Berlin ganz still

Die historischen Friedhöfe

Von Michael Schlag

Mitten in Berlin, raus aus dem Trubel und rein in die Stille; raus aus dem 21. und mit wenigen Schritten 200 Jahre zurück in das 19. Jahrhundert. In dieser Zeit wurden an der Bergmannstraße in Kreuzberg vier Friedhöfe angelegt: der Dreifaltigkeitsfriedhof (1825), der Luisenstädtische Friedhof (1831), der Friedrichs-Werdersche Kirchhof (1844), und zuletzt der Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde (1852). Heute sind es Naturräume in der Stadt und die denkmalgeschützten Grabstätten und Mausoleen erlauben einen Ausflug in die deutsche und Berliner Geschichte, in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur dieser Zeit.

Üppige Wandgräber und Mausoleen

Die imposantesten Familiengrabstätten und Mausoleen befinden sich an den Rändern der der Friedhöfe. Sie heißen „Erbbegräbnis“, denn das Recht für eine Familie oder ein Geschlecht, hier ihre Mitglieder zu bestatten, konnte vererbt werden. Der Alte Luisenstädtische Friedhof ist mit neun Hektar Fläche der größte der Friedhöfe, er wurde 1831 auf einem ehemaligen Weinberg nahe des Tempelhofer Berges (Kreuzberg) eröffnet. Seine langen Alleen erlauben einen schattigen Spaziergang zu den prächtigen Grabarchitekturen. Wer hier zur letzten Ruhe ging, der hatte es im Leben zu sehr viel Geld gebracht, und wollte das offenbar auch über den Tod hinaus zeigen – mit üppigen Wandgräbern und Mausoleen nach Entwürfen der berühmtesten Architekten und Bildhauer ihrer Zeit. Der größte Grabbau von allen stammt von den Familien Löblich und Liebau, 1881 auf einem Rondell im Hauptweg errichtet. Ein Halbkreis von mächtigen Säulen, im Zentrum die überlebensgroße Figur einer Trauernden von dem Bildhauer Robert Baerwald, später Schöpfer monumentaler Kaiserdenkmäler.

Der Grabbau von Löblich und Liebau. (Fotos: Michael Schlag)

Gustav Stresemann, Kanzler und Außenminister der Weimarer Republik und Friedensnobelpreisträger liegt hier begraben, gestorben am 3. Oktober 1929, im Alter von 51 Jahren.

Das Grab von Gustav Stresemann.

Auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof findet man eines der ältesten Gebäude auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße, das Mausoleum für die Bankiersfamilie von Oppenfeld, errichtet 1828.

Das Mausoleum der Familie von Oppenfeld.

Neoromantik und Jugendstil

Monumental das Grab von Gustav Eltschig, gestorben am 23. Mai 1903, im Alter von 53 Jahren. Er hatte als Textilfabrikant und Wäschereibesitzer ein Vermögen gemacht, und ein Vermögen muss auch das Erbbegräbnis gekostet haben. Gebaut im Stil der Neoromanik und des beginnenden Jugendstils, verkleidet mit weißem Marmor inklusive thronendem Engel. Positioniert an einem der raren Spitzenplätze des Friedhofs: In der Sichtachse am Ende eines Hauptwegs.

Die Grabkapelle des Ratsmaurermeisters Friedrich Arthus Rohmer.

Häufig findet man sogenannte „sepulkrale Symbole“, wie die schmiedeeisernen Mohnkapseln auf dem Gitter rund um die Grabkapelle des Ratsmaurermeisters Friedrich Arthur Rohmer. Schaut man genauer auf die Jahreszahlen, fällt auf: Selbst die reichsten Menschen dieser Zeit wurden nach heutigen Maßstäben nicht sehr alt. Rohmer starb am 8. November 1898, im Alter von 68 Jahren.

Schmiedeeisernen Mohnkapseln auf dem Gitter rund um die Grabkapelle.
Nationales Kulturgut

Im Vergleich dazu schmucklos wirkt das Grabmal für den Mediziner Johann Friedrich Dieffenbach auf dem Friedrichswerderschen Friedhof. Dieffenbach war ab 1840 Direktor der chirurgischen Abteilung an der Charité zu Berlin. 1847 führte er die Äther-Narkose in Deutschland ein, er gilt als Wegbereiter der plastischen Chirurgie. Gestorben ist er am 11. November 1847, im Alter von 55 Jahren.

20 Jahre älter wurde der Berliner Papierindustrielle Max Krause, er starb am 16. Oktober 1913, im Alter von 75 Jahren. Das Mausoleum seiner Familie gilt als Hauptwerk des Jugendstils in der Berliner Grabmalkunst. Denn nicht nur die Auftraggeber, auch die berühmtesten Bildhauer ihrer Zeit verewigten sich hier. Entworfen wurde das Krause-Mausoleum von dem Architekten Bruno Schmitz, dem Erbauer des Kaiser-Wilhelm-Denkmals an der Porta Westfalica und des Kyffhäuserdenkmals. Die Skulpturen an dem Mausoleum stammen aus der Werkstatt des Bildhauers Franz Metzner. Architekt Schmitz und Bildhauer Metzner arbeiteten auch gemeinsam am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Bemerkenswert übrigens die in Stein gemeißelte und von der Witterung verwaschene Inschrift in der Mauer rechts des Eingangs. Späte Einsicht oder echte Demut? Jedenfalls heißt es dort: „Vieles gewollt, weniges getan, oft gefehlt auf meiner Bahn.“

Heute sind die „Friedhöfe an der Bergmannstraße“ als nationales Kulturgut eingestuft. Nach 1961 wurden die vier alten Friedhöfe durch Mauerdurchbrüche miteinander verbunden. Eigentümer ist der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte.

Die meisten historischen Informationen und Angaben zur Friedhofsarchitektur in diesem Artikel sind verschiedenen Publikationen von Klaus-Henning von Krosigk von der Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg entnommen.

https://www.wo-sie-ruhen.de/friedhof?id=11

Titelbild: Das monumentale Grab von Gustav Eltschig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert