Und draußen die Nacht

Serie über die Entführung von Aldo Moro

Von Michael Schlag

Die Serie „Und draußen die Nacht“ auf Arte schildert die Entführung von Aldo Moro vor 45 Jahren durch die Brigate Rosse bis zu seiner Ermordung in sechs Folgen aus sechs Perspektiven. Die Serie ist schwere Kost, etwas für Leute, die sich sehr für Politik und Zeitgeschichte interessieren. Oder die Wissenslücken in der eigenen Biografie beheben wollen.

Bewaffneter Terrorismus

Süditalien, Frühjahr 1978, Semesterferien. Spät abends im VW-Bulli am Fähranleger von Reggio Calabria nach Messina. Drei Polizisten kontrollieren uns: „Terroristi?“ Der lange Peter, der als Einziger Italienisch sprach, antwortet: „No, Touristi!“ Und damit ließen sie uns auch schon weiterfahren. Sag mal, was wollten die eigentlich von uns? Der lange Peter, der sogar italienische Zeitungen lesen konnte, meinte, da wäre so ein Politiker entführt worden, hier im Bulli ist er jedenfalls nicht. In Wahrheit steckte Italien in dem, was man in Deutschland später den „Deutschen Herbst“ nannte. Die hohe Zeit des bewaffneten Terrorismus mit Mordanschlägen und Entführungen – in Deutschland die RAF und in Italien die Brigate Rosse.

Die Entführung wird vorbereitet. ( Bildrechte: ARTE F / © Anna Camerlingo)

Diese hatten am 16. März 1978 den Parteivorsitzenden der Democrazia Cristiana, Aldo Moro, entführt. Die Polizei im ganzen Land in höchstem Alarm. Wir hatten ja auch irgendwie mitbekommen, dass mehr Bullen unterwegs waren, es gab mehr Kontrollen und dann auch gleich mit Maschinenpistolen. Aber so ein bisschen Sympathie im Herzen hatte man ja auch für die Brigate Rosse, war Ehrensache, ansonsten kümmerten wir uns mehr um den Vino Rosso, gerade am Abend. Jetzt aber bietet sich endlich die Gelegenheit, das Alles nochmal mit etwas mehr Verstand durchzugehen.

Die Entführung aus sechs Perspektiven

Die ganz neue politische Serie „Und draußen die Nacht“ führt 45 Jahre zurück nach Italien in die Wochen der Entführung von Aldo Moro und schildert das ganze Geschehen bis zu seiner Ermordung in sechs Folgen aus sechs verschiedenen Perspektiven. Einmal aus Sicht der italienischen Regierung, und aus Sicht der Führungsebene der Democrazia Cristiana, beide kommen so grau und verschlossen daher wie ein Politbüro. Sie versichern sich alle Zeit ihr oberstes Ziel, den Kollegen lebend zurückzubekommen, Verhandlungen schließen sie aber aus. Und vielleicht wäre es ja auch praktischer, der Parteivorsitzende würde nicht mehr zurückkommen. Wollte Aldo Moro doch das gespaltene Land versöhnen, in einem historischen Kompromiss der Parteien von Christdemokraten, Kommunisten und Sozialisten. Was nicht jedem in der Democrazia Cristiana gefiel, bedeutete es doch Macht- und Postenverlust für die eigene Partei. Auch aus Sicht der Linken riefen nicht alle hurra, musste man für einen Kompromiss doch eigene gefestigte Positionen aufgeben. Aus Sicht der Terroristengruppe war der politische Versöhnungskurs ohnehin Verrat. Eine Episode widmet sich dem Innenleben der Terroristengruppe, eine andere der Familie Moro, und immer wieder kommt der Vatikan ins Spiel mit Papst Paul VI (wegen seiner Ablehnung jeglicher Verhütung hieß er bei uns „Pillen-Paul“).

Aldo Moro in Gefangenschaft. (Bildrechte: ARTE F / © Anna Camerlingo)

Und alles düster, düster. Gewalttätige Demonstrationen auf den Straßen, die Regierungsbüros wirken wie Gruften, der Vatikan hat offenbar direkten Zugriff auf die italienische Regierung und die Amerikaner natürlich mittenmang, wenn es gegen die Kommunisten geht. Ein Rätsel bleibt offen: Warum bedankte sich Aldo Moro in seinem letzten Brief bei den Brigate Rosse für seine Freilassung, kurz bevor er tatsächlich ermordet wurde? Aber wie hätten Cossiga, Andreotti und die Hardliner der Regierung dann ausgesehen, die doch jede Verhandlung ablehnt hatten (genau wie die deutsche Regierung bei der Schleyer-Entführung ein halbes Jahr zuvor).

„Und draußen die Nacht“ ist schwere Kost; die Serie ist etwas für Leute, die sich sehr für Politik und Zeitgeschichte interessieren. Oder auch: Man hat in der eigenen Biografie ein paar Wissenslücken, die man damit gut beheben kann.

Und draußen die Nacht – Die Entführung von Aldo Moro, Zu sehen bis 12. Juli 2023 in der Arte-Mediathek arte.tv/de/videos

Der Trailer: arte.tv/de/videos

Titelbild: Gewaltsame Proteste auf den Straßen. (Bildrechte: ARTE F / © Anna Camerlingo)

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