DDR-LITERATUR

Brigitte Reimann war ungebeugt

von Jörg-Peter Schmidt

Brigitte Reimann (1933 – 1973) war Schriftstellerin in der DDR, nie angepasst und mit ihren Romanen wie „Geschwister“ erfolgreich. Carsten Gansel hat über die Autorin eine spannende, sehr informative Biographie geschrieben, die er jetzt in Gießen vorstellte.

Biographie von Carsten Gansel verfasst

Dr. Anika Binsch sprach einleitende Worte und würdigte Brigitte Reimann.
 

Gansel, der Professor für Neuere Deutsche Literatur und Germanistische Literatur- und Mediendidaktik an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ist, las auf Einladung des Literarischen Zentrums Gießen (LZG) aus seinem im Aufbau-Verlag 2023 unter dem Titel „Ich bin so gierig nach dem Leben – Brigitte Reimann“  erschienenen Buch. Moderator war Professor Dr. Lothar Schneider (Institut für Germanistik an der Uni Gießen), der Gansel vorstellte. Rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer  erfuhren im gut gefüllten KiZ (Kultur im Zentrum)  Hochinteressantes über die leider früh an Krebs verstorbene Schriftstellerin, deren Werke seit einigen Jahren wiederentdeckt werden.

Kritik an DDR-Missständen

9.12.1966 Berlin: 20 Jahre Verlag Neues Leben: Brigitte Reimann war eine Autorin des Verlages Neues Leben, die anlässlich des 20jährigen Bestehens des Verlages in einer Feierstunde im Haus des Zentralrates der FDJ am 9.12.66 aus Manuskripten bisher nicht veröffentlichter Arbeiten las. Rechts daneben Cheflektor Walter Lewerenz. (Foto: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-E1209-0026-001 / Klaus Franke / CC-BY-SA 3.0)

So gibt es von „Geschwister“, 1963 erstmals erschienen, mittlerweile auch eine englische Ausgabe.  Reimann beschäftigt sich in dem Roman mit der Frage, welche Konflikte Menschen durchmachen, die „Republikflucht“ begehen oder begehen wollen.  Die Hauptfigur Elisabeth erfährt im Frühjahr 1961, dass ihr Bruder die DDR Richtung Westen verlassen will. Sie will ihn überzeugen, das nicht zu tun. Der Bruder entschließt sich zu bleiben. Zwar erhielt Reimann für ihren Roman den DDR-Heinrich-Mann-Preis. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Erzählung unkritisch gegenüber den Missständen in der DDR war. Im Gegenteil: Die Autorin beschäftigt sich in „Geschwister“ unter anderem mit den Problemen, die Parteilose in der DDR hatten.

Zensur kürzte Texte der Autorin

Obwohl die couragierte Schriftstellerin Hoffnungen auf den Sozialismus hegte, liest man auch in ihrem viel beachteten, wegen ihre schweren Krankheit unvollendeten Bestseller „Franziska Linkerhand“ kritische Anmerkungen über verkrustete Strukturen in der DDR, die gute, fortschrittliche Ideen einer Architektin ausbremst. 1974 war das Buch posthum in der DDR erschienen. Später wurde das Typoskript zum Buch zufällig gefunden:  Wie aus dem Nachwort von Withold Bonner in der ungekürzten Ausgabe von 1998 hervorgeht, war von der DDR-Zensur in der Ausgabe von 1974 Stellen vom Originalmanuskript gekürzt oder gestrichen worden.  Darunter waren Zeilen, die sich kritisch mit der DDR auseinandersetzten, auch  mit der hohen Selbstmordrate.

Für Gleichberechtigung eingesetzt

Gansel stellte in den Mittelpunkt seiner Buchvorstellung in Gießen neben dem Werk,  zu denen auch ihre Tagebücher gehören, die Persönlichkeit Brigitte Reimanns, die sich zeitlebens für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzte.  An sich selbst und ihr Werk setzte sie allerhöchste Ansprüche, was sie immense Kraft kostete. Auch zehrte an ihr, dass ihre Ehen unglücklich verliefen.  Sie glaubte – wie bereits erwähnt – an den Sozialismus und sah auch seine Schattenseiten in der DDR.

Engagement im Kombinat Schwarze Pumpe
Zentralbild Eckleben 19.6.1961 3. Der Literatur- und Kunstpreis des FDGB 1961 wurde anlässlich der 3. Arbeiterfestspiele am 16.6.1961 in der Magdeburger Parkgaststätte „Herrenkrug“ verliehen. Die Auszeichnung nahm der Vorsitzende des FDGB-Bundesvorstandes, Herbert Warnke, vor: Herbert Warnke verleiht Brigitte Reimann und Siegfried Pietschmann den Literaturpreis des FDGB 1961. (Foto: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-83789-0112 / Eckleben, Irene / CC-BY-SA 3.0)

In der Biographie  von Carsten Gansel, der Vorsitzender der Jury zur Verleihung des Uwe-Johnson-Literaturpreises und des Uwe-Johnson-Förderpreises sowie Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland ist,  wird beschrieben, wie die Stasi-Beauftragten Rreimann zunächst zur Mitarbeit lockten, was aber auf Betreiben des Schriftstellerverbandes wieder eingestellt wurde. Nach ihrer Zeit in Burg bei Magdeburg wohnte sie seit Anfang der sechziger Jahre in Hoyerswerda,  wo sie sich im VEB-Kombinat Schwarze Pumpe engagierte, um dem Arbeiteralltag nahe zu sein, was sich in ihrem Roman  „Ankunft im Alltag“ ausdrückte. In dieser Zeit war ihr Ehemann Siegfried Pitschmann, der wie sie Schriftsteller war. Das Ehepaar arbeitete literarisch zusammen, schuf gemeinsam auch Hörspiele.  Leider war auch dieser Ehe kein endgültiges Glück beschieden.

Probleme der Autoren und der Verlage

Carsten Gansel schilderte in Gießen auch, welche Verrenkungen (unter anderem Gutachten) Verlage  anstellen mussten, damit Bücher überhaupt von den zuständigen Stellen genehmigt wurden.  Sehr genau wurde geprüft, ob etwas Kritisches  über die DDR drinstand. Bisweilen tricksten Verlage diese Zensoren aus, was dem Werk Brigitte Reimanns zugute kam.

Wie man aus ihren Stasi-Akten entnehmen kann, wurde diese großartige Frau von den DDR-Oberen, obwohl man sie mit Preisen bedachte, sehr genau beobachtet. Beugen konnte man sie nicht, erfuhr man in dieser vom LZG in Kooperation mit dem Arbeitsbereich Literatur am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen gemeinsamen veranstalteten Lesung .Dr. Anika Binsch (LZG-Geschäftsführerin) hatte die Veranstaltung eröffnet und konnte – wie auch der Moderator Lothar Schneider – ein positives Fazit der Lesung, für die es lange Beifall gab, ziehen.

„Ich bin so gierig nach dem Leben – Brigitte Reimann“ ist im Aufbau-Verlag erschienen und kostet 30 Euro.

Titelbild: Interessante Fragen und spannende Antworten: Moderator Professor Dr. Lothar Schneider (links) und Carsten Gansel. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt: 2)

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