Heilkräuter

In Buch und Garten

Von Corinna Willführ

Klaus Busch, Arzt und Psychotherapeut im Ruhestand, war 56 Jahre alt, als er sich im Bregenzerwald „in einen Kräutergarten verliebte“ – und beschloss, eine neunjährige Ausbildung an der Rhöner Heilpflanzenschule zu absolvieren. Seitdem hat der Ortenberger seine Wahrnehmung von und sein Wissen über Holunder, Beifuß und Co stetig erweitert. „Marienpflanzen – Heiliges und Unheiliges aus dem Kräuterbeet der Marienkirche zu Ortenberg“ heißt sein aktuelles Buch.

In kurzen feuilletonistischen Texten stellt Busch mehr als 50 Pflanzen vor – von Akelei über Ringelblume bis Zitronenmelisse. Bei Führungen richtet der 66-Jährige mitunter sein Augenmerk aber auch auf „Pflanzen an Unorten“.

Der Autor mit seinem Buch inmitten des Kräuterbeets an der Marienkirche in Ortenberg. (Fotos: Corinna Willführ)

Vogelknöterich wächst zwischen Pflastersteinen, gedeiht an Straßenrändern, auf sandigem Boden und an Autobahnböschungen. Seine Stengel halten Tritten ebenso stand wie Autoreifen. Mit seinen bis zu 80 Zentimeter langen Wurzeln widersetzt er sich hartnäckig jenen, die ihn als ungeliebtes Unkraut sehen und am besten dauerhaft von ihrem Grund und Boden verbannen möchten. Zumal die auch Weggras genannte Pflanze nur unscheinbare Blüten hat und keinen Nektar für Insekten bildet. Für Klaus Busch indes ist der Vogelknöterich ein Beispiel für die „Technik zum Überleben“, die „Pflanzen an Unorten“ entwickeln. Mitnichten hat sich der 66-Jährige nur mit diesen beschäftigt.

Verliebt in einen Kräutergarten

Mit seinem Ehemann, dem Kunsthistoriker Michael Schroeder, lebt Klaus Busch in direkter Nachbarschaft zur Ortenberger Marienkirche. Neben dem Gotteshaus gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt einen kleinen Marienkräutergarten, in dem quasi der Samen für Buschs Beschäftigung mit Heilpflanzen gelegt wurde. Und dann war da ein Urlaub in Österreich. Klaus Busch verliebte sich, wie er selbst sagt, in einen Kräutergarten. Und entschloss sich im Alter von 56 Jahren eine neunjährige Ausbildung an der Rhöner Heilpflanzenschule zu absolvieren.

Was er dort mit allen Sinnen kennenlernte, war ihm Motivation, seine Erfahrung und sein Wissen, die er bereits bei Hege und Pflege des Kräuterbeets an der Marienkirche gesammelt hatte, zu vermitteln. Bei geführten Spaziergängen – oder auch zum Nachschlagen in seinem jetzt erschienenen Buch „Marienpflanzen – Heiliges und Unheiliges aus dem Kräuterbeet der Marienkirche zu Ortenberg“. Auf 92 Seiten stellt er in einem Din-A-5-Ringbuch diese in alphabetischer Reihenfolge vor bis Zitronenmelisse.

Blumenornamente im Kirchengewölbe

„Im Gewölbe der spätgotischen Marienkirche erblüht ein wahrer Kräutergarten und Blumenhimmel, begleitet in den Zwickeln von ‚Wind und Wetter‘, dargestellt als Wolken mit goldenen oder blauen Strahlpfeilen – Symbole für sonniges Wetter und kalten Wind, verzieren Sonne und Mond die Schlussteine“, schreibt Klaus Busch in der Einführung zu seinem Buch. Die Rankenmalereien an der Decke des Gotteshaues fielen erstmals 1956 auf. Fortan wurden sie als „Blütenornamente“ bezeichnet. „Der Kunsthistoriker Michael Schroeder entdeckte den Zusammenhang zwischen den floralen Bildern und der mittelalterlichen Marientheologie, in deren Kontext wir das ganze Gebäude zu sehen haben“, notierte vor zwölf Jahren der damalige Pfarrer Johannes Schatz im Vorwort zur Erstauflage einer Veröffentlichung von Michael Schroeder über die „Blütenornamente“. In der Evangelischen Kirchengemeinde entstand daraufhin die Idee, dem historischen Pflanzenhimmel im Deckengewölbe der Marienkirche ein „wachsendes“ Pendant in gegenwärtiger Erde zur Seite zu stellen. Viele Freiwillige packten mit an und legten neben dem Gotteshaus einen kleinen Schaugarten an. Ein ruhiger Ort, an dem Wachsen, Werden und Vergehen der Pflanzen „sinnlich wahrgenommen, begriffen und erfahren werden können“, so Klaus Busch.

Deckengewölbe: Die Blütenornamente an der Marienkirche Ortenberg.

Als botanisches Bestimmungsbuch kann seine Publikation nicht genutzt werden: Zu den Pflanzen gibt es keine Abbildungen. Auch als Lehrbuch will der Autor sie nicht verstanden wissen. Vielmehr geht es Klaus Busch darum, Thymian und Holunder, Beifuß und Kamille wertschätzen zu lernen: als Pflanzen, deren Heilkraft in der Volksmedizin ebenso beschrieben wird, wie in Sagen und Legenden oder bei kultischen Handlungen etwa der Schamanen. „Kräuterkunde und das Leben mit und in der Natur sind nicht eine Erfindung des europäischen, des christlichen Mittelalters. Es gibt zahlreiche Belege aus der vor- und frühgeschichtlichen Zeit, dass Pflanzen zu kultischen und Heilzwecken verwendet wurden.“

Zum Beispiel der Beifuß

Der „uralten Kulturpflanze“ Beifuß (Artemisia vulgaris) werden unterschiedliche Heil- und Schutzwirkungen zugeschrieben. Die wohl bekannteste stammt aus der Küche: Dem Braten der Weihnachtsgans beigefügt, hilft das Kraut aufgrund seiner starken Stoffwechselförderung, diese besser zu verdauen. Auf spiritueller Ebene soll geräucherter Beifuß als „Pflanze des Übergangs“ den Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt erleichtern. Zum einen als Wehen förderndes Mittel bei Geburten, zum anderen durch seine entspannende und krampflösende Wirkung auf dem Sterbebett beim Abschiednehmen vom Leben. „Im Mittelalter galt der Beifuß auch als Hexenkraut, weil er auch zu Abtreibungen durch vorzeitige Wehen verwendet werden konnte. Vielleicht galt auch seine aphrodisierende Wirkung als teuflich gut: Vor einer Liebesnacht wurden das Lager, die Kleider, auch der Körper mit Beifuß beräuchert. Die Herkunft des Wortes Beifuß deutet auf biboss (bei Hildegard von Bingen), Beistoß, was nichts anderes als Beischlaf bedeutet“, so auf Seite 16 der Publikation „Marienpflanzen – Heiliges und Unheiliges aus dem Kräuterbeet der Marienkirche zu Ortenberg“ zu lesen.

Das Buch ist im Selbstverlag erschienen und kann zum Preis von 14 Euro bei Schroeder-Busch, Schloßstraße 15 in 63683 Ortenberg bestellt werden.

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