Alles über die Schriftkunst
Teil 3 und Schluss der Serie von Klaus Nissen
In Mainz wurde 1452 das Drucken erfunden. Doch Offenbach ist für die Schwarze Kunst genauso wichtig. Hier liegt die Kinderstube der Lithografie. Die Firma Klingspor machte um 1900 die Schrift und Grafik des Jugendstils berühmt. Heute gibt es hier mit dem Klingspor-Museum ein international aktives Forschungszentrum für Schriftkunst.Viel Druck in Offenbach
Beginnen wir mit einer Zeitreihe:
1609
Im Fischerdorf Offenbach am Main druckt Conrad Neben das erste Buch: einen Wälzer in lateinischer Sprache.
1714
Die Drucker von Offenbach beginnen, hebräische Bücher für die jüdischen Gemeinden in Deutschland zu produzieren. Das machen sie bis kurz vor Beginn der NS-Herrschaft 1933.
1799
Der junge Musikverleger Johann Anton André holt den Erfinder des Steindrucks nach Offenbach. Alois Senefelder baut ihm hölzerne Stangenpressen. Darauf lässt André in großer Auflage die Sonaten und Opern von Wolfgang Amadeus Mozart lithografieren. Die handschriftlichen Noten hat er Mozarts Witwe für 3100 Gulden abgekauft.
1834
Der Gießener Medizinstudent Georg Büchner schmuggelt das Manuskript des Hessischen Landboten („Friede den Hütten, Krieg den Palästen“) nach Offenbach. Die Regierung wittert Aufruhr – Büchner und der Drucker Carl Preller müssen fliehen.
1871
Adolf Schleicher und Louis Faber beginnen, in Offenbach Steindruck-Schnellpressen zu bauen. Die „Albatros“ wird bis Südamerika und Ostasien geliefert. 1911 baut Faber & Schleicher mit der „Roland“ die erste von vielen Offset-Bogenrotationsmaschinen.
1892
Der Zigarrenfabrikant Carl Klingspor kauft die Rudhard’sche Gießerei in Offenbach, um seinen Söhnen Karl und Wilhelm ein Betätigungsfeld zu geben. Der branchenfremde Unternehmer entdeckt seine Liebe zur Schriftkunst – und Otto Eckmann, der für Klingspor elegante Jugendstil-Schriften entwickelt.
1901
Peter Behrens entwickelt bei Klingspor den Schrifttyp Kapital-Unzial-Fraktur-Bastarda, der heute noch den Reichstag ziert: „Dem Deutschen Volke“. Die Lettern wurden aus eingeschmolzenen Kanonenrohren gegossen.
1906
Rudolf Koch tritt in die Dienste von Klingspor. Das Resultat sind mehr als 20 “Rudolfinische Schriften“ – beispielsweise die serifenlose „Kabel“, deren Nachfolgerin „Neue Kabel bis heute genutzt wird. Später unterrichtet Koch an der Kunstgewerbeschule – der heutigen Hochschule für Gestaltung.
1951
Die Erben von Karl Klingspor stiften seine Schriften- und Kunstbuch-Sammlung der Stadt Offenbach. Die nutzt sie als Grundstock für das 1953 gegründete Klingspor-Museum.
1956
Die D.Stempel AG aus Frankfurt übernimmt die Schriftgießerei Klingspor.
1984
Der Offsetdruck verdrängt den Bleisatz – die Stempel AG geht in Konkurs.
1979
Der Offenbacher Druckmaschinenbauer Faber & Schleicher fusioniert mit der Maschinenfabrik Augsburg-München (M.A.N.) zur manroland AG. Der Konzern wird Weltmarktführer für Rollenoffset-Druckmaschinen.
2012
Die britische Langley Holdings übernimmt die Offenbacher Fabrik für Bogendruckmaschinen. Die Manroland Shetfeed GmbH verkauft 2023 laut Geschäftsbericht weniger Maschinen nach China und reduziert die Belegschaft um 181 auf rund 720 Köpfe. Für 2024 kündigt der Chef Anthony Langley schwarze Zahlen an.
Klingspor-Museum: In die Tiefen der Schriftkunst
Zu Besuch im Seitenflügel des barocken Büsing-Palais an der Offenbacher Herrnstraße: Im Saal hinter der Kinderbuchausstellung bereitet eine Mitarbeiterin gerade die Videoschalte vor. Kinder aus Offenbach und Südkorea lernen gemeinsam die Herstellung von Einsteck-Fächerbüchern.
Im Archiv sitzt Direktorin Dorothee Ader am großen Tisch – dahinter Regale mit gut 80 000 Grafiken,Kalligrafien, Künstlerbüchern. Eins zieht sie hervor. Der Künstler hat Wörter aus dem Roman geschnitten – der Rest ergibt eine ganz andere Geschichte.
Das Archiv enthält auch Schriften aus der Klingspor-Sammlung. „Wir müssen sicherstellen“, sagt Ader, „dass die nachwachsende Generation Zugang zum Buch bekommt“ Die Punk- und die Tattoo-Szene interessiere sich gerade für hundert Jahre alte Frakturschriften. Das Museum kauft auf Comic-Messen auch Zines für die Sammlung – in kleinster Auflage gedruckte oder kopierte Monotypien. „Das ist eine schöne Form“, sagt die Direktorin, „für Leute, die sich Originale nicht leisten können.“
Mehr unter http://klingspormuseum.de.
Druckwerkstatt mit historischen Maschinen
Künstler, Laien, Studierende der nahen Hochschule für Gestaltung lieben sie – die 2021 eröffnete Druckwerkstatt im Haus der Stadtgeschichte an der Offenbacher Herrnstraße 61. Der helle Raum in der ehemaligen Schnupftabakfabrik hat eine Buchbinderzeile, eine Setzerzeile mit Stapelschneider, ein Regal voller Drucksteine.
Einzigartig wird diese Werkstatt durch ihr halbes Dutzend historischer Pressen, die immer noch prima in Schuss sind. Wer sie nutzen will, macht einen zweitägigen Einführungskurs. Anschließend kann man Werkstattzeit buchen – für einen Euro pro Stunde. Radierungen und Lithografien, handwerklicher Hoch-, Tief- und Flachdruck mit Blei- und Holzlettern sind hier machbar.
Wer sich das ansehen will, kontaktiert den Leiter Dominik Gußmann unter Druckwerkstatt@offenbach.de, telefonisch über 069 / 80653457.