Weitgehend von Menschen gemacht
Das Hochwasser in diesen Tagen (Ende Januar 2021) ist die Folge vielfältiger Eingriffe des Menschen in die Natur, stellen der Naturschutzbund (Nabu) Horlofftal und der Arbeitskreis Gießen der Hessischne Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) in einer gemeinsamen Pressemitteilung fest.Niederschläge fließen zu schnell ab
Starke Niederschläge und gleichzeitige Schneeschmelze im Vogelsberg ließen innerhalb kürzester Zeit die Pegel der Horloff auf Stände ansteigen, die letztmalig 1994 übertroffen wurden. Hochwasser sei zwar in Hungen nichts Außergewöhnliches, das sehr schnelle Ansteigen der Fluten in diesem Jahr habe aber die Bewohner der an der Horloff liegenden Orte doch überrascht. Der Umstand offenbare, die abnehmende Fähigkeit von Flächen Wasser zurückzuhalten. Aber sei nicht naturgegeben, sondern eine Folge der vielfältigen Eingriffe des Menschen in die Natur. Um die mittlerweile in den Auen entstandenen Siedlungsräume zu schützen, sei es daher unabdingbar, das Wasser in der Fläche zurückzuhalten. „Hierzu bedarf es einen andern Umganges mit diesen Flächen durch Land- und Forstwirtschaft, andere Formen der derzeit praktizierten Gewässerunterhaltung, deren Schwerpunkt sich leider immer noch im sogenannten ‚Grabenräumen‘ erschöpft, sowie ein konsequentes Freihalten der noch verbliebenen Überflutungsräume von jeglicher Bebauung und Versiegelung“, erklären Nabu und HGON.
„Der amtliche und ehrenamtliche Naturschutz hat in den vergangenen vier Jahrzehnten unter Federführung der HGON mit vielen Maßnahmen an der Sicherung und Verbesserung der Hochwasser-Retentionsräume im Bereich der Horloffaue und ihrer Nebengewässer mitgewirkt und viele davon sogar maßgeblich angeschoben und umgesetzt“, sagt Heinz Weiß, Leiter des Arbeitskreises Gießen der HGON. „Solche Konzepte müssen in Zeiten eines rasant fortschreitenden Klimawandels zukünftig noch schneller und ambitionierter weiter vorangetrieben werden“, betont Stephan Kannwischer vom Nabu Horlofftal. Durch menschliche Einflüsse mitbestimmte Wetter- und Klimabeeinflussungen sorgten mittlerweile für eine ebenfalls statistisch gesicherte Ungleichverteilung der Niederschläge und könne zu katastrophenartigen Überschwemmungs-Szenarien führen. Alleine die katastrophale Bilanz solcher Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit in Hungen und seinem Nahbereich spreche Bände: Das „Jahrhundert“-Niederschlagsereignis in Bellersheim und Umgebung (27.05.2018) mit Starkregen und Hagel (Abflußhindernis!), die Kombination von Starkregen und Bodenerosion mit nachfolgenden Schlammlawinen von den Äckern bei Wohnbach in die Ortslage hinein (Mai 2012 und weitere Male), sowie ein im Juli 2014 zum reißenden Wildbach gewordener Dorfgraben, der Teile von Wallernhausern aufgrund sturzbachartig niedergehender Wassermassen verwüstete.
Retentionsräume schützen
Der Hungener Nabu-Naturschutzgruppen und die HGON fordern seit langem, vorhandene Retentionsräume zu schützen und gegebenenfalls zu erweitern (zum Beispiel „Engelshäuser See“) und keine weitere Überbauung (zum Beispiel „Grassee“ in Hungen) zuzulassen. Der Verbleib eines Teils des Niederschlagswassers vor Ort und dessen langsame Versickerung auf Äckern, Wäldern und Wiesen trage nebenbei auch noch erheblich zur Grundwasserneubildung und somit zur Sicherung der Trinkwasserversorgung bei. Nabu-Vorstandspsrecher Kannwischer stuft das als wesentlichen Mehrwert für die gesamte Region ein.
Die Naturschützer fordern die Kommunalverwaltungen und die Kommunalpolitik in Hungen und darüberhinaus auf, ein ökologisch tragfähiges Konzept der Horloffanlieger zu entwickeln, wie Wasser in der Landschaft verbleiben kann, ohne als Gefahrenquelle zu wirken. Weiterhin müssten zur Hochwasserprävention in der Siedlungswasserwirtschaft konsequent neue Impulse umgesetzt werden. Hierzu müsse das Versickern von Niederschlagswasser in Siedlungs-, Gewerbe- und Infrastrukturbereichen weiter forciert und gefördert werden (Teiche, Zisternen, Sammelbecken, wasserdurchlässige Bau- und Versickerungsflächen, Entsiegelungs- und Rückbauflächen). Auch müsse auf die Ansiedlung großflächig bodenversiegender Betriebe aus der Logistikbranche verzichtet werden. Hungen müsse Hochwasserschutz- und Wasserversickerungskonzepte für jeweils naturräumlich zusammenhängende Stadtteile entwickeln, in denen die potentielle Gefahrenlage anhand naturräumlicher Gegebenheiten abgeschätzt wird und die rechtlich geschützten Bereiche (Wasser- und Naturschutzgebiete) berücksichtigt werden.
Außerdem müsse die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden auf landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Mehrung der Bodenfruchtbarkeit durch Erhöhung des Humusanteils, verbesserte Krumenstabilität bei mögl. ganzjähriger Pflanzenbedeckeung und guter Durchwurzelung (auch Gründüngung und Zwischenfruchtanbau) gefördert werden. Hanglagen seien erosionsminimierend zu bewirtschaften und umzugestalten. Zusätzliche Drainierungen in der offenen Landschaft sollten künftig unterbleiben. Weiterhin seien Uferschonstreifen außerhalb wie innerhalb geschlossener Ortschaften konsequent umzusetzen, um Nährstoff- und Schadstoffeinträge im direkten Bacheinzugsbereich zu minimieren sowie das Retentionsvermögen der Wälder durch angepasste Forstwirtschaft konsequent zu erhöhen.
„Mit der Summe dieser Maßnahmen sollte es gelingen, die Gefahr von Überschwemmungen des aktuellen Ausmaßes zu minimieren“, fassen die Naturschutz-Vertreter ihre Gedanken zusammen.
Titelbild: Überschwemmte Auengebiete wie beim Wasserwerk Inheiden mit dem Seegebiet Inheiden im Hintergrund.