Atelier Goldstein goes Marienhausen
Die Werke von KünstlerInnen mit Beeinträchtigungen sind mittlerweile als ebenbürtig anerkannt. Sie werden nicht nur in der Goldstein-Galerie in der Schweizer Straße in Frankfurt, sondern auch in Museen wie der Schirn Kunsthalle ausgestellt, leider fast immer noch unter dem Label ‚Outsider-Kunst‘. Viele ihrer SchöpferInnen sind in der Kunstszene ein Begriff. Doch dass sie einen Kirchenraum neu gestalten, das ist bisher einzigartig. Lange stand die ehemalige Zisterzienserinnenkirche Marienhausen auf dem Gelände des St. Vincenzstifts in Rüdesheim-Aulhausen unbenutzt. Nun erhält ihr Inneres ein neues Gesicht durch ‚behinderte‘ KünstlerInnen, die allesamt seit Jahren im Frankfurter Atelier Goldstein kreativ arbeiten.
Künstler mit Beeinträchtigungen
In Rüdesheim verlasse ich die Rheinuferstraße, es geht aufwärts in den Ortsteil Aulhausen. Im Ort eine Spitzkehre, und schon bin ich an der Pforte des St.Vincenzstiftes. Wie vereinbart, erhalte ich den
Schlüssel zur Zisterzienserinnenkirche Marienhausen, deren Renovierung noch in vollem Gang ist. Es ist Sonntag morgen, bald wird die Predigt des Altbischofs von Limburg, Professor Dr. Franz Kamphaus in der Stiftskirche beginnen. Er hat das Stift als Alterssitz gewählt. Seit 2007 lebt er hier zusammen mit seinen beeinträchtigten – früher sagte man behinderten – MitbewohnerInnen, die ihn schätzen und lieben. Und vice versa ebenfalls. Sein früherer Sekretär, Dr. Dr. Caspar Söling, leitet das Stift, und er war es, der grünes Licht für ein bisher einzigartiges Projekt gab. Das Innere der romanisch anmutenden Kirche mit der hohen Holzbalkendecke aus dem späten 12. Jahrhundert wird nach einer grundlegenden Sanierung nun von KünstlerInnen mit Beeinträchtigung völlig neu gestaltet. Deshalb bin ich hier, ich schwänze also die Predigt des weltoffenen Altbischofs.
Alle KünstlerInnen arbeiten bereits des längeren im Frankfurter Atelier Goldstein, das von der Lebenshilfe getragen und von der genialen Gründerin Christiane Cuticchio bis heute geleitet wird. Genauer, sie arbeiten in irgendwelchen ‚beschützenden‘ Werkstätten und können danach ihre künstlerische Fantasie im Sachsenhausener Atelier voll entfalten. Manche sind mittlerweile international bekannt und auf namhaften Ausstellungen vertreten. So etwa Birgit Ziegert. Vielleicht ist es gerade ihr Down-Syndrom, das ihre schöpferische Kraft so schön beflügelt. Für den Kirchenboden in Marienhausen hat sie einen riesigen stilisierten Engelsflügel entworfen, der in Silber gegossen und bereits appliziert ist. Doch der gesamte Boden ist dick mit schützenden Bauplanen bedeckt, so dass sich das Engelwesen meinen Augen entzieht.
Ein riesiges Gerüst ist aufgebaut, weil noch nicht alle Farbgläser in die Rundbogenfenster eingebaut wurden. Die sind glücklicherweise nicht so riesig wie gotische Fenster, zeigen aber im Maßwerk schon gotische Andeutungen (im deutschen Sprachraum wurde die Romanik relativ spät vom Stil der Gotik verdrängt). Das Dreifaltigkeitsfenster, das den Gekreuzigten, seinen göttlichen Vater und beide dominierend eine weiße Taube zeigt, ist bereits zu bewundern. Ein kleines Teufelchen ist der rechten Figur beigesellt, wohl weil Gut und Böse oft nah beieinander liegen. Auch etliche Fenster in der gegenüberliegenden Apsis sind bereits fertig. Entworfen wurden alle von Andreas Skorupa. Der 1967 geborene Künstler ist Autist und drückt sich lieber durch künstlerisches Gestalten denn durch Sprache aus. Seit mehreren Jahren ist er Mitglied im Goldstein-Atelier. Er hat sich intensiv mit der Kirchenhistorie auseinandergesetzt und eine sehr eigenwillige, zeitgemäße Interpretation der Protagonisten geschaffen. Für mein Empfinden sind sie ins Ungewisse, Rätselhafte gesetzt, was durch die eher zarten Farben und Linien unterstrichen wird.
Die Glaubensgewissheit des Spätmittelalters drückte sich dagegen in einem kräftigen Stil und intensiven Farben aus, wie sie etwa die fünf Apostel des Augsburger Doms verkörpern. Diese Glasfenster sind die ältesten gut erhaltenen der Welt und bereits im 11. Jahrhundert entstanden. Damals musste die Botschaft leicht verständlich sein, konnten doch die Laien nicht lesen. Die kräftigen Farben, die dann in der Gotik noch intensiver und leuchtender wurden, sollten die Betrachter überwältigen. Heute überlässt es der Künstler Skorupa den Betrachtern, seine Darstellung des Heiligen nach ihrem Gusto zu interpretieren.
Diffizile Glaskunst
Realisiert wurden seine Entwürfe im Glasstudio Derix in Taunusstein. Eine solche Arbeitsteilung ist üblich, auch das von Gerhard Richter für den Kölner Dom entworfene Fenster mit seinen vielfarbigen kleinen Quadraten wurde bei Derix ‚produziert‘. Die Glaskunst ist eine diffizile Kunst, die Erfahrung voraussetzt. Allein schon die Tatsache, dass die Glasfarben bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen eine unterschiedliche Ausstrahlung haben, muss bei Glasfärbung und -struktur beachtet werden. An der Technik der Glaskunst hat sich seit hunderten von Jahren wenig geändert. Das in Farbe und Struktur passende Glas wird in Zusammenarbeit mit dem Künstler sorgfältig ausgesucht, nach seinen Entwürfen zugeschnitten und durch dünne Bleiruten miteinander zu einer Scheibe verbunden. Danach erfolgt die Bemalung über die unterschiedlichen Farbfelder hinweg, um etwa Gesichter oder Kleidfalten anzudeuten. Die Malerei gewinnt durch Brennen ihre Dauer.
Sind die Bodenplanen in der Kirche Marienhausen erst einmal entfernt, hält die aus einem dicken Eichenstamm geschnitzte Christusfigur Einzug. Sie hängt nicht an einem Kreuz wie meist in der christlichen Ikonografie, sondern wird lebensgroß inmitten der künftigen Gäste von kirchlichen oder kulturellen Veranstaltungen stehen. Ein Werk des Bildhauers Julius Bockelt, der die große Figur in einer Lagerhalle bearbeitet, weil sie die Kapazitäten des Ateliers Goldstein sprengt. Wenn dann noch der große Textilvorhang aus dem Atelier Goldstein in den Rheingau umgezogen ist, kann die Einweihung der denkmalgeschützten Kirche wie geplant im Oktober erfolgen.