Ein Chauvi kommt ins Schwimmen
Man hätte der schwach besuchten Lesung aus „Walter Nowak bleibt liegen“ von Julia Wolf am Freitagabend im Sprudelhof mehr Publikum gewünscht. Denn die Veranstaltung im Rahmen der HR2-Hörfunk-Aufzeichnung „Heimspiel im Literaturland Hessen“ war sehr interessant. Für Bad Nauheim allemal, da die Handlung an diesem Schauplatz spielt und der Roman für den Deutschen Buchpreis 2017 auf der Longlist nominiert war. Ein Schwimmbad als literarischer Ausgangspunkt, als Veranstaltungsort das Badehaus 2, das in den Plänen für den Bau eines neuen Thermalbades eine umstrittene Rolle spielt. Das lässt aufhorchen, doch an die Therme hatte die Autorin nicht gedacht, wie sie dem Neuen Landboten schilderte. Die gebürtige Hessin, die aktuell in Leipzig lebt, kennt die Stadt, weil ihre Mutter hierhergezogen ist. „Wenn ich hier schwimmen gehe, war ich bisher immer im Usa-Wellenbad.“
Ein unsympathischer Mann
In einem Freibad zieht mithin auch ihr Held Walter Nowak täglich seine Bahnen, wobei sich eines Tages etwas Schlimmes ereignet. In einer Art sportlicher Auseinandersetzung überholt er eine Schwimmerin und stößt sich den Kopf am Beckenrand. Der Bademeister will ihm helfen, doch Nowak lehnt dies ab und geht nach Hause, wo er sich plötzlich auf dem Badezimmerboden wiederfindet. Während er bewegungsunfähig auf seine Frau wartet, zieht vor seinem geistigen Auge sein Leben an ihm vorbei. Mit Nowak hat die Autorin einen bestimmten Typ Mann dargestellt, wie es HR-Moderatorin Tanja Küchle beschreibt: „Einen 68-jährigen Rentner, einen Macher, der seinen Zenit schon hinter sich hat, ein alter gebrochener Chauvi.“ Er leidet, weil sich niemand mehr so richtig für ihn interessiert.
Frauenfreindlichkeit ist wieder präsenter
Im Rahmen der Veranstaltung las Wolf zum einen Passagen aus ihrem Werk, zum anderen beantwortete die 37-Jährige die Fragen der Moderatorin. Auf die Idee, einen Mann darzustellen, den sie unsympathisch findet, kam sie durch die Arbeit an ihrem ersten Buch „Alles ist jetzt“. Zwei unangenehme Nebenfiguren in jenem Werk hätten sie inspiriert. „Frauenfeindlichkeit und Chauvinismus sind im öffentlichen Diskurs wieder präsenter, es ist nicht am Aussterben“, erklärte Wolf. Es gebe einen Schlag Mann, der so ticke wie Nowak und der dieses Frauenbild vertrete. Wie die Autorin erläutert, war ihr wichtig, auch Szenen zu schildern, in denen der Leser emotional aufschließen könne, um Walter Nowak nicht zur Karikatur werden zu lassen.
Neben Szenen, in denen der ältere Herr nachdenkt, ob die junge Putzhilfe Olga scharf auf ihn sei oder als er auf einen Bordellbesuch zurückblickt, ist mithin auch Anrührendes enthalten. Denn Walter war Sohn einer alleinerziehenden Mutter und Sohn eines GI, den er nie kennenlernte. Den Schmerz, der daraus entstanden ist, hat er verdrängt. Als Kind lebte er mit der Mama bei deren Eltern, der Großmutter und dem strengen Großvater, der nicht will, dass sie Schallplatten von Elvis hören. Die Mutter schwärmt für den King, weshalb Walter ihr ein Autogramm in Bad Nauheim holt. Direkt spricht er es zwar nicht aus, aber er zieht in Betracht, dass Elvis sein verlorener Vater ist. Das Publikum hatte viel Freude bei der ansprechenden Lesung und applaudierte herzlich. Im Anschluss konnten die Gäste das Werk am Büchertisch der Buchhandlung Rühs kaufen und signieren lassen, was die Autorin gerne tat.
Die Hörfunk-Sendung „Heimspiel im Literaturland Hessen“ wird am Sonntag, 14. Januar um 12.04 Uhr auf HR2 ausgestrahlt.
Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen, Frankfurter Verlagsanstalt, ISBN 978-3-627-00233-6, € 21.