Die Mitte der Gesellschaft steht auf
Von Klaus Nissen
Die Berichte über die Konferenz zur „Remigration“ in Potsdam hat offenbar einen Knoten gelöst: Zehntausende demonstrierten am 20. Januar 2024 in deutschen Städten gegen Rechtsextremismus. In Frankfurt ging auch ich auf die Straße – zum ersten Mal seit Jahrzehnten.Überfüllter Römer und Paulsplatz in Frankfurt
Wann, wenn nicht jetzt? Die Rede von Martin Sellner vor Gleichgesinnten in Potsdam machte offenbar vielen Menschen klar, was ihnen in Deutschland ganz persönlich blühen könnte, wenn die AfD und die mit ihr befreundeten Nazis an die Macht kämen.
Wer nicht „arisch“ aussieht oder völkisches Gedankengut verweigert, muss befürchten, aus Deutschland verdrängt zu werden. Sogar Staatsbürger. Ich habe Vorfahren, die Sympathien für die Nationalsozialisten hegten. Niemand soll mir nachsagen können, dass ich mich von dieser Familientradition nicht lösen konnte.
Also verschob ich den Wochenend-Einkauf und stieg in den Bus nach Frankfurt. Die S6 aus der Wetterau fährt aktuell nur bis Bad Vilbel. Der „Expressbus“ zur Konstablerwache fuhr zwar pünktlich. Aber er war so voll, dass ich nicht mehr hinein passte. Der reguläre Bus zum Westbahnhof schaukelte neben mir auch weitere Demonstranten bis zur Eschersheimer Landstraße – von da mit der U-Bahn zur Zeil. Die Anreise war also kompliziert und mühsam.
Pappschild mit Botschaft: ekelhAfD!
Zu Fuß ging es weiter. Doch dann stockte der Passantenstrom in der Töngesgasse – weit oberhalb der Berliner Straße. Es ging einfach nicht mehr weiter. Gegen13 Uhr war der Römer und auch der Platz vor der Paulskirche so voll, dass sich die Demonstrierenden in den umliegenden Straßen stauten. Ich blieb unter lauter normalen Bürgerinnen und Bürgern in der Töngesgasse stecken.
Nur schwach tönten hier die Ansprachen – ihr Inhalt war nicht mehr zu verstehen. Nur manchmal der Slogan „Nie wieder Rassismus!“ Er wurde von den Menschen im Stau aufgenommen und verstärkt. Rentner, Eltern mit Halbwüchsigen und solche mit Kleinkindern, gediegene gekleidete Paare aus der Mittelschicht skandierten den Ruf oder klatschten Beifall. Nur wenige Gesichter ließen Menschen mit migrantischen Wurzeln erkennen. Einige Demonstrierende hielten selbstgebastelte Pappschilder in die Höhe.
Auf in die digitalen Blasen der Rechten
Eine Stunde lang stand ich in der Menge, dann kam langsam Bewegung herein. An der Ecke zur Berliner Straße standen Bereitschaftspolizisten, die recht entspannt wirkten. Ich war froh, auf der für Autos gesperrten Straße aus der Menge heraus zu kommen. Quetschte mich auf dem Heimweg in überfüllte Busse . Fühlte mich zufrieden und sagte mir zugleich: Das wird nicht ausreichen.
Es wird weitere Demonstrationen geben müssen, ehe unsere Nachbarn, die aus lauter – teils verständlichem – Frust die AfD wählen, kapieren, dass so ein Protestzeichen fatal ist. Es wird nötig sein, in die digitalen Facebook- und Telegramgruppen der AfD-Sympathisanten zu klicken und dort an richtiger Stelle Kommentare zu hinterlassen. Auch wenn das überhaupt keinen Spaß macht.
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