Erich Kästner

Das geheime Kriegstagebuch

Von Michael Schlag

Die Nazis hatten Erich Kästner mit Berufsverbot belegt und seine Bücher schon 1933 öffentlich verbrannt. Dennoch blieb Kästner im Land und führte ab 1941 ein geheimes Tagebuch mit Gesprächsnotizen, Beobachtungen, Gerüchten und Erlebtem aus dem Alltag im Krieg. Es ist aber weniger ein persönliches Tagebuch, sondern eine professionelle Materialsammlung für das in Zukunft geplante große Buch über die deutschen Kriegsjahre.

Enorm sorgfältige Editierung

In der Ausgabe des Zürcher Atrium-Verlags werden diese Aufzeichnungen in Randnotizen fortlaufend erklärt und in das Zeitgeschehen eingeordnet. Ohne diese enorm sorgfältige Editierung könnte man auch rasch den Überblick verlieren in der Abfolge der kleinen Notizen aus dem Alltag 1941, 43 und 45. So aber erhält man immer die globale Einordnung dazu: Wo war das ganz genau, wer ist hier gemeint, auf was bezieht sich eine Anspielung, in welchem Zusammenhang steht die Notiz zum Kriegsverlauf?

Erich Kästners Aufzeichnungen werden durch Randnotizen erklärt. (Fotos: Michael Schlag)

22. 6. 1941 Eine Sekretärin der deutschen Behörden in Warschau berichtet: „Die Juden, aber auch die Polen und Volksdeutschen leiden große Not. Der französische Champagner kostet in Lokalen etwa vierzig Mark; durch die deutschen Offiziere kann man ihn aber für zwei Mark bekommen.“ So aufgeschrieben unter dem Datum, als Hitler Russland den Krieg erklärte. Und Ende Oktober 41 notiert Kästner: „Ein jüdisches Ehepaar, das in meinem Haus wohnt, hat mich gefragt, ob ich Möbel, Bilder, Bücher, Porzellan usw. kaufen will.“

Das Tagebuch musste geheim bleiben

Dann reißen die Eintragungen ab, die täglichen Aufzeichnungen seien Kästner schlichtweg langweilig geworden, erklärt der Herausgeber Ulrich von Bülow. Und das Kriegstagebuch musste geheim bleiben; Kästner verfasste es deshalb nicht in Klarschrift, sondern in Gabelsberger Stenografie, die auch damals nur wenige lesen konnten. Kriegstagebuch war in jener Zeit übrigens ein gängiger Begriff, jede Kompanie musste ihre militärischen Tagesereignisse dokumentieren – hier nun umgedeutet in die zivile Perspektive. Nach einem Jahr Pause nimmt Kästner die Arbeit daran 1943 wieder auf – nach der Schlacht von Stalingrad. Er notierte alles im „Blauen Buch“, einer Kladde, in der er auch Zeitungsausschnitte sammelte, wie diese Traueranzeige vom Bombenangriff auf Duisburg:

Das Tagebuch muswste geheim bleiben, deshalb schreib Kästner in der Gabelsberger Stenografie, die nur wenige lesen konnten.

Kölnische Zeitung 19.5.1943 Josef Zimmermann, Hauptmann der Reserve: „Gott der Herr nahm am 13.5.1943 nach 32jähriger Ehe meine liebe Frau Franziska Zimmermann zu sich in die Ewigkeit.“ Es folgt die Aufzählung: „… sowie meine lieben Töchter Mariele, Gabriele, Magdalene, meinen Schwiegersohn Ferdinand Bolte, meine lieben Enkel Angelika und Heinz-Jürgen und die treue Hausgehilfin Käthe Hoff“. Eine ganze Familie ausgelöscht, der Bombenkrieg hatte Deutschland erreicht Und der Krieg dauerte dann noch zwei weitere Jahre..

Kästener schickt seine Wäsche zum Waschen seiner Mutter

Am 1. August 1943 hatte Goebbels die Berliner Zivilbevölkerung zur Evakuierung aufgefordert, und „schon gibt es viele, die hierbleiben wollen, weil sie befürchten, man wolle ihnen anschließend die Wohnung beschlagnahmen“, schreibt Kästner. Und am 12. 8. 43 hält er im Tagebuch fest: „Ich brachte ein Wäschepaket auf die Post. … Die mit Paketen wartende Menschenmenge schwitzte.“ Wie das zu verstehen ist, erklären die Herausgeber am Seitenrand: „Kästner schickte seine Wäsche zum Waschen an seine Mutter nach Dresden.“

Kästner kommentiert in seinem Tagebuch auch Zeitungsausschnitte.

Dann folgt wieder eine lange Pause im Kriegstagebuch, erst im Februar 1945 setzt Kästner die Eintragungen fort. 7. 2. 45 „Wir waren wieder ein paar Tage in Ketzin. … Der Luftangriff am Samstagmittag soll der schwerste überhaupt gewesen sein.“ Rasch notiert, was an dem Tag zu erfahren war. Was wirklich geschah, liest man in der Erläuterung am Rand: „Kästner fuhr in der Zeit der Luftangriffe am Wochenende oft mit Enderle nach Ketzin, 50 km westlich von Berlin. Den Bomben der 8. US-Luftflotte fielen am 3.2.1945 22.000 Zivilisten zum Opfer.“ Dazu gesammelte Zeitungsausschnitte mit Durchhalteparolen: „Deutsche Führung entschlossener denn je“ – „Treue ein unersetzbarer Wert“ oder „Deutscher glaube immer an Deine eigene Kraft.“

8. 2. 45 „Vorhin auf dem Kriegsschädenamt, Abteilung Gewerbeschaden … Der Dezernent lehnte neue Zahlungen ab, bis die Schrifttumskammer meine Schadensaufstellung geprüft habe.“ Was hat zu bedeuten? 1944 wurde das Haus in Berlin, in dem Kästner eine Wohnung hatte, von einer Bombe getroffen, alle seine Manuskripte wurden dabei zerstört. Nun wusste die Reichsschrifttumskammer nicht, ob sie den angemeldeten Gewerbeschaden von 57.000 Reichsmark anerkennen sollte. Sie hatte Kästner ja Berufsverbot erteilt, seine Manuskripte waren also ohnehin unverkäuflich. Das Kriegstagebuch hatte die Bombardierung aber ohne Schäden überstanden. Denn Kästner trug es stets in einer Aktentasche bei sich, auch in Bombennächten, berichtet Herausgeber von Bülow. Es fällt auf, wie gut Kästner in Vielem informiert war. Ganz offenbar hatte er Gesprächspartner in der Verwaltung, in der Partei, sogar in der SS. Das Tagebuch nennt aber keine Namen, macht gelegentlich nur eine Andeutung. Denn wäre er mit dem „Blauen Buch“ aufgeflogen, hätte das auch alle Informanten gefährdet.

Erich Kästner: Das Blaue Buch

Atrium Verlag, Zürich

ISBN 978-3-85535-019-3

Taschenbuch 18 Euro, gebundenes Buch 32 Euro

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