Die Bilanz für Hessen
Von Bruno Rieb
Die Spur der Gewalt, die rechte Täter in Hessen hinterlassen haben, zeichnen Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch in ihrem Buch „Rechter Terror in Hessen“ nach. Mindestens 20 Tote gehen demnach auf das Konto rechter Täter. Schmidt und Weyrauch stellen nicht nur das Ausmaß der Gewalt dar, sondern beschreiben auch kenntnisreich das Milieu, aus dem die Täter kommen.Die offizielle Statistik trügt
Hessen zählt zu den Schlusslichtern unter den Bundesländern bei rechtsextremen Gewalttaten – wenn man den Statistiken traut. Die verraten allerdings wenig über die Qualität der Taten. „Dass Hessen trotz schwerster Gewaltdelikte mit elf Toten in 2019 und 2020 auf Platz 13 (2019) und Platz zwölf (2020) rangiert, ist zudem dem Umstand geschuldet, dass auch Morde – selbst der Terroranschlag von Hanau – unabhängig von der hohen Anzahl an Opfern – lediglich als ein Gewaltdelikt gezählt werden“, beklagen die Autoren.
Außerdem gehen rechte Gewalttaten nicht immer als solche in die Statistik ein. Eine Gewalttat sei nicht erst dann als „rechts“ zu bewerten, wenn der Täter einschlägig organisiert ist oder sich selbst als rechts verortet, betonen Schmidt und Weyrauch. Sie berufen sich auf den Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn, der erklärt: „Nicht jeder extreme Gewalttäter muss über eine umfangreiche organisatorische Integration ins rechtsextreme Milieu verfügen, da aufgrund des völkischen Weltbildes ein extrem hohes Maß an weltanschaulicher Festigung ebenfalls hinreichend sein kann, um die Idee der Ungleichheit in gewaltförmigen Konsequenzen umzusetzen“. Ablehnung und Ausgrenzung sind laut Schmidt und Weyrauch gesellschaftlich tief verankert. Sie könnten auch Personen zu Handlungen verleiten, die sich selbst als normale Bürger sehen. So könnten auch unorganisierte Personen zu rechten Gewalttätern werden.
Rassismus ist das zentrale Motiv
Am 31. Juni 1992 brannte frühmorgens die Unterkunft für Asylsuchende in Lampertheim im Landkreis Bergstraße. Eine bis heute nicht namentlich bekannte dreiköpfige Familie – ein 29-jähriger Mann, eine 23-jährige Frau und ein dreizehn Monate altes Baby- kamen ums Leben. Drei Anfang 20-jährige Deutsche wurden wegen schwerer, gemeinschaftlicher Brandstiftung zu Haftstrafen verurteilt. Ein rassistisches Tatmotiv erkannte das Gericht nicht. „Bis heute wird die getötete Familie aufgrund der damaligen Bewertung des Gerichts in den offiziellen Statistiken der Bundesregierung und des hessischen Innenministeriums nicht als Opfer rechter Gewalt gezählt“, kritisieren Schmidt und Weyrauch.
Rassismus ist der zentrale Anlass rechter Gewalttaten in Hessen geworden. „Die dominierenden ideologischen Motive rechten Terrors in Hessen waren, über den gesamten Zeitraum dieser Untersuchung betrachtet, Rassismus, Hass auf politische Gegner*innen und Antisemitismus. Während antisemitische Beweggründe und das Motiv, politische Gegner*innen in ihrem Wirken aufzuhalten, zu allen Zeiten von großer Relevanz waren, wurden rassistisch motivierte Gewalttaten erst ab den 1980er Jahren virulent. In der Folge entwickelte sich Rassismus jedoch zum zentralen Motiv rechten Terrors“, bilanzieren Schmidt und Weyrauch.
Rechte Szene im Wandel
Mit der Zunahme rechter Gruppen, Organisationen und Parteien, aber auch weniger organisierten neonazistisch-subkulturellen Szenen, vor allem der Skinhead-Kultur, wuchs laut Schmidt und Weyrauch die rechte Gewalt in Hessen: „Obwohl vor allem rassistisch motivierte Gewalttaten immer wieder von Personen ohne (enge) Bezüge zu extrem rechten Gruppierungen verübt wurden, hat sich gezeigt: Die Hochburgen rechter Gewalt waren in der Regel auch die Hochburgen extrem rechter Organisationsstrukturen.“ Diese Strukturen zerfallen Seit Jahren verlieren laut Schmidt und Weyrauch organisierte Kameradschaften und die NPD an Einfluss und auch die „Identitäre Bewegung“, die sich als „hippe“ Jugendbewegung zu inszenieren versuchte, sei – zumindest vorläufig – gescheitert. Die AfD könne nun bezüglich der Radikalisierung Einzelner „ein nicht unwesentlicher Faktor werden“, befürchten Schmidt und Weyrauch.
Sascha Schmidt, Yvonne Weyrauch: „Rechter Terror in Hessen – Geschichte, Akteure, Orte“, Wochenschau Verlag, Taschenbuch, 400 Seiten, ISBN: 978-3-7344-1562-3, 29,90 Euro
Danke für diesen Artikel. Ich würde ergänzen wollen, dass am 18.7. im Bürgerhaus Altenstadt-Waldsiedlung eine Veranstaltung mit (u.a.) den beiden Autor/inn/en stattfinden wird. https://antifabi.de/?p=5937