuweisen: Sie sollen bis 16 Uhr die Stadt verlassen, weil sie „durch ihre Reden in den Volksversammlungen und durch ihre Aufreizungen zu Demonstrationen in der von ihnen redigierten Arbeiterzeitung den Unwillen der Bürgerschaft erregt hätten“. Pelz und Essellen stellten in einem Protestschreiben fest: „Während das Parlament in der Paulskirche ein einiges, freies Deutschland gründen will, acht Wochen nach dem Vorparlament, das die allgemeine Heimatsberechtigung, das freie Staatsbürgerrecht durch ganz Deutschland aussprach, wagt man, in der Republik Frankfurt zwei Schriftsteller auszuweisen“.

Essellen und Pelz wichen der Gewalt. Begleitet von vielen hundert Vereinsmitgliedern zogen sie nach Bockenheim, weiter nach Rödelheim und Höchst und schließlich nach Bad Soden.

Wie hoch die Empörung über die reaktionäre Politik der Nationalversammlung war, zeigte sich übrigens am 18. September 1848. Da kam es zum Frankfurter Aufstand, nachdem die Nationalversammlung dem Waffenstillstand von Malmö zugestimmt hatte. Der nationale Befreiungskampf Schleswig-Holsteins wurde mit dem Waffenstillstandsvertrag untergraben. Dagegen gingen in Frankfurt vor allem Mitglieder der Arbeiter- und Turnvereine auf die Barrikaden. Der Aufstand wurde von österreichischen und preußischen Truppen niedergeschlagen.

Titelbild: Der Kopf der dritten Ausgabe der Allgemeinen Arbeiter-Zeitung

dieterwesp.de

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