Amazon will nach Grund-Schwalheim
Von Klaus Nissen
Im Mai 2021 stoppte ein Gericht den Bau des Amazon-Verteilzentrums in Grund-Schwalheim. Nun beantragen die Investoren, endlich weiterbauen zu dürfen. Der Wetteraukreis hat das Projekt offenbar erneut genehmigt. Doch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hält dagegen.Bauträger beantragt Baustopp-Aufhebung
Täglich kommen viele tausend Autofahrer am riesigen Rohbau vorbei. Sie sehen die Pfeiler und das Dach einer 8500 Quadratmeter großen Logistikhalle, dahinter die beiden Beton-Treppentürme des noch nicht gebauten Parkhauses. Im Frühsommer 2020 hatten die Bagger am Ortsrand von Grund-Schwalheim bei Echzell im Wetteraukreis losgelegt. Wenige Monate später wollte der Online-HändlerAmazon hier sein neues Verteilzentrum in Betrieb nehmen. Von Grund-Schwalheim aus soll jeden Tag eine Sprinter-Flotte die Amazon-Kunden in den Kreisen Wetterau, Gießen, Vogelsberg und Main-Kinzig mit Konsumwaren versorgen.
Doch daraus wurde bislang nichts. Monatelang blockierte ein vom BUND erwirkter Baustopp die Arbeiten. Von Februar bis Mai 2021 durfte der Bau weitergehen – doch seitdem tut sich nichts mehr auf dem knapp vier Hektar großen Gelände an der Kreuzung der B455 mit der Landesstraße zwischen Unter-Widdersheim und Bisses.
Amazon: „Halten an diesem Standort fest“
Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel erließ damals in zweiter Instanz einen Baustopp für das Verteilzentrum. Die Richter sahen genau wie der BUND die Baugenehmigung des Wetteraukreises als ungültig an. Denn das Kreisbauamt hatte darauf verzichtet, eine Umweltverträglichkeitsprüfung anzuordnen. Das müsse nachgeholt werden, forderten die Verwaltungsrichter. Denn neben der Baustelle liegen die geschützten Horloff-Feuchtwiesen, auf denen sich zahlreiche Vögel und Amphibien tummeln
Seit über zwei Jahren gab es keine Neuigkeiten mehr zum Großprojekt. Der Wetteraukreis verweigert jede Auskunft. Aus Datenschutzgründen könne man nichts sagen, so eine Sprecherin.
Ist Amazon überhaupt noch am Verteilzentrum interessiert? Immerhin flaute die Konsumlaune der Deutschen merklich ab. Nachfrage beim Konzern-Sprecher Stefan Adler in München: „Nach wie vor halten wir an diesem Standort fest“, sagt Adler am Telefon. „Wir werden einfach weiter abwarten.“ Amazon sei ja nur Mieter des künftigen Verteilzentrums.
Das langsam verwitternde Bauschild vor Ort bestätigt das. Grundstück und Rohbau gehören der 77. Logimac Grundbesitz GmbH – einer Tochter des Hamburger Projektentwicklers Garbe. Der hat die Industriebau-Firma Goldbeck mit der Errichtung des Verteilzentrums beauftragt. Amazon steht als Mieter bereit.
Umweltprüfung ist jetzt fertig
Die 77. Logimac hat schon viel Geld in die Grund-Schwalheimer Halle investiert, ohne es durch Mieteinnamen von Amazon zu amortisieren. Die Bauträger beantragten jüngst eine Abänderung des Baustopp-Beschlusses vom Mai 2021, teilt Melina Hofmann vom Verwaltungsgericht in Gießen auf Anfrage mit. Der Bau solle weitergehen – denn nun sei die geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung fertig.
Dieses hundertseitige Gutachten motivierte die Kreisverwaltung offenbar, den Hallenbau erneut zu genehmigen. Ihm liege die Genehmigung vor, berichtet Echzells Bürgermeister Wilfried Mogk auf Anfrage. Die Umweltschützer vom BUND bekamen vom Verwaltungsgericht die Auflage, den Weiterbau-Antrag der Logimac zu bewerten.
Das ist nun geschehen. Die Umweltprüfung sei mangelhaft, so BUND-Landesvorstandsmitglied Werner Neumann. Im Gutachten fehlten Daten über das Vorkommen und Verhalten der Brut- und Rastvögel nahe der Baustelle. Das Gutachten zeige aber, „wie gravierend die Auswirkungen durch den Bau der Halle und deren Kulisse schon jetzt sind. So kommt etwa die Bekassine im Wirkraum nicht mehr vor.“ Die Vögel vergrämende Kulisse der 14 Meter hohen Halle werde noch größer, wenn man sie wie geplant mit Bäumen eingrüne.
BUND findet das Umweltgutachten lückenhaft
Schon jetzt gebe es kaum noch Kraniche, die bisher in der Horloffaue auf ihrem Zug nach Südeuropa rasteten. Die Umweltschützer bemängeln zudem, dass die Kollisionsgefahr der Großvögel mit den vielen Kurier-Kleinlastern beim Betrieb des Verteilzentrums nicht im Gutachten berücksichtigt wurden.
All das rechtfertige nicht, die Amazon-Niederlassung fertigzustellen, so der BUND-Kreisvorsitzende Werner Neumann. Auch in Zukunft würden die Autofahrer in Grund-Schwalheim noch lange Zeit an der unfertigen „Garbe-Akropolis“ vorbeifahren.