Überlebende Hanka Weingarten berichtet
Hanka Weingarten, geborene Wertheimer, hat als Kind das Grauen des Holocaust erlebt. Der Vater und die Mutter starben, viele Angehörige auch. Sie überlebte schwerkrank. Heute gibt sie ihre Erfahrungen an die jüngere Generation weiter. In der Karl-Weigand-Schule in Florstadt sprach sie vor Schülern der beiden Abschlussklassen.
„Das bleibt dauerhaft haften“
Die Schüler hatten eine Woche zuvor eine Studienfahrt nach Buchenwald unternommen. „So waren sie einigermaßen gut vorbereitet auf den Vortrag, der dennoch viele Schülerinnen und Schüler sprachlos machte“, heißt es in einer Pressemitteilung des Wetteraukreises. Erster Kreisbeigeordneter und Schuldezernent Jan Weckler (CDU) sagte zu den Schülern: „Vieles von dem, was Ihr in den Geschichtsbüchern lest, werdet Ihr über kurz oder lang vergessen. Das aber, was Ihr bei solchen Gedenkstättenfahrten erlebt oder in dem direkten Dialog mit einem Zeitzeugen, das bleibt bei vielen auf Dauer haften.“
Hanka Weingarten lebte in einem behüteten Elternhaus in der Tschechoslowakei, nahe der österreichischen Grenze. 1938, Hanka war gerade neun Jahre alt, packte die Mutter die Koffer, um für ein paar Tage zu einem Onkel weiterzufahren, bis sich die Situation an der Grenze wieder beruhigte. „Ich habe meine Heimatstadt nicht wiedergesehen. Wir waren Flüchtlinge geworden.“ Von einem Onkel zum anderen sei man gezogen. Am Schluss habe man in Prag gelebt. „Wir hatten alles verloren.“
Mit dem Einmarsch der Wehrmacht änderte sich auch für Hanka Weingarten das Leben noch mehr. „Wir durften nicht mehr in die normale Schule gehen. Kino, Theater und vieles andere waren tabu. Täglich kamen neue Gesetze mit Einschränkung für uns Juden.“
1941 begannen die Transporte von tschechischen Juden in die Konzentrationslager. Hanka Weingarten wurde mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert, ein Ghetto, in dem Juden aus ganz Europa lebten. Dort kam sie in ein Kinderheim. „Wir waren 30 Kinder in einem engen Raum, Betten mit drei Stockwerken übereinander, ein einziger Tisch, aber den brauchten wir ja nicht. Wir durften nicht lernen, wir durften nicht zur Schule. Ich habe mich dann für die Landarbeit einteilen lassen.“
Eine Lüge rettete ihr Leben
Nach einigen Monaten in Theresienstadt wurde Hanka Weingarten mit ihrer Mutter nach Auschwitz deportiert. Alle Jüdinnen zwischen 16 und 40 Jahren sollten nach rechts, die anderen nach links treten. „Ich habe mich älter und meine Mutter hat sich jünger gemacht. So wurden wir zur Arbeit eingeteilt, während die anderen sofort ermordet wurden.“
Ein weiterer Transport führte Hanka Weingarten und ihre Mutter ins KZ Neuengamme in Hamburg. „Hier haben wir in Fabriken gearbeitet und Straßen gebaut. Manchmal haben uns auch Deutsche heimlich etwas zugesteckt: eine Kartoffel, eine Karotte, deren Wert für uns unglaublich war.“
Letzte Station von Hanka Weingarten war das Konzentrationslager Bergen-Belsen, in das sie im März 1945 sechs Wochen vor der Befreiung durch die Briten kam. „Überall lagen Leichen.“ Hanka Weingarten erkrankte schwer an Tuberkulose. Ihre Mutter starb einen Monat nach der Befreiung noch in Bergen-Belsen an Typhus. Hanka reiste weiter nach Prag, wo eine Lungentuberkulose festgestellt wurde. Damals wog die fast 16-Jährige nur noch 35 Kilogramm.
30 Jahre lang hat sie über ihre Erlebnisse geschwiegen. Dann brach es aus ihr heraus. „Ich muss davon erzählen“, sagte sie zu den Schülerinnen und Schülern, „und ich hoffe, dass Sie etwas daraus mitnehmen.“
Bei all dem, was Hanka Weingarten erlebt hatte, war sie jünger als die Schüler, die ihr in der Karl-Weigand-Schule zuhörten.