Der vermessene Mensch

Koloniales Unrecht

Von Michael Schlag

Der Film „Der vermessene Mensch“ schildert den Völkermord an den Herero und Nama durch die deutschen Kolonialherren in ruhiger Sachlichkeit, ohne dramatische Übertreibungen, gerade das macht es so unerträglich. Und man gewinnt die Erkenntnis: Dies war eine Blaupause für die kommenden Verbrechen der Nazis.

Völkermord

Mai 2021: Die Bundesregierung erkennt die Tötung und Misshandlung tausender Herero und Nama in den Jahren 1904-1908 als „Völkermord aus heutiger Sicht“ an und bittet offiziell um Entschuldigung für das koloniale Unrecht in Deutsch-Südwestafrika.

Alles lange her, dauerte nur 30 Jahre, fand im Geschichtsunterricht nie statt und hatte bisher kaum eine Erwähnung im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Der Film „Der vermessene Mensch“ zeigt das Geschehen aus der Sicht der Täter, das heißt der Profiteure und in diesem Fall der Profiteure aus der Wissenschaft.

(© WILLEM VREY)

Kistenweise Schädel

Man nahm den Herero und Nama nicht nur ihr Land, legte sie zur Zwangsarbeit in Ketten, trieb sie zum Verdursten in die Wüste, stellte sie der Völkerschau in Berlin als Tiere aus – die Deutschen des Kaiserreiches sprachen ihnen schlichtweg die Ebenbürtigkeit als Menschen ab. Das sollte aber auch wissenschaftlich bewiesen werden. Deshalb führen per Schiff kistenweise Schädel von ermordeten Nama und Herero in die deutschen Völkerkunde-Museen, wo sie bis heute liegen. Und das ist das große Verdienst des Films: Ihnen allen gibt er Namen, Gesichter und Persönlichkeit. Ein Schädel in der Vitrine eines Museums oder im Hörsaal einer Universität, das ist ein Vater, eine Mutter, ein Sohn, eine Tochter; in jedem Fall ein Vorfahr von all denen, die mit einem Jahrhundert Verspätung ihre Anerkennung als Opfer von Rassismus und Völkermord bekamen.

(© WILLEM VREY)

Und was ist, wenn das Ausmessen von Kopfbreite und -umfang, von Ohren und Nasen an den Lebenden einfach nur zeigt, dass es keine Unterschiede gibt zu den Europäern? Und das Ausmessen des Hirnvolumens von Schädel auch nur zeigt, dass diese Menschen nicht anders sind als wir? Das behält der Wissenschaftler besser für sich und geht damit nicht an die Öffentlichkeit, man will ja noch Karriere machen.

(© julia terjung zeroone film)

Der Film schildert den Völkermord an den Herero und Nama – und die Jahre davor und danach – in ruhiger Sachlichkeit, ohne dramatische Übertreibungen, gerade das macht es so unerträglich. Und man nimmt die Erkenntnis mit: Dies war schon eine Blaupause für die noch folgenden Verbrechen unter deutscher Fahne: Konzentrationslager, Vernichtung von Menschen durch Arbeit und Hunger, Kunstraub in großem Stil und vor allem Rassismus in seiner schändlichsten, nicht mehr schlimmer vorzustellenden Form.

Der Film läuft derzeit in Programmkinos in Lich, Gießen und Marburg und im Rhein-Main-Gebiet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert