Literarische Spurensuche
Von Bruno Rieb
Verblüffendes, Lustiges, Mörderisches und Skurriles haben Bad Nauheimer Autoren bei ihrer literarischen Spurensuche in ihrem Heimatort entdeckt. Am Mittwochabend haben sie ihr phantasiereiches Werk in der rappelvollen Buchhandlung Rühs vorgestellt.
Sisi trifft Elvis und Einstein
Elvis lebt. Das weiß jeder. Vor allem Ursula Luise Link weiß es. Sie weiß sogar, wo er lebt: In Bad Nauheim. Weil es ihm in der Kurstadt so gut gefallen hat. Sie weiß sogar wo er wohnt: In der Villa Grunewald. „Den die Götter liebten“ hat sie ihre Erzählung über den König des Rock’n’Roll überschrieben. In der Villa Grunewald kommt es zu einer skurrilen Begegnung von Luise mit ihrem Idol, mit Wiener Schnitzel, Eiern und Speck. Der King nennt sie Lou und reimt: „Komm in die Küche, Lou/kein Mädelschen/backt Bacon/so wie du.“ Jetzt ist klar, warum Elvis im Alter kugelrund geworden ist.
Den Mord an Kaiserin Sisi verlegt Petra Ihm-Fahle von Genf auf die Skiwiese in Bad Nauheim. Der Mörder: Ein untersetzter Mann. „Mit Hut, vierschrötig, bartstoppelig.“ Und, wie es sich für einen Mörder gehört: „Unangenehm.“ Er rammt Sisi auf der Skiwiese eine „angespitzte Feile“ in den Körper, „direkt über dem Herzen“. Der Sarg mit dem berühmten Opfer wird unter größter Geheimhaltung nach Genf gebracht. Dort wird die Tat von Luigi Lucheni nachgespielt.
Der Sprudel bebt
Susann Barczikowski erzählt „Wie der Jugendstil nach Bad Nauheim kam“. Sie hat ein Gespräch zwischen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein mit Baumeister Wilhelm Jost aus Darmstadt erfunden. Jost: „Fürwahr, mein Lieber Ernst Ludwig. Die Zeit ist reif für Neues. Überall weht dieser frische Wind der Veränderung.“ Barczikowski kennt die Kurstadt bestens. Sie ist Autorin des Reiseführers „Stadtporträt Bad Nauheim“.
Der Diplom-Psychologe und freiberufliche Managementtrainer Martin Heß gibt in dem Band sein Debüt als Erzähler. Bislang hat er nur Fachbücher geschrieben. Sein Thema: das „Nauheimer Weihnachtswunder“. „Bad“ fehlt vor Nauheim noch, weil es zur Zeit des Wundes noch keines war. Heß hat sich ausgedacht, wie es gewesen sein könnte, als 1848 der versiegte große Sprudel wieder ausbrach. Der Badearzt Friedrich Bode, Salineninspektor Eduard Dunker und Nachtwächter Johann stehen auf der Gänsewiese. „Im Schein der der Laterne des Nachtwächters erkannte Bode, wie sich aus dem alten, abgedeckten Bohrloch ganz offensichtlich heißes Wasser von unten durch den Balken presste und gluckste und schon einen Teil der Erde fortgespült hatte, sodass ein kleiner Tümpel an der ehemaligen Baustelle entstanden war und dampfte.“
Jedem Liebhaber eine Rose
„Das Geheimnis des Rosengartens“ im Rosendorf Steinfurth erzählt Rita Greve. Die „verschrobene Alte“, über die alle Dorfbewohner tuscheln, hält Zwiesprache mit den Männern, denen sie ganz spezielle Rosen gepflanzt hat. Hermann, der nach dem Essen gerne Kaffee und Cognac trank und den Tabak „Erinmore“ in seiner Bruyère-Pfeife rauchte, bekam die „Graham Thomas, eine gelbe, dicht gefüllte Rose mit herrlichem Duft“. Karl, „ein Mann in gehobener Position“ erhielt „eine sehr elegante, stolze Teerose“. Und Waldemars Beet – „Du warst so liebevoll, mein Waldemar“ – „schmückt die Blue River“, denn „diese Rose braucht, genau wie du, einen warmen Standort, damit sie gedeihen kann“.
Autor Wilhelm Edel, Jahrgang 1926, ist ein Mann, dessen Lebensgeschichte nach einer Autobiografie schreit: „Kriegsfreiwilliger, Fähnrich, Gefangener, Student, Initiator und Leiter des Muschelchores, Pfarrer in Ost und West, Brasilien, Bergsteiger, Erstbesteiger, Gaucho, Olivenpflanzer, Chorleiter, Musiklehrer, Organist, Kaufmann, Gastronom, selbständig, mit 79 in Rente und bei Schriftstellerei gelandet“. Edel schreibt über „Das Nieder-Mörler Mordkreuz“. Es steht vor der Kirche des Ortes und erinnert an eine Bluttat vor 400 Jahren. Edel hat sie in die Zeit 30-Jährigen Krieges zurückverlegt, „um bei dieser Gelegenheit an Manches zu erinnern, das heute schon längst in Vergessenheit geraten ist“, an all das „was besonders die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts diesem Land an Verwüstungen, seelischen und körperlichen Qualen bereitet hat“. Er will in seiner Erzählung sogar „Leerräume mit Phantasie zum Leben zu erwecken“ – wie auch immer lebende Leerräume aussehen mögen.
Allen ihren Erzählungen haben die Autoren ausführliche Informationen über Sehenswürdigkeiten und Personen zur Seite gestellt, die in den Geschichten angesprochen werden. So ist das Büchlein ein phantasievoller Reiseführer durch Bad Nauheim.
Die Illustrationen hat die Bad Nauheimer Künstlerin Christa Kleinschmidt beigesteuert. Die gelernte Architektin zeichnete die Orte des Geschehens: den Sprudelhof, die Saline, den Kurpark, die Trinkkuranlage, das Mordkreuz, den Rosengarten…
Autorenclub Wetterau: Unterwegs in Bad Nauheim – eine literarische Spurensuche“, PR, Medienservice und Verlag Susann Bbarczikowski, 190 Seiten, Broschur, 12,80 Euro, ISBN 978-3-00-053016-6
Kleine Korrektur: Der Große Sprudel war nicht versiegt und brach neu aus, sondern man hatte die Bohrung ergebnislos abgebrochen bevor es zum Durchbruch kam.
M. Heß