Geschichten aus aller Welt
von Jörg-Peter Schmidt
Tempo drosseln, Gang raus, verschnaufen, die Seele baumeln lassen: Darum ging es in der Wetzlarer Phantastischen Bibliothek. Und in der Tat nahmen die rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörer (darunter auch einige Kinder) im vollbesetzten Foyer der Bibliothek das Angebot der Goethe-Gesellschaft gern an, von jeglicher Hektik abzuschalten und den Märchen zu lauschen, die die bekannte hr-Moderatorin und Märchenerzählerin Michaele Scherenberg (Foto) mitgebracht hatte.
HR-Moderatorin sammelt Märchen
Die Journalistin, von der man als Fernsehzuschauer beispielsweise die Sendung „Hessen à la carte“ kennt, hat Geschichten aus aller Welt gesammelt, die sie entweder in ihrem Bad Homburger „Wohlfühlhaus“ (einem liebevoll restaurierten Fachwerkgebäude in der Altstadt) oder auf Veranstaltungen frei vorträgt. Als kleines Mädchen bekam sie von ihrer Omi Berta in Aschersleben in der DDR Bücher mit alten russischen Märchen geschenkt. Obwohl sie noch nicht lesen konnte, war sie bereits damals von den wunderbaren Geschichten aus den geheimnisvollen Büchern fasziniert. Diese Begeisterung hält bis heute an und so stellte sie in Wetzlar zwei Märchen aus ihrer Sammlung vor, wobei sie von ihrem Lebenspartner Dr. Reinhard Kobelt auf einer „Hang“ begleitet wurde. Er spielt dieses in der Schweiz entwickelte Instrument aus Metall, das aus zwei miteinander verbundenen Halbkugeln besteht. Mit den Händen oder Fingern „schlägelt“ man auf die obere Schale und es entsteht ein angenehmer Klang.
Michaele Scherenberg und die tapfere Frau
Die Erwachsenen und die Kinder (die Jüngsten saßen direkt vor der Erzählerin auf einer kleinen Holzbank) hörten zuerst das Märchen von einer tapferen Frau, die ein gefährliches Abenteuer meistern muss, um ihrem Mann zu helfen, wieder froh und glücklich zu werden. Die Heldin dieser Geschichte erhält von einer weisen alten Zauberin den Ratschlag, einen Zaubertrank zu kochen – eine der „Zutaten“ bestehe aus drei Haaren eines wilden weißen Bären, das würde helfen. Und tatsächlich gelingt es der Frau, sich ganz allmählich dem misstrauischen Tier zu nähern und Freundschaft zu knüpfen. So braucht sie am Ende gar keinen Zaubertrank mehr, um ihren Ehemann zu heilen: Geduld und Liebe hat sie bei der Begegnung mit dem Tier gelernt und sie kann diese Tugenden nun auch bei ihrem Mann anwenden.
Die Kraft des Suppensteins
Im zweiten Märchen, das die Fernsehjournalistin nach Wetzlar mitgebracht hatte, steht ein erfindungsreicher armer Mann im Vordergrund. Er besucht eine alte Frau mit der Bitte, ihr in ihrer Küche eine Steinsuppe kochen zu dürfen, die zu ihrer Verwunderung nur mit der Hilfe von Wasser und einem bloßen großen Stein zubereitet werden soll. Klar, dass dieses Gericht nicht schmeckt! Aber der Eifer seiner Gastgeberin, irgendwie doch diese Steinsuppe schmackhaft zu gestalten, ist geweckt und ihr Gast bringt die alte Dame und die ebenfalls neugierig gewordenen Nachbarn dazu, noch allerlei Zutaten wie Möhren, Kartoffeln und Speck im Wasser des Topfes zu verteilen. So schmeckt am Ende die Mahlzeit prächtig. Auch der Bürgermeister ist zugegen und er ist besonders angetan von diesem rätselhaften Stein, mit dessen Hilfe sich möglicherweise Wahlerfolge erzielen lassen könnten… Er kauft den Stein, doch muss er nun erst lernen, dass dieser erst in einer freigiebigen Gemeinschaft seine Kräfte als Suppenstein entfalten kann.
Dem Publikum gefielen diese beiden Märchen bestens und die Kinder durften an jeden Gast einen kleinen Suppenstein verteilen. Es gab großen Applaus für Michaele Scherenberg und Reinhard Kobelt. Angelika Kunkel und Thomas Le Blanc luden noch im Namen des Vorstands der Goethe-Gesellschaft zum kleinen Umtrunk und dem Gedankenaustausch mit der Märchenerzählerin bei dieser rundum gelungenen Matinee ein, die durch Gedichte (von Scherenberg vorgetragen) und einen Kanon, den die Zuhörer sangen, abgerundet wurde. Im Übrigen hatte die Journalistin ein orientalisches Café in Kleinformat mitgebracht, das ihr einmal geschenkt worden war. In dieses Miniaturhäuschen sind winzige Möbel hineingestellt. Kinder und Erwachsene durften staunend Einblick nehmen.