Engel, Hirten und Könige
Von Elfriede Maresch
In ihrem Krippenmuseum im Niddaer Stadtteil Ulfa zeigt Erica Kernstock 280 Krippen Holz, Keramik, Glas, Textil, Alabaster, Papier, Porzellan, Stanniol, Stroh, sogar aus Metallteilen vom Schrottplatz.Jedes Jahr andere Krippen im Zentrum
Als Erica Kernstock 2004 in einem Nebengebäude ihres Hauses das Krippenmuseum Ulfa eröffnete, war sie seit langen Jahren von solchen Darstellungen fasziniert. Sie besuchte Kirchen in Regionen, in denen die Präsentation von Engeln, Hirten und Königen, von Stall und Krippe Tradition hat: in Köln, im Voralpenland. Ebenso war sie auf Messen, Märkten, in Museen unterwegs und begann selbst, solche Weihnachts-Ensembles zusammen zu tragen. Inzwischen besteht ihre Sammlung aus 280 Krippen in verschiedensten Materialien: Holz, Keramik, Glas, Textil, Alabaster, Papier, Porzellan, Stanniol, Stroh, sogar aus Metallteilen vom Schrottplatz. In ihrem Museum, das jedes Jahr von der Adventszeit bis Anfang Januar geöffnet ist, zeigt sie ein Großteil ihrer Sammlung.
Fragt man Erika Kernstock nach ihrer liebsten oder wertvollsten Krippe, kann sie sich einfach nicht entscheiden, zu viel Fantasie, Geschick, Aussagekraft steckt in den einzelnen Figurenensembles. So nimmt sie sich die Freiheit, in jedem Jahr andere Krippen hervorzuheben, denen gerade ihr besonders Interesse gilt.
Staniolkrippe aus Krakau
Wie ein Palast aus Tausend und einer Nacht sieht eine schimmernde Stanniolkrippe aus Krakau aus. Bei so viel exotischer Verspieltheit muss man die eigentliche Weihnachtsgeschichte erst entdecken. Maria und Josef stehen winzig vor der hohen Front mit den Türmen und Kuppeln, erst nach und nach entdeckt man die Engel in den Fensterbögen. Anscheinend zeigen in der polnischen Stadt jedes Jahr Künstler ihre fragilen Werke aus Folien. Manche seien bis zu fünf Metern hoch, erzählt Erica Kernstock – eine märchenhafte Szenerie.
Oder minimalistisch, ganz auf den Kern der Weihnachtsgeschichte reduziert? Über die Künstler, die die beiden Lindenholzplastiken von Maria mit ihrem Kind geschaffen haben, konnten Kernstock nichts in Erfahrung bringen, nur bei der helleren Figur das Entstehungsjahr 1963. Kernstock: „Beide sind nicht farbig gefasst, verzichten auf Details, aber wie viel Zärtlichkeit, wieviel Fürsorge der Mutter, wieviel Geborgenheit des Kindes drücken sie aus!“
Die Sammlung ist an ihre Grenzen gekommen
„Drei Generationen-Präsentation“ könnte man eine Vitrine beschildern, in der Papierkrippen gezeigt werden: eine von 1902, eine von 1947, eine aus der Jetztzeit. Allerdings stammen sie aus drei verschiedenen Quellen. Typisch ist das Gespräch, das die Vorbesitzerin der ältesten Krippe mit Erika Kernstock führte: „Nehmen Sie doch das Ganze. Seit Jahrzehnten hatte ich alles unter dem Weihnachtsbaum aufgebaut und jetzt soll ich es in den Mülleimer werfen? Meine Kinder haben kein Interesse daran!“ Dann kam Kernstocks schon „klassische“ Frage: „Wie groß ist die Krippe denn?“ „So dass ich sie zusammenfalten und Ihnen in einem Umschlag schicken kann.“ „Dann nehm ich sie!“ Denn auch Kernstocks Sammlung ist inzwischen an Grenzen des Stauraums gekommen. An einer Beschriftung auf der Rückseite hat die Sammlerin herausgefunden, dass die zweite Papierkrippe wohl aus dem England der frühen Nachkriegszeit stammt – vielleicht eine Spende an ein Kinderheim oder ein Krankenhaus? Einen reizvollen Kontrast zu den bunten figurenreichen Darstellungen der beiden anderen bietet die kleine, geradezu minimalistische Darstellung, die Kernstock im Shop des Kölner Doms gekauft hat: ein halbkreisförmiger Nachthimmel mit dem Weihnachtsstern, davor eine schattenhafte Stadtsilhouette, im Vordergrund, weiß, vielleicht verschneit, der Stall mit den Tieren, mit den Umrissen des heiligen Paares, des Kindes in der Krippe.
Krippe der Nationen
Am Ende der Ausstellung, schon im Foyer des Museums hat Erica Kernstock ein Keramik- Ensemble aufgebaut, das man als „Krippe der Nationen“ bezeichnen könnte. Menschen aus vielen Ländern kommen von beiden Seiten zum Stall, der eher einem der würfelförmigen Häuser des Südens gleicht. Man glaubt an Hautfarbe und Typ indigene Menschen, solche aus Asien, aus Europa, aus Afrika zu erkennen, selbst eine sehr zierliche, damenhafte Frau im Kimono ist unterwegs – „Madame Butterfly“ auf dem Weg nach Bethlehem? Jede Figur ist charakteristisch gestaltet: einige Hirten halten ein wenig schwerfällig die Hand ans Ohr, können die Engelbotschaft noch nicht so recht glauben. Eine Wasserträgerin greift mit elegantem Schwung des Arms eine Amphore auf ihrem Kopf, Maria hat schützend ihr Kind in ihrem großen Mantel gewickelt, nur das Köpfchen schaut heraus. Die Krippe stammt aus dem Jahr 1952, wurde von einem Apotheker-Ehepaar gestiftet, das sie Jahrzehnte lang in jeder Adventszeit in seinem Schaufenster in Frankfurt ausstellte. Die Figuren sind frei geformt, wahrscheinlich zweimal gebrannt, wobei bei Einzelnen die Bemalung als Glasur mitgebrannt wurde, andere scheinen erst zum Schluss die farbige Fassung bekommen zu haben. Erika Kernstock hat schon mehrfach im Internet den Namen der Künstlerin, Eva Kurr, eingegeben, über die sie gern mehr erfahren möchte – bisher erfolglos.
Das Krippenmuseum ist in Nidda-Ulfa in der Steinstraße 34. Der Eintritt ist frei, donnerstags bis sonntags von 15 bis 18 Uhr, auch an den Feiertagen, sind Interessierte willkommen. Der letzte Öffnungstag ist der 31. Dezember 2022.
Titelbild: Drei Generationen von Papierkrippen hat Erica Kernstock hier zusammengestellt