Christopher Clark

Von Bismarck zu Trump

Von Michael Schlag

Wie sollen gewählte Parlamente sich gegen eine feindlich gesonnene Exekutive behaupten? Wie sollen schwerfällige, an komplexe Verfahren gebundene Kammern sich mit Politikern auseinandersetzen, wenn diese bereit sind, die Regeln zu brechen?

Regel 1: Suche die Provokation

Wenn sie zum Beispiel Richter und Staatsdiener beleidigen und für komplexe Probleme abenteuerliche exekutive Lösungen anbieten. Politik bewegt sich dann weg von der abwägenden Welt der Beratungsgremien und hin zu Technik und Taktik des Schlagabtauschs. Der britische Historiker Christopher Clark beschreibt in seinem Buch „Gefangene der Zeit“ fünf Regeln für Politiker dieses Schlages:

Die meisten Politiker in heutigen Demokratien würden es ja vorziehen, Konsens zu suchen anstelle von Konflikt. Überparteiliches Brückenbauen gilt als größte Leistung dieser Demokraten. Allerdings brächten Empörung und Konflikt einem Politiker mehr Macht als angebliche Harmonie. Also lautet die Methode: „Grundlose Angriffe auf liberales Denken bringt die Opposition in Rage“.

Regel 2: Meistere das Chaos

Nicht danach streben, politische Konflikte und Krisen vorzeitig aufzulösen, sondern „Tumult gären lassen“, Krieg und Kriegsdrohung eingeschlossen

Regel 3: Agiere unberechenbar

Politiker dieser Prägung sind „frei von ideologischen Hemmungen“, kombinieren wahllos Stile und Orientierung, lassen sich keinem politischen Milieu zuordnen. Sie sind frei von Prinzipien und irritieren mit ihrer wechselhaften Politik Gegner genauso wie Verbündete.

Regel 4: Rekrutiere den Boss

Es kann nur einen geben, Kaiser, König, Kanzler oder Präsident, das ist der Quell jeder echten politischen Macht.

Regel 5: Trachte gleichzeitig nach mehreren Zielen

Immer einen Plan B im Ärmel, auch wenn er das Gegenteil bedeutet, von dem, was man gestern gesagt hat. Von Verbündeten zu Feinden, von Feinden zu Verbündeten wechseln, alles erlaubt, wie es gerade nützt.

Von wem ist hier die Rede, welcher Politiker stand Pate für die Betrachtungen? Donald Trump, Wladimir Putin, Boris Johnson, Kim Jong Un? Weit gefehlt, die Rede ist von Otto von Bismarck. Und die Beispiele, die der Historiker dafür heranzieht, stammen nicht aus dem beginnenden 21. Jahrhundert, sondern aus der Mitte und dem Ausgang des 19. Jahrhunderts. Der Verfassungsstreit um das Militär in Preußen, der preußische Einmarsch in Böhmen, der deutsch-französische Krieg, die Gründung des Deutschen Reiches: der „Eiserne Kanzler.“

Gewaltsam, listig, brutal

Aber was bewundern die Leute an Bismarck? Christopher Clark zitiert den Soziologen Max Weber, der 1917 schrieb, man bewundere nicht etwa die Großartigkeit seines feinen und beherrschenden Geistes, sondern „den Einschlag von Gewaltsamkeit und List in seiner staatsmännischen Methode, das scheinbar oder wirklich Brutale daran.“ Alles Geschichte? Wenn es doch so wäre. Dominic Cummings, Chefberater von Boris Johnson beim Brexit, schrieb 2020, Downing Street solle „eine neue Generation ungewöhnlicher Personen“ einstellen, „Sonderlinge mit merkwürdigen Fähigkeiten“, echte Wildcards, Künstler, Menschen, die nie eine Universität besuchten, bis hin zu Spinnern (das neue Kabinett Trump lässt grüßen). Bewusstes Inszenieren von Krisen, Einsatz von Provokation, um die Unterstützerbasis einzuschwören, Personalisierung politischer Autorität seien, schreibt Clark, „im frühen 21. Jahrhundert zu unerwarteten Markenzeichen der Regierungstätigkeit geworden“. Dieses Kapitel in dem Buch trägt übrigens die Überschrift „Von Bismarck lernen?“

Christopher Clark: Gefangene der Zeit – Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump, Pantheon-Verlag 2020, 336 Seiten, 18Euro, ISBN 978-3-570-55465-4

Titelbild: Von Bundesarchiv, Bild 183-R13234 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de

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