Kassis spricht über da Vinci
von Jörg-Peter Schmidt
Leonardo da Vinci (1452 – 1519) war ein Universalgenie voller Geheimnisse. Über diesen einzigartigen Künstler und Wissenschaftler berichtete in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar der Historiker François Kassis (Limburg), der in Perugia in Italien Religion und Kunstgeschichte studiert hat.
Die Rätsel um Mona Lisa
Selbstverständlich kam der Referent, der Spezialist für die Zeit der Renaissance ist, auch auf die Rätsel um „Mona Lisa“ zu sprechen: Er ging auf interessante Erkenntnisse und Theorien von Wissenschaftlern ein. Die meisten Kunstkenner gehen seit Jahrhunderten davon aus, dass die scheinbar lächelnde Frau auf dem Bild im Louvre die Gattin des Kaufmanns Francesco di Bartolomeo del Giocondo aus Florenz ist. Einige Forscher – zuletzt der Italiener Roberto Zapperi – glauben jedoch: Die Frau auf dem berühmtesten Gemälde der Welt ist eine Geliebte von Giuliano de’ Medici. Er war der drittgeborene Sohn von Lorenzo Il Magnifico und hatte ein Verhältnis mit einer verheirateten Hofdame namens Pacifica Brandani. Es soll verschiedene Aufzeichnungen geben, die diese These untermauern. Schon Carlo Pedretti – ebenfalls Italiener – war sich Ende der fünfziger Jahres des vergangenen Jahrhunderts sicher: „Lisa“ ist in Wirklichkeit Pacifica.
Die Flugmaschinen des Meisters
Es gibt noch weitere Rätsel um Leonardo, der unter anderem in Florenz und Mailand sowie auf Einladung des Königs Franz des I. im Schloss Clos Lucè in Amboise (Frankreich) lebte und arbeitete (dort starb er am 2. Mai 1519): Da Vinci zeichnete und entwarf Flugmaschinen, nachdem er verschiedene Vogelarten beobachtet hatte. Die Forscher zerbrechen sich heute noch den Kopf, ob Leonardo – vielleicht nur einige Meter – geflogen ist. „Aktuell versuchen Fachleute, diese Maschinen nachzubauen und zu prüfen, ob sie flugfähig sind,“ berichtete Kassis, dessen Vortragsschwerpunkt jedoch die Zeichnungen und Gemälde dieses großen Künstlers war:„Niemandem außer ihm gelang es, als Maler so ausdrucksvoll Gefühle in den Gesichtern der Menschen darzustellen“, unterstrich der Kunsthistoriker. Ein Beispiel: Stolz und selbstbewusst blickt die Cecilia Gallerani als „Dame mit dem Hermelin“ vom Betrachter weg (sie war die Mätresse von Ludovico Sforza, der in Mailand Dienstherr da Vincis war). Das Porträt hängt im Czartoryski-Museum in Krakau.
Bescheiden und voller Liebe zu ihrem Sohn Jesus sind stets die Gesichtszüge Marias dargestellt, etwa in dem Bild „Die Felsengrottenmadonna “ , das im Louvre seinen Platz gefunden hat.
Selbstverständlich endete der Vortrag nicht, ohne das Fresko „Das letzte Abendmahl“ erwähnt zu haben. Es schmückt eine Wand im Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in in Mailand: Jesus kündigt an, dass er verraten wird – die Jünger schauen bestürzt und entsetzt; Judas hat einen Beutel mit Silberlingen in der Hand. Aber ist Maria Magdalena auf dem Fresko abgebildet, wie unter anderem der Schriftsteller Dan Brown behaupten? Kassis ist da eher skeptisch. Allerdings: Johannes sieht auf dem Bild beim näheren Betrachten in der Tat aus wie eine junge Frau.
Der Referent konnte und wollte nicht alle Mysterien entschlüsseln, die da Vinci der Nachwelt hinterlassen hat. Die Zuhörer applaudierten lange nach dem Vortrag. „Demnächst werde ich über Michelangelo sprechen; der Termin steht noch nicht fest,“ kündigte Kassis an. Er berichtete, Leonardo habe diesen Künstler überhaupt nicht leiden können.