Funde in 3D
Von Corinna Willführ
Vor einem Jahr startete die Kooperation der Keltenwelt am Glauberg mit dem Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. Seitdem werden die Funde aus den Fürstengräbern kontinuierlich gescannt und damit in neuester Technik dreidimensional dokumentiert und damit – nicht zuletzt – weltweit sichtbar. Vier Beispiele haben Dr. Vera Rupp, Direktorin des Museums, und ein Kuratoren-Team für eine Sonderausstellung ausgewählt, um die Möglichkeiten aufzuzeigen, die die „Keltenwelt digital – 3D-Scanning in der Archäologie“ bietet.Von allen Seiten betrachtet
Einmal die aus dünnem Bronzeblech zusammengesetzte Kanne aus dem Herrschergrab 2 in Händen halten, sie drehen und wenden, sie aus der Nähe begutachten: Mit dem Original wird dies niemals möglich sein. Doch mittels 3D-Scanning lässt sich in der aktuellen Sonderausstellung der Keltenwelt am Glauberg der 2400 Jahre alte Artefakt als virtuelles Modell „Von allen Seiten betrachten“. Man braucht nur etwas Geschick, um mit Gesten zwei virtuelle „Hände“ das archäologische Prunkstück zu greifen und nach Wunsch auf einem großen Bildschirm zu bewegen. Eine 3-D-Brille, wie sie etwa im Kino für ein dreidimensionales Filmerlebnis benötigt wird, braucht es bei dieser Technik nicht.

Neben „Von allen Seiten betrachtet“ bietet die Sonderausstellung drei weitere Beispiele, wie 3-D-Scanning in der „Keltenwelt digital – 3D-Scanning in der Archäologie eingesetzt wird. Beispiel 2 zeigt unter der Überschrift „Immer verhältnismäßig korrekt“ zwei Darstellungen des Brustpanzers, der bei der Sandsteinfigur des Keltenfürsten etwa 70 Zentimeter misst, bei einer zweiten Figur, sitzend auf dem Rand der bronzenen Kanne, nur wenige Zentimeter. Das besondere: Die beiden Figuren, die in einer Glasvitrine präsentiert werden, stammen aus einem 3D-Drucker. Christoph Röder, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Keltenwelt: „Dank der 3D-Technologie können die Maßstäbe angepasst und beide Panzerdarstellungen gleich groß dargestellt werden. Ob in verkleinerter oder vergrößerter Form, die Relationen sind dank der digitalen Oberflächenerfassung immer korrekt.“ Eine Erläuterung, die die Besucher über kurz gefasste Informationstafeln erhalten. Auch am Beispiel 3, dem im Maßstab 8:1 ausgedruckten Modell der reich verzierten Gewandspange aus Grab 1, ist einem Text das Wesentliche zu entnehmen. Übergroße Modelle aus 3-D-Druckern „sind ein wertvolles Hilfsmittel zum Betrachten und Anfassen in der musealen Vermittlungsarbeit.“


Bei der Vermittlung der neuen Sparte „Keltenwelt digital“ hat das Kuratorenteam, zu dem neben Christoph Röder, Thomas Lessig-Weller, der Museumspädagoge in der Keltenwelt, auch Pedro Santos, Leiter der Abteilung Digitalisierung von Kulturerbe am Fraunhofer-Institut in Darmstadt und sein Kollege, Diplom-Ingenieur Matevz Domajinko, angehören, bewusst auf ausführliche Texterläuterungen verzichtet. Thomas Lessig-Weller: „Wir sind viele Dinge intuitiv angegangen und denken, dass die Exponate weitgehend selbsterklärend sind und sich durch Schauen und Ausprobieren erschließen lassen.“ Wenn man aufmerksam an der ersten Station die Ausführungen liest, die kurz skizzieren, „Wieso, weshalb, warum?“ 3D-Scanning Vorteile für die Archäologie bietet. Etwa, weil es die Dokumentation von Funden ermöglicht, Details sichtbar machen kann und vor allem durch die Darstellung und Verbreitung über das Internet Menschen in aller Welt die Möglichkeit gibt, sich auch die einzigartigen Funde vom Glauberg dreidimensional anzusehen.
Für das Team vom Glauberg ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Frauenhofer Institut für graphische Datenverarbeitung in Darmstadt von größter Bedeutung. Im Oktober 2019 starteten dessen Mitarbeiter unter der Leitung von Pedro Santos das 3D-Scanning (der KA berichtete). „Unsere Kooperation ist eine echte Win-Win-Situation“, sagt Christoph Röder. „Durch die Unterstützung aus Darmstadt realisiert die Keltenwelt ein Programm zur Digitalisierung unseres archäologischen Bestandes. Andererseits ermöglicht die Zusammenarbeit dem Institut, digital-technische Prozesse weiter zu optimieren.“

Aufgrund der Pandemie-Entwicklung musste die für gestern Abend geplante Eröffnung der Ausstellung abgesagt werden. Zumal sich auch die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Andrea Dorn (Grüne), nach einem Positiv-Test in Quarantäne befindet. An ihrer Stelle schickte Staatssekretärin Ayse Asar ein Grußwort an die Keltenwelt: „Die Digitalisierung und die damit entstandenen Möglichkeiten des Neuentdeckens von digitalen Ausstellungsstücken stehen nicht nur für einen besseren Zugang zu Kunst und Kultur in Zeiten einer Pandemie. Sie erschließen auch neue Zielgruppen und schaffen neuartige Erlebnisräume.“ Finanziert wurde die Ausstellung aus Landesmitteln des Wissenschaftsministeriums und des Hessischen Ministeriums für Digitale Strategie und Entwicklung
Es ist nun also im Museum der Keltenwelt beides möglich: sich die Originalfunde anzusehen oder ihre 3-D-Darstellungen. Beides lässt einen Staunen.
Die Sonderausstellung geht bis 14. März kommenden Jahres und kann ebenso wie die Dauerausstellung zu den Öffnungszeiten der Keltenwelt besucht werden. Es wird kein zusätzlicher Eintritt verlangt. Im Museum gilt Maskenpflicht.
Titelbild: Zumindest virtuell kann man die mehr als 2000 Jahre alte Bronzekanne in digitalen Händen halten.