Jüdisches Leben

Ortenberg erinnert

Von Corinna Willführ

Eine Jüdische Gemeinde gibt es in Ortenberg bereits seit 1934 nicht mehr. Nun macht ein außerordentliches Konzert dort in der Evangelischen Marienkirche Menschen mit einem wenig bekannten Genre „Jüdischer Orgelmusik des 19. und 20. Jahrhunderts“ bekannt. Und auf einem Stadtspaziergang erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, was „Schabbes, Schochet und Tscholent“ bedeuten.

Jüdische Orgelmusik

Martin Schindel, Pfarrer der Evangelischen Kirche Ortenberg

Orgelklänge in einer Synagoge? „Nachdem die deutsche Rabbinerversammlung 1845 den Einbau von Orgeln in Synagogen gestattet hatte, wurde in einer ganzen Reihe von Reformgemeinden Orgeln errichtet“, so Martin Schindel, Pfarrer der Evangelischen Marienkirche Ortenberg und Initiator des Konzerts. Etwa in Gießen und Frankfurt wurde der Gesang der jüdischen Gläubigen in Synagogen mit Musik der „Königin der Instrumente“ begleitet. Auch gab es Konzerte auf diesem. „Neben den auf den Gottesdienst bezogenen entstand auch weltliche jüdische Orgelmusik.“ Die etwa im Prater in Wien erklang – oder beim Sechs-Tage-Rennen in Berlin, versteht sich: nicht auf der Orgel. Erstmals erklang am 1. März 1923 die Erkennungsmelodie, beginnend mit vier charakteristischen Pfiffen. Zurück zur Orgelmusik und dem ersten Teil des Konzert-Titeld: Unter dem Begriff Kol Nidre ist laut Wikipedia „eine formelhafte Erklärung, die vor dem Abendgebet des Versöhnungstages (Jom Kippur) gesprochen wird“, zu verstehen.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 „wurde dieser Musik ein jähes Ende gesetzt“, heißt es in der Einladung. Das Konzert am Sonntag, 24. September, 16 Uhr, in der Evangelischen Marienkirche Ortenberg, erinnert an die Werke von sechs jüdischen Komponisten aus zwei Jahrhunderten. Darunter Arthur Chitz (1882-1944) und Siegfried Würzburger (1877-1942).

Ihre weitgehend vergessenen Kompositionen spielt die in Allendorf/Lumda tätige Dekanats-Kirchenmusikerin Dorothea Pavone auf der 1939 eingeweihten Förster-Orgel des protestantischen Gotteshauses. „Drei der sechs Komponisten wurden in Konzentrationslagern ermordet“, teilt Pfarrer Martin Schindel mit. Ein weiterer: Jean Alain (1911-1940) starb als französischer Soldat. Schindel wird den Konzertbesuchern die einzelnen jüdischen Komponisten „in biographischen Miniaturen“ vorstellen.

Der Eintritt zu dem Konzert unter dem Titel „Zwischen Kol Nidre und Wiener Praterleben: Jüdische Orgelmusik des 19. Und 20. Jahrhunderts“ ist frei. Um eine Spende wird gebeten.

Spaziergang auf jüdischen Spuren

Annette Miksch

Bereits am Sonntag, 17. September, lädt die Natur- und Kulturführerin Annette Micksch für 15 Uhr zu einem „Stadtspaziergang auf jüdischen Spuren“ in die Wetteraustadt ein. Die Führung hat den Titel „Schabbes, Schochet und Tscholent“. Miksch in der etwa 1,5 Stunden dauernden Führung Fragen zu den Themen, wie sich einst „das jüdische Leben, die Arbeit und Religion“ gestaltete, beantworten. Etwa in der Synagoge, in den Häusern der Altstadt, der Mikwe oder dem jüdischen Friedhof. Sowohl die Mikwe, am Mühlgraben an der Nidder, wie der jüdische Friedhof, existieren noch. Auch die Grundmauern der ersten Synagoge sind noch vorhanden. Die neue Synagoge ist heute ein Wohnhaus.

Im Fokus des Rundgangs stehen sowohl die Geschichte wie auch das Ende der jüdischen Gemeinde Ortenberg durch das nationalsozialistische Regime. Für den Besuch des Friedhofs ist eine Kopfbedeckung mitzubringen. Treffpunkt für die Tour ist am Carl-Fries-Platz vor der Sparkasse. Teilnahmegebühr: sieben Euro. Für Jugendliche – die Tour ist ab 14 Jahren geeignet – vier Euro. Anmeldung und Näheres unter anmi@natur-kultur-wetterau.de

Titelbild: Der Judenfriedhof in Ortenberg. (Foto: Landesamt für Denkmalpflege Hessen)

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