Gedenkstätte mit Beigeschmack
Von Michael Schlag
Der Friedenspark und das Atombomben-Museum erinnern in Nagasaki an das unfassbare Grauen des Atombombenabwurfs der Amerikaner am 9. August 1945. Über die japanische Kriegsschuld wird jedoch geschwiegen.Doppelter Schock
Nagasaki ist eine wunderbare Stadt am Meer, noch im November warm und hell wie Süditalien, gelegen an einem Fluss, rundum Berge. Aber eins bleibt einem nicht erspart: Wer auch nur halbwegs historisch und politisch interessiert ist, besucht die Gedenkstätten zum Abwurf der Atombombe am 9. August 1945 (die Amerikaner nannten sie „Fat Man“), den Friedenspark und das Atombomben-Museum.
Hier sollte man sich auf einen doppelten Schock gefasst machen. Zum einen das unfassbare Grauen, das eine Atombombe auslöst, darauf war man vorbereitet. Was man nicht erwartet hatte: Das revisionistische Geschichtsbild, das hier vermittelt wird. Historische Aufarbeitung japanischer Kriegsschuld, die der Kriegsschuld der Deutschen wohl kaum nachsteht? Null, kein Wort davon.
Am Eingang geht das los, man begreift es gar nicht gleich. Die erste große Ausstellungshalle zeigt die Überreste einer christlichen Kirche, der Kathedrale von Urakami. Zwanzig Jahre lang hätten gläubige Menschen diese Kirche gebaut, so erfährt man, setzten Stein auf Stein, bis sie 1914 als größte Kirche in Ostasien vollendet war. Später kamen noch zwei 26 Meter hohe Kirchtürme dazu. Und dann: „Die Explosion der Atombombe legte die Kathedrale von Urakami in Schutt und Asche“.
Keine Ahnung, woher der dunkle Schattten kam
Damit beginnt das Museum, der ganze erste Ausstellungsraum ist voll mit christlichen Exponaten; Rosenkränze, ausgeglühte Kreuze. Und man erfährt im Detail, was sich im Moment der Explosion hier zutrug: Zwei Priester und mehrere Dutzend Gemeindemitglieder hielten sich zur Beichte in der Kathedrale auf. Die meisten der Rosenkränze wurden in den Händen der Betenden zerstört und sind verloren. Nach einer Weile wird einem klar, was das sagen will: „Das habt Ihr getan!“ Bombardiert eine Kirche und tötet die christlichen Gläubigen!
Nagasaki ging es bis dahin doch sehr gut, das zeigt ein großes Schaubild mit Fotos. Die Schüler gehen zur Schule, es gibt ein reiches Kulturleben, schöne Architektur, Handel und Produktion. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen, um in der dargestellten Stadtgeschichte kleine Hinweise zu finden. Nagasaki hatte sich, so heißt es ganz neutral, von einem Handelshafen zu einem Schiffbauzentrum entwickelt. (Anmerkung: Rüstungswerften, um China und Südostasien anzugreifen). Doch auf Nagasaki, so heißt es weiter, fiel „ein dunkler Schatten während des Krieges mit China und im 2. Weltkrieg“. (Anmerkung: es waren ab 1931 insgesamt 14 Jahre Krieg, mit denen Japan seine Nachbarn überzog). Dunkler Schatten – keine Ahnung, wo der herkam.
Überlebende Kinder als Augenzeugen
Markieren wir lieber auf einer historischen Karte von Nagasaki alle Schulen, die am 9. August 1945 zerstört wurden, zeigen die verräucherten Mauerreste der Fuchi Grundschule, den zerschmolzenen Wassertank der Keiho Mittelschule, die Verpflegungsdose mit dem verkohlten Reis der getöteten Satoko Tsutsumi, gestorben im Alter von 14 Jahren. Überlebende Kinder werden als Augenzeugen aufgerufen, fünf Jahre alt, neun Jahre alt, die ihre Mutter verloren haben.
Weiter im Museum, zum nächsten Abschnitt: „Ereignisse, die zum Abwurf der Atombombe führten“. Vielleicht die Militärherrscher in Tokyo? Vielleicht 1941 der japanische Angriff auf Pearl Harbour? Keine Rede davon, die Zeitreihe beginnt erst 1943: Das amerikanische Militärkomitee nennt zum ersten Mal die japanische Flotte als mögliches Ziel für eine Atombombe. Und dann der 18. September 1944: Churchill und Roosevelt beschließen bei einem Treffen in Hyde Park den Einsatz der Atombombe gegen Japan. Ein Foto zeigt den amerikanischen Brigadegeneral Groves, wie er mit grimmigem Blick auf eine Japankarte sieht. Der Text darunter beschreibt ihn: „Der Mann, der den Einsatz der Atombomben befahl“. Churchill, Roosevelt, Groves, die waren es.
Nicht nur Japaner unter den Atombomben-Opfern
Nagasaki hatte 1945 um 240.000 Einwohner. Etwa 75.000 starben, weitere 75.000 wurden verletzt. Die Japaner waren aber nicht die Einzigen, die in diese Hölle geworfen wurden, es lebten auch 10.000 Koreaner in Nagasaki. Viel von ihnen waren zwangsweise zum Militär oder zur Arbeit eingezogen, etwa in der Waffenfabrik von Ohashi, aber „andere waren hergekommen, auf der Suche nach einem Lebensunterhalt“. Und es gab in Nagasaki mehrere tausend Angehörige verschiedener Nationalitäten, Chinesische Bewohner, Taiwanesische Studenten; Briten, Niederländer, Indonesier und Australier aus dem Fukuoka Kriegsgefangenenlager mussten in der Mitsubishi Werft in Nagasaki arbeiten. Wie es dazu kam, erklärt wiederum eine Schautafel: „Seine Politik der südlichen Expansion brachte Japan in Konflikt mit Amerika, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden.“ Nun ja, passierte irgendwie.
Eine weitere Schautafel, man kommt jetzt zum Ende des Museums, gibt schließlich Auskunft über „den Weg zur Atombombe“. Das war nämlich so: Entdeckt wurde das physikalische Prinzip von deutschen Wissenschaftlern 1938, die Amerikaner entwickelten daraus 1942 die Bombe. Das war sehr teuer, dieses Manhattan Projekt kostete mehr als der gesamte Staatshaushalt von Japan. Und damit ist auch klar, warum die Bomben geworfen wurden. Nicht etwa, um den Krieg zu beenden, wie die Amerikaner behaupten, sondern um den Erfolg des Manhattan Projektes nachzuweisen und das ganze ausgegebene Geld zu rechtfertigen. Alle Schuldigen sind zum Schluss noch einmal mit Fotos aufgelistet in einer auf dem Kopf stehenden Pyramide: Hahn und Heisenberg, Einstein, Hitler, Roosevelt, Eisenhower – ein Japaner ist nicht darunter. Der Kaiser hatte ganz offenbar nichts mit den Ursachen zu tun, auch keiner seiner verbrecherischen Generäle. Die Atombombe fiel im tiefsten Frieden völlig grundlos auf die Stadt Nagasaki. So sieht das wohl die herrschende japanische Geschichtsschreibung, und so lernen es hier die Schulkinder.
Titelbild: Der Eingang des Atombomben-Museums in Nagasaki