Kein Abriss der Bauruine in Sicht
Von Klaus Nissen
Seit 2021 ruht nun schon der Bau der einst für Amazon bestimmten Logistikhalle neben der B 455 bei Grund-Schwalheim im Wetteraukreis. Das Riesengebäude bleibt wohl unvollendet. Und für einen Abriss mangelt es an Geld und Interesse.Amazon will nicht in die Wetterau
Die 14 Meter hohe und 8500 Quadratmeter umfassende Logistikhalle ist ein gewaltiger Rohbau. Seit Mai 2021 steht er unvollendet in der Landschaft. Zuerst erwirkte der Bund für Umwelt und Naturschutz vor Gericht einen Baustopp. Im vorigen März wurde dann bekannt, dass sich der Amazon-Konzern längst von dem Projekt zurückgezogen hatte. Das Verteilzentrum werde nicht gebraucht, hieß es überraschend bei einem Termin vor dem Gießener Landgericht.

Die Kammer für Zivilsachen wurde damals eingeschaltet, weil Amazon und die Hamburger Bauträgergesellschaft Garbe über die Erstattung der bislang aufgelaufenen Baukosten stritten. Die summieren sich laut Garbe auf 23 Millionen Euro. Der Bauträger forderte 14 Millionen von Amazon. Doch die in München sitzende Filiale des US-Konzerns wollte nicht mehr als 7,8 Millionen erstatten.
Landgericht vermittelt nicht mehr
Der Landgerichts-Vizepräsident Dietrich Claus Becker versuchte vergeblich, den Streit zu schlichten. Immer wieder wurden wurden Termine für Saal 107 des Landgerichts an der Gießener Ostanlage bestimmt und dann kurzfristig verschoben. Den jüngsten Termin am 10. Oktober sagten Amazon und Garbe gemeinsam ab, so Gerichts-Pressesprecher Robert Metz auf Anfrage. Wegen “schwebender Vergleichsverhandlungen“ ruhe das Verfahren nun. „Wenn die sich nicht mehr melden, bleibt das Gericht außen vor.“

Der Öffentlichkeit kann egal sein, welcher der beiden Konzerne den Schaden bezahlt. Nicht egal ist, ob die von Disteln und Brombeergestrüpp umgebene Bauruine auf Dauer die Landschaft verschandelt. Was die Bauaufsicht im Friedberger Kreishaus zu unternehmen gedenke, fragten Michael Rückl und Isil Yönter von der Grünen-Kreistagsfraktion im Sommer schriftlich an. Garnichts, antwortete sinngemäß die Erste Kreisbeigeordnete Birgit Weckler (CDU).
Gilt die Baugenehmigung noch?
Einschreiten müsse der Landkreis, wenn die Bauruine eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Allgemeinheit wäre. Das sei nicht gegeben. Allerdings erlösche nach Paragraph 74 der Hessischen Bauordnung grundsätzlich die Baugenehmigung, wenn die Bauausführung mehr als ein Jahr unterbrochen sei. Aber: „Diese Frist kann gegebenenfalls durch bestehende Rechtsverfahren gehemmt werden.“ Ob so ein Antrag gestellt wurde, ist unklar.
Eine verlängerte Baugenehmigung gäbe den Investoren Zeit, andere Nutzer für die von Amazon verschmähte Logistikhalle zu finden. Laut Jochen Degkwitz waren im Juni Vertreter des Bauträgers im Echzeller Rathaus, um darüber zu reden. Ob die Suche erfolgreich ist, weiß der Erste Beigeordnete der Gemeinde nicht. Der Garbe-Konzern hat auf eine Anfrage nicht reagiert. Degkwitz vermutet, dass neue Nutzer schwer zu finden sind. In Lich steht beispielsweise die noch größere Wayfair-Halle schon längere Zeit leer.

Wenn keine Nutzung in Sicht ist, sollte die Bauruine nach Ansicht der Grünen-Sprecher Isil Yönter und Michael Rückl abgerissen werden. Für den Rückbau sei laut Paragraph 179 die Gemeinde und der Eigentümer zuständig, so die Erste Kreisbeigeordnete Birgit Weckler in der Antwort auf die Grünen-Anfrage. Die Bauaufsicht des Wetteraukreises habe zu einem Rückbau keine Informationen und Kontakte.
Auch die Gemeinde Echzell treibt momentan keinen Abriss der Bauruine voran. Dafür gibt es mehrere Gründe. Bürgermeister Wilfried Mogk, der den Bau der Logistikhalle in Grund-Schwalheim ermöglicht hatte, gibt sein Amt zum 31. Oktober auf. Er feiert gerade seinen Resturlaub ab.
Gemeinde Echzell ordnet vorerst keinen Rückbau an
Sein Nachfolger Raik Noll (CDU) ist erst ab 1. November im Amt. Jochen Degkwitz, der ehrenamtliche Erste Beigeordnete, hält eine Abrissverfügung für nicht durchsetzbar: „Wenn wir den Investoren mit einem Anwalt kämen, würden die sofort zum Amtsgericht gehen und Insolvenz beantragen.“ Denn die Halle gehört nicht dem solventen Garbe-Konzern, sondern einer Tochter, der „Sechsundneunzigsten Logimac Logistic Grundbesitz GmbH“. Sie arbeitet nach Angaben des Garbe-Chefs Jan Dietrich Hempel mit geliehenem Geld von internationalen Investoren und Pensionsfonds. Die haben nach Vermutung von Jochen Degkwitz kein Problem, die Projektgesellschaft pleite gehen zu lassen. So bleibt die Bauruine wohl stehen, bis der Zahn der Zeit sie abgenagt hat.
Ein gescheitertes Großprojekt
Anno 2020 wurde der Vertrag für den Bau eines Amazon-Verteilzentrums auf dem vier Hektar großen Areal am Rande von Grund-Schwalheim geschlossen. Es liegt an der Kreuzung der
B455 mit der Kreisstraße von Bisses nach Unter-Widdersheim neben dem einstigen Limes-Kleinkastell „Alte Burg“. Eine Lieferwagen-Flotte sollte von dort aus täglich tausende Pakete an Verbraucher der umliegenden Dörfer und Städte ausliefern. Außer der Sortierhalle sollten auf dem Gelände auch Sozialräume und ein Parkhaus entstehen.
Von Anfang an bekämpfte der Bund für Umwelt und Naturschutz das Projekt. Der Standort sei neben einem Rastplatz für Zugvögel in der Horloffaue ungeeignet, so die Umweltschützer. Erfolgreich focht der BUND vor Gericht die Baugenehmigung an und erzwang eine nachträgliche Umweltverträglichkeitsprüfung. Bis zum Baustopp im Mai 2021 wurden der Rohbau der Halle und die Treppentürme des Parkhauses fertig.
Erst vier Jahre später kam im vorigen März heraus, dass Amazon längst das Interesse an der Logistikhalle verloren hatte. Seitdem streitet der Konzern mit dem Bauträger, wer die bislang aufgelaufenen Kosten zu tragen hat.