Inklusion

Ein Weg der vielen kleinen Schritte

Von Elfriede Maresch

Bis zur vollen Teilhabe von Menschen mit Handicaps ist es noch ein weiter Weg. Ein Forschungsteam der Evangelischen Hochschule Darmstadt in Kooperation mit dem Diakonischen Werk Wetterau (DWW) untersucht Teilhabebarrieren im Lebensalltag psychisch kranker Menschen. Befragt wurden Menschen mit psychischen Erkrankungen, die die Angebote des DWW nutzen.

Dialog alle Beteiligten auf Augenhöhe

„Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, volle Teilhabe von Menschen mit Handicaps ist ein Weg, der viele kleine Schritte braucht“, meint Anny Rahn-Walaschewski, stellvertretende Leiterin des Diakonischen Werkes Wetterau (DWW). „Dazu gehört der Dialog aller Beteiligten auf Augenhöhe sowie enge Zusammenarbeit zwischen der Praxis der sozialen Arbeit und der wissenschaftlichen Reflektion.“ Ein solches „Zusammenrücken“ ist in einem Forschungsprojekt gelungen. Das Thema war „Teilhabebarrieren im Lebensalltag von psychisch Kranken“. Schritte zur wachsenden Inklusion dieser Zielgruppe gibt es seit 2012 im DWW: Arbeitsgruppen, Tagungen von Betroffenen, Angehörigen, Fachkräften und Referenten, Umsetzung der dort geäußerten Wünsche und Kritikpunkte. Seit 2015 werden in den Psychosozialen Zentren des DWW Klientensprecher als Interessenvertreter gewählt, in der Werkstatt und im Wohnheim ist das ohnehin rechtlich vorgegeben.

Professor Dr. Susanne Gerner, Diplom-Pädagogin Julia Tamm und der Studierende Lukas Kress waren Beteiligte des Forschungsprojekts. (Fotos: Maresch)

Weitere Erkenntnisse brachte das genannte Forschungsprojekt in Kooperation zwischen der Evangelischen Hochschule Darmstadt und dem DWW. Im Frühjahr 2016 begannen Lukas Kress und Christina Germroth, Studierende des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit“, eine Befragung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die die Angebote des DWW nutzen. Die Gespräche fanden allein mit den Betroffenen statt, die sich freiwillig gemeldet hatten. Sie sollten sich ergebnisoffen und authentisch äußern können. Professor Dr. Susanne Gerner und die Diplom-Pädagogin Julia Tamm (beide Darmstadt) übernahmen die wissenschaftliche Steuerung und Auswertung. Projektleitung beim DWW war Anny Rahn-Walaschewski. Sie konnte zur Vorstellung von Zwischenergebnissen des Forschungsprojekts im Bürgerhaus Blofeld Betroffene, Wissenschaftlerinnen und Studierende, DWW-Fachkräfte, Vertreter des Landeswohlfahrtverbandes (LWV) und des Wetteraukreises als Kostenträger begrüßen.

Einschneidende folgen für den Lebensplan

Susanne Gerner sprach zunächst Erfahrungen der Erkrankten im System Psychiatrie an. Fehlendes Wissen erschwere den Zugang zu Hilfen, Patienten fühlten sich oft hilflos oder abgewertet. Weiter zeigte sich in den Interviews, dass die Erkrankung einschneidende Folgen für den Lebensplan des Betroffenen, seine sozialen Beziehungen und seine wirtschaftliche Lage hat. Auch seine Angehörigen müssen den Auswirkungen der Erkrankung standhalten. Dennoch betonte Gerner: „Die Befragten zeigten oft beeindruckendes Wissen über den Umgang mit Krisen, entwickelten Bewältigungsstrategien in unterschiedlichem Umfang“. Übereinstimmend wünschten sich die Interviewpartner Verständnis und Anerkennung, Einbindung in ein Netz sozialer Kontakte, sinnvolle Tätigkeit.

Dichte Arbeitsatmosphäre, Dialog auf Augenhöhe zwischen Betroffenen, DWW-Mitarbeitenden, Kostenträgern und Durchführenden des Forschungsprojektes

Positiv bewertet wurden in den Interviews die verschiedenen kombinierbaren DWW-Hilfsangebote: „Ich hab rundum das, was ich brauche“ meinte etwa eine Befragte. Hilfreich wird die Begleitung durch die Fachkräfte empfunden, vor allem bei Behördenkontakten oder der Erweiterung des Selbstständigkeitsrahmens: „Dank Betreutem Wohnen bin ich wieder im eigenen Zuhause“. Einrichtungen und Dienste werden als Schutz- und Vertrauensraum erlebt, wo die Nutzenden Verständnis für krankheitsbedingte Handicaps erfahren. Häufig kritisiert wurde geringer finanzieller Spielraum der Nutzenden, erschwerte Mobilität, Diskriminierungen im alltäglichen Umfeld.

Ausgrenzung, Ängste, Akzeptanz
Professor Dr. Susanne Gerner (li.) und Anny Rahn-Walaschewski trugen wesentlich zur Realisierung des Forschungsprojektes bei

In zwei anschließenden Arbeitsrunden, gestützt auf Fallbeispiele, wurden diese Probleme lösungsorientiert besprochen, eine intensive Arbeitsatmosphäre baute sich auf. Ausgrenzungserfahrungen, Ängste, die schwierige Balance zwischen Akzeptanz der Krankheit und Resignation wurden geschildert. Thema war auch die als gering empfundene Bezahlung der Werkstattarbeit. Auch hier Dialog auf Augenhöhe: Kostenträger und DWW-Vertreter als Werkstattbetreiber schilderten den knappen Finanzrahmen, die geringere Produktivität, bedingt durch kürzere Arbeitszeiten und schwankende Leistungsfähigkeit von psychisch erkrankten Menschen. Gefordert wurde, das Sozialgesetzbuchs XII als Förderrahmen auf den Prüfstand zu stellen.

Schlussworte Susanne Gerners: „ Wachsende Teilhabe im Sozialraum gelingt Nutzern und Nutzerinnen, wenn sie im wertschätzenden Dialog von den Fachkräften unterstützt werden.“ „Wissenschaftler, Kostenträger, Leistungserbringer und Nutzende an einem Tisch – das ist eher selten und muss als konstruktiver Inklusionsbeitrag gesehen werden“, meinte Karl-Heinz Schön, als Fachbereichsleiter beim Landeswohlfahrtsverband zuständig für Leistungen an Menschen mit seelischer Behinderung. Zusammen mit Marco Behrendt (Fachstelle Sozialpsychiatrie und Betreuungsstelle des Wetteraukreises) bezeichnete er das Forschungsprojekt als „gut und richtig“. Beide sprachen die Diakonie als „großen und wichtigen Träger der Eingliederungshilfe“ an.

DWW- Leiter Eckhard Sandrock nannte nächste geplante Schritte. Eine Dokumentation der Forschungsergebnisse ist angedacht. Nutzende und Mitarbeitende werden gemeinsam an einer internen Fortbildungsreihe teilnehmen. Sandrock: „So wird Inklusion als Wissen und Haltung in unserer Organisation weiter verankert.“

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