Katerina Poladjan

„Hier sind Löwen“ fesselt und bewegt

von Jörg-Peter Schmidt

Wer Einblick in die armenische Seele nehmen will, hatte jetzt in der Aula der Clemens-Brentano-Europa-Schule (CBES) in Lollar dazu Gelegenheit. Katerina Poladjan las in der gut besuchten Veranstaltung aus ihrem Roman „Hier sind Löwen“, der 2019 für den deutschen Buchpreis nominiert war.

Die rund 50 Zuhörinnen und Zuhörer waren während der von Thomas Zwerina moderierten Lesung, die von der CBES mit Unterstützung durch das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis  organisiert worden war, gefesselt, bewegt und nachdenklich gestimmt. Sie konnten sich selbst einen Eindruck machen, warum die Erzählung der 1971 in Moskau geborenen Autorin, die Ende der 1970-er Jahre nach Deutschland kam, so viele Menschen interessiert. Dieses Buch der Schriftstellerin, Hörspielsprecherin und ehemaligen Schauspielerin, die in Lüneburg Angewandte Kulturwissenschaften studiert hatte, handelt von der Reise der Restauratorin Helen Mazavian  nach Armenien.

Jahrhunderte altes Buch beginnt zu erzählen

Katerina Poladjan. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

Dort soll sie in Eriwan im Zentralarchiv  für armenische Handschriften im Rahmen eines wissenschaftlichen Austauschprogramms eine beschädigte Jahrhunderte alte Familienbibel wieder herstellen. Das Buch, das durch die  Hände so vieler Menschen behutsam, voller Ehrfurcht ging,  zieht  Helen sofort in den Bann, da es zu „erzählen“ beginnt: von der Tradition, mit großer Handwerkskunst und dem Respekt vor der Heiligen Schrift solche kunstvollen Bibeln anzufertigen.  Auch hat jemand  etwas an den Rand des Buches geschrieben: „Hrant will nicht aufwachen“. Im Laufe der weiteren Handlung erfährt man, dass Hrant der sechsjährige Bruder der 14-jährigen Anahid ist. Die  Kinder sind 1915 von den Massen-Ermordungen an Armeniern im Osmanischen Reich  geflohen.

Vom Wahnsinn des Völkermords

Dass Katerina Poladjan ihren Roman auf   Grundlage familiärer Wurzeln und eigener wissenschaftlicher Erfahrungen verfasst hat, erfuhr man in Lollar von ihr selbst, nachdem sie von dem CBES-Schulleiter  Andrej Keller  und Moderator Thomas Zwerina vorgestellt worden war.  Ihr Großvater überlebte im Kindesalter als Armenier den Wahnsinn des bis heute von der türkischen Regierung nicht anerkannten Völkermordes. Poladjan hat Armenien besucht und dort das  Zentralarchiv  für armenische Handschriften kennengelernt. Es ist nach dem Heiligen Mesrop Maschtoz benannt. Er  lebte etwa 360 bis 440 und schuf das   armenische  Alphabet, was in Poladjans Roman  beschrieben wird.

Thomas Zwerina (Foto) moderierte die gut besuchte Lesung. Er ist ­ –  wie so viele Leser ­ – von dem Roman beeindruckt, ebenso wie Schulleiter Andrej Keller. 
Das Heilige Buch gehört zur Familie

Die Autorin rezitierte  in  der CBES-Aula einige Kapitel von „Hier sind Löwen“, das aus zwei Handlungsebenen  besteht.  Da ist zum einen die Zeit, als Helen  die Familienbibel  konserviert. Sie wird unter anderem  von ihrer Chefin Evelina Stepanowna nicht nur in die schwierigen und verantwortungsvollen  Kunst der Buchrestauration in Armenien eingeführt, sondern auch in die Geschichte und das gesellschaftliche   Leben dieser Nation, deren Bürger ihr Land und die Landschaft, die  Traditionen und Gebräuche sehr lieben.   Dabei erfährt Helen auch, welche  Bedeutung Bibeln dort haben: Sie  werden in Familien von Generation zu Generation weitergereicht, versehen  mit persönlichen Anmerkungen, Fürbitten, Notizen über Geburten und Familienjubiläen oder Kochrezepten. Nicht selten bitten Erkrankte darum, dass sie die Bibeln als Kopfstütze verwenden dürfen.

Erschütterndes Schicksal der Kinder

Es kommt noch eine Liebesgeschichte, die Helen in Eriwan erlebt, in dem Roman vor ­ – und   dann gibt es noch die erschütternden  Erlebnisse der beiden Kinder, die vor den Massenmorden   fliehen. Sie  haben  in ihrem Fluchtgepäck die Familienbibel,  die Helen  viele Jahrzehnte später in ihren ursprünglichen  Zustand versetzen soll.  Zwischendurch   begibt sie sich auf die Suche ihren möglichen Verwandten in Armenien, von ihrer Mutter dazu animiert. Das Publikum in Lollar entließ die Schriftstellerin mit langem Applaus

„Hier sind Löwen“ ist im Fischer-Verlag  (Frankfurt/Main) erschienen und kostet 22 Euro (als  Taschenbuch 12 Euro).   Es gibt den Roman auch als E-Book.  

Titelbild: Katerina Poladjan in der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar.(Foto: Jörg-Peter Schmidt)

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