Bilanz der Modellregion Wetterau
Von Bruno Rieb
„Inklusion ist schön“, sagen Schulamt, Landes- und Kreisregierung, „sie kostet aber viel Arbeit“, ergänzt die Lehrergewerkschaft. Seit 2013 ist der Wetteraukreis Modellregion für die Integration behinderter Kinder in die Regelschulen. Insgesamt gibt es neun solcher Regionen in Hessen. Der Versuch endet in diesem Sommer. In einer großen Veranstaltung am Montag in der Karbener Kurt-Schumacher-Schule zog das Staatliche Schulamt für den Wetterau- und Hochtaunuskreis mit reichlich politischer Prominenz die offizielle Bilanz dieser Probephase. Das Fazit der Lehrergewerkschaft GEW fällt anders aus.
Eltern wählen die Regelschule
„Immer mehr Eltern möchten, dass ihr Kind trotz Beeinträchtigung oder Behinderung an einer regulären Grundschule unterrichtet wird. Dem wollen wir so weit wie möglich nachkommen“, sagte der damalige Wetterauer Landrat Joachim Arnold (SPD), als er den Vertrag über die Modellregion mit dem Land Hessen unterzeichnete. In der Folge wurden von den fünf Wetterauer Förderschulen drei geschlossen: die Gudrun-Pausewang-Schule in Nidda, die Brunnenschule Bad Vilbel und die Gabriel-Biel-Schule in Butzbach. Erhalten blieben die Helmut-von-Bracken-Schule in Friedberg und die Erich-Kästner-Schule in Ortenberg.
„Die Eltern haben die Wahl und wählen überwiegend die Regelschule“, stellt der Wetterauer Schuldezernent Jan Weckler (CDU) fest. Heute besuchen über 500 ehemalige Förderschüler die Regelschulen, nur noch 150 Kinder sind in den beiden verbliebenen Förderschulen. Die drei geschlossenen Förderschulen wurden zu Beratungs- und Förderzentren (BFZ) umgewandelt. Von hier aus gehen die Förderschullehrkräfte an die Regelschulen, um die Kollegien dort bei der Inklusion zu unterstützen.
„Wir haben sehr, sehr viel daraus gelernt“, blickte Hessens Kulturminister Alexander Lorz (CDU) auf die knapp fünf Jahre Modellregion inklusive Bildung zurück. In der Wetterau könnten alle Elternwünsche erfüllt werden. Mit einer Quote von nur zwei Prozent der Schüler an Förderschulen liegt die Wetterau deutlich unter der Landesquote von vier Prozent.
Starke Belastung der Lehrer
Die Inklusion gehe zu Lasten der Lehrer an den Regelschulen, kritisiert der Vorsitzende des GEW-Kreisverbandes Friedberg Peter Zeichner im Gespräch mit dem Kreis-Anzeiger. Die Grundschulen hätten das zuerst bemerkt. Im vergangenen Jahr hatten sich Grundschullehrer beschwert, dass die Inklusion über ihre Kräfte gehe. Sie hätten ohnehin schon viel mehr Aufgaben zu bewältigen als früher, nun komme noch die Inklusion dazu. Oft gebe es für die Lehrer an den Regelschulen nur Beratung durch die BFZ zur Inklusion, diese Beratung komme zur Arbeitszeit dazu, stellt Zeichner fest. Danach stünden sie mit den behinderten Kindern in den Klassen alleine da. Bei schwierigen Fällen gebe es Doppelbesetzungen, räumt der GEW-Vorsitzende ein. Das reiche aber nicht. Es müsse die Regel sein, dass die Lehrer bei der Inklusion im Unterricht durch eine Förderschulkraft unterstützt werden. Die „Modellregion inklusive Bildung“ sei ein Euphemismus, meint Zeichner, also eine beschönigende Umschreibung.
Immerhin sind die Teilhabeassistenten deutlich aufgestockt worden. Das sind Kräfte, die die Schüler mit Behinderungen durch den Schulalltag, einschließlich Schulweg, begleiten. Sie helfen beim Toilettengang, beim An- und Auskleiden in der Schule, bei der Orientierung und geben auch Hilfestellung im Unterricht. „Die Eltern haben das Recht, eine Teilhabeassistenz zu bekommen“, sagt Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch (SPD). Von 2,5 Millionen Euro auf 5,1 Millionen Euro sind die Ausgaben des Kreises für Teilhabeassistenten in den vergangenen fünf Jahren gestiegen, berichtete Simone Schestakoff, Leiterin des Fachbereichs Soziales des Kreises. Und die Kooperationsstelle Inklusion, die die BFL-Lehrkräfte unterstützt, werde erhalten bleiben. Der Auftrag werde gerade ausgeschrieben.
Förderschulen gibt es weiterhin
Um die Regelschule für die Inklusion herzurichten hat der Kreis laut Frank Neubauer, Leiter des Fachbereichs Schule des Kreises, 1,6 Millionen Euro ausgegeben. Fahrstühle wurden damit allerdings nicht installiert. Bis die eingebaut worden wären, seien die Schüler wieder von der Schule weg gewesen, sagte er. Die beeinträchtigten Schüler seien so auf die Mithilfe der anderen Schüler angewiesen gewesen. Das sei gelebte Inklusion.
Einig waren sich die Redner der Veranstaltung in Karben, dass es weiterhin Förderschulen geben müsse. „Es muss auch Lösungen für Schüler geben, die über Tische und Bänke gehen“, sagte Schuldezernent Weckler. „Wir werden auf absehbare Zeit auch unser Förderschulsystem erhalten müssen, um über optimale Förderformen zu verfügen“, sagte Kultusminister Lorz.