Südtiroler Archäologiemuseum klärt auf
Von Michael Schlag
Vor mehr als 30 Jahren wurde die Leiche eines über 5000 Jahre alten Mannes im Eis der Ötztaler Alpen gefunden. Das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen widmet sich der Frage, wie er zu Tode kam.Das Eis hat die Leiche konserviert
19. September 1991, 13:30 Uhr: Bergwanderer entdecken einen menschlichen Körper im Eis der Ötztaler Alpen. Nach vielen Spekulationen über Herkunft und Alter gelingt im Januar 1992 der Nachweis: Der Mann aus dem Eis ist mehr als 5000 Jahre alt, wissenschaftlich gesagt ist es eine „jungneolithische Mumie aus dem Gletscher vom Tiesenjoch.“
Für Wissenschaftler vieler Disziplinen war „Ötzi“ – so hieß er bald im deutschsprachigen Raum – eine Sensation: Eine vollständig erhaltene Mumie aus der Zeit um 3000 vor Christus. Das Eis hatte auch alle organischen Bestandteile des Fundes konserviert: Kleidung, Waffen, Ausrüstung aus Holz, Speisevorräte, Mageninhalt, Ötzi gab ungeahnte Einblicke in die Lebenswelt und die technischen Fähigkeiten der beginnenden Kupferzeit. Der Fund erlaubte sogar die Diagnose mancher Krankheiten: Für damalige Verhältnisse war Ötzi mit etwa 46 Jahren schon sehr alt, er litt an schmerzhafter Arthrose, im Verdauungstrakt quälten ihn Würmer, im Magen Helicobacter.
Pfeilspitze aus Stein in der Schulter
Aber wie kam er zu Tode? Der 2. Stock im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen widmet sich allein dieser Frage. Zunächst sah es nach einem Unfall aus, vielleicht auch Erschöpfung im Hochgebirge. Aber 2001, zehn Jahre nach dem Fund, entdeckte ein Radiologe bei der Auswertung eines Röntgenbildes eher zufällig einen Fremdkörper in der linken Schulter der Mumie. Das Objekt erwies sich als Pfeilspitze aus Stein.
Und damit begannen die Ermittlungen in einem 5000 Jahre zurückliegenden Tötungsdelikt. Jetzt, wo man wusste, wonach man suchen musste, entdeckte man auch ein zwei Zentimeter großes Einschussloch im Rücken. Der Autopsiebericht, wiedergegeben in der Ausstellung im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, liest sich, als sei es gestern gewesen: „Das Geschoss steckte noch im Körper und hat die Arterie, die zum linken Arm führt, in einem Abschnitt von 13 mm aufgerissen. Als Folge der Schussverletzung bildete sich ein Bluterguss zwischen Schulterblatt und Brustkorb“. Todesursache: Verbluten nach heftiger Verletzung der Schulterarterie.
Es ging aber noch genauer, jede neue wissenschaftliche Methode gewann in den folgenden Jahren mehr Informationen aus dem Mann aus dem Eis. 2010, mittlerweile 19 Jahre nach dem Fund, konnten zum ersten Mal rote Blutkörperchen in der vermeintlich blutleeren Mumie nachgewiesen werden. Zudem ließ sich in der Pfeilwunde Fibrin aufspüren, ein Stoff des Gerinnungssystems, der sich nach erfolgter Blutgerinnung sehr rasch wieder abbaut. Hier war er noch intakt, der Mann im Eis konnte die Schussverletzung also nicht lange überlebt haben, er musste innerhalb von Minuten verblutet sein.
Aus größerer Distanz getötet
Aber wie wurde er erschossen? Ballistische Versuche gaben darüber Aufschluss. Pfeil und Bogen der Kupferzeit – wie Ötzi sie auch selber bei sich hatte – waren tödliche Waffen. Selbst aus einer Entfernung von 20 Metern abgeschossen durchschlägt ein Pfeil ein Tier. Ötzi muss mithin aus noch größerer Distanz getötet worden sein, sonst wäre die Pfeilspitze nicht in seinem Körper stecken geblieben. Ganz offenbar ein Mordfall, ein Schuss in den Rücken, aus dem Hinterhalt. Konnte man die Umstände noch genauer rekonstruieren, ließ sich nach so langer Zeit noch eine Fallanalyse machen? Der Mann aus dem Eis hatte auch eine Kopfverletzung, wie nach einem Sturz oder einem Schlag. Und eine weitere schwere Verletzung an seiner rechten Hand: eine nicht verheilte tiefe Schnittwunde zwischen Daumen und Zeigefinger. All das Hinweise auf einen heftigen Kampf Stunden oder Tage vor seinem Tod. Alle Befunde erhellen „die persönliche Tragödie des Mannes aus dem Eis“, wie es in den Unterlagen des Archäologiemuseums heißt. Es spricht einiges dafür, dass Ötzi bereits verletzt auf der Flucht war, bis er in 3210 Metern Höhe getötet wurde. Weitere Rätsel warten auf Klärung: Warum raubte sein Mörder ihn nicht aus, sodass die Gegenstände bis heute erhalten blieben? Und warum ließ er das Kupferbeil bei dem Toten, das damals einen enormen Wert gehabt haben muss?
Das Alles ist 5000 Jahre her, aber das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen bringt einem diese Zeit sehr nahe. Denn mit dem Ötzi, einem Menschen aus der Kupferzeit, hat man ein wenig Freundschaft geschlossen.
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Titelbild: Im zweiten Stock des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen geht es um die Frage, wie Ötzi zu Tode kam.