Hessen-Archäologie

Spektakuläre Funde in der Wetterau

Von Corinna Willführ

Zu einer Geschichtsreise von der Altsteinzeit bis in die Moderne verführt das aktuelle Jahrbuch der HessenArchäologie. Auf 237 Seiten gibt es in mehr als 40 reich bebilderten wissenschaftlichen Beiträgen eine Übersicht zu den Forschungen und Aktivitäten in den hessischen Bodendenkmälern im Jahr 2019. Die Wetterau ist mit einigen spektakulären Funden vertreten.

Die 70 Autorinnen und Autoren kommen aus der Landesarchäologie, von Universitäten oder Museen, sind externe Experten oder fachkundige Ehrenamtliche. Die Wetterau ist mit Beiträgen über einen ganz besonderen Fund im Butzbacher Stadtteil Nieder-Weisel und unerwarteten Ausgrabungsergebnissen in Wölfersheim-Berstadt vertreten. Außerdem mit einem Rückblick auf das ereignisreiche Jahr 2019 in der Keltenwelt am Glauberg – und einer „indiziengestützten Theorie“ zur Besiedlung des Glauberg-Plateaus im Mittelalter. Bereits das Durchblättern des Bandes ist ein lehrreiches Vergnügen. Erst recht das Lesen der gut verständlichen Texte.

Häuser aus der Jungsteinzeit

Als ein Team der Archäologischen Denkmalpflege des Wetteraukreises in 2018 begann, in Berstadt auf dem Areal des geplanten Rewe-Logistikzentrums mögliche archäologische Befunde und Funde zu bergen, war nicht abzusehen, dass eine archäologische Großgrabung ihren Anfang nahm. „Das Gefundene übertraf jedoch alle Erwartungen bei Weitem“, heißt es in dem Text „Wieder Rössener Häuser in der Wetterau“ von Jörg Lindenthal, Marcus Jae und Roland König. So konnte die parallel zur Kreisstraße 181 verlaufende Römerstraße durch Straßengräben nachgewiesen werden. Mehr noch: Auf dem 30 Hektar großen Gebiet erfassten die Archäologen 32 Gebäudegrundrisse der Rössener Periode, einem Zeitabschnitt der mittleren Jungsteinzeit (zwischen 4790 und 4550 v. Chr.) Auf dem Areal fanden sie Gebäudeumrisse von 15 bis 60 Meter Länge in einer für die Epoche charakteristischen „schiffs- bis trapezoiden Form“. In deren Umfeld entdeckten die Archäologen außerdem sogenannte Pfostengruben. Da sich in diesen mehrfache „Schichten“ vermutlich von Viehgattern befanden, folgern die Experten: „Wir haben also einen länger andauernden, mehrphasigen Siedlungsvorgang vor uns, ohne dass das zeitliche Verhältnis der Befunde bislang sicher einzuschätzen wäre.“ Was sich allerdings sagen lässt: „Schon jetzt ragt die dortige Siedlung aus den zahlreichen, in den letzten Jahren erforschten Siedlungsplätzen des Mittelneolithikums in der Wetterau (2008-2010) heraus.“

Ein mysteriöser „Augenblick“

Von Berstadt nach Butzbach, genauer in den Stadtteil Nieder-Weisel. Auf rund zwei Hektar soll dort auf einem an den Ort angrenzenden Areal das Neubaugebiet „Am Engelsberg“ entstehen: auf Boden, der bereits vor Jahrtausenden besiedelt wurde. Denn anhand von mehr als 400 Funden in der ersten Grabungsphase konnte belegt werden, dass es in Nieder-Weisel während der gesamten Bronzezeit eine Siedlung gab. Etwa 800 Jahre lang. Nicht lösen konnten die Archäologen bisher das Rätsel, das ihnen ein Brandlehmbrocken aufgibt. In diesem ist ein 2,8 Zentimeter breites und zwei Zentimeter hohes plastisches Augenmotiv zu erkennen. Mit Lid, Wimpern und Augenbrauen. War es ein hervorgehobener Wandputz, gehörte es zu einem Podest, einem Altar? Hatte es eine symbolische Bedeutung? Und wenn ja welche? Augendarstellungen sollten unter anderem schützend vor bösem Zauber wirken oder waren wie in Ägypten oder auch in der christlichen Religion ein göttliches Zeichen. „Daher wird dieses Stück ‚Lösslehm“ die archäologische Forschung noch lange beschäftigen“, so die Autoren.

Ritterspiele auf dem Bergplateau

Davon ist auch Christoph Röder überzeugt, der „Indizien für einen Turnierplatz auf dem Glaubergplateau“ entdeckt hat. Dieser könnte zwischen dem Burggebäude, der Zisterne und dem Kirch- beziehungsweise Friedhof zur Zeit der mittelalterlichen Besiedlung des Plateaus aus der späten Stauferzeit gewesen sein. Seine Annahme gründet sich auf die Auswertung von LiDAR-Scans und Luftbildern. Sie hatten einen Bereich im Westen des Plateaus im Fokus, an dem bis dahin anscheinend noch keine Grabungen durchgeführt worden waren. „Sowohl der LiDAR-Scan als auch ein Luftbild der U.S. Air Force vom Januar 1945, welches das winterliche Plateau zeigt, verweisen in diesem Bereich auf einen rechteckigen, NW-SO ausgerichteten Platz, der von einer flachen Wall-Graben-Struktur umgeben ist.“ LiDAR ist die Abkürzung für Light detection and ranging), das dreidimensionale Laserscanning.

„hessenARCHÄOLOGIE 2019“ – Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen“, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, ISBN 978-3-8062-4224-9, 24,90 Euro

Spätantiker Bestattungsplatz in Rockenberg entdeckt

Aktuell berichtet der Pressedienst des Wetteraukreises: „Seit 2019 arbeiten Archäologen zwischen Rockenberg und Oppershofen. Dabei konnten Funde aus der Zeit der Vorgeschichte bis zum Frühmittelalter gesichert werden.

Nur wenige der aktuell zahlreichen Ausgrabungsstätten im Wetteraukreis liegen so prominent zwischen zwei Ortslagen und somit im Fokus der Öffentlichkeit, wie die Untersuchungen zwischen Rockenberg und Oppershofen. Leider war es wegen der Pandemielage bisher nicht möglich, die Bevölkerung bei einem Tag der offenen Tür direkt über die Ergebnisse der Grabungen zu informieren. Diese Veranstaltungen werden unter normalen Bedingungen in guter Tradition gemeinsam von hessenARCHÄOLOGIE, archäologischer Denkmalpflege des Wetteraukreises sowie der vor Ort tätigen Grabungsfirma veranstaltet. Dies soll, wenn möglich, in der zweiten Jahreshälfte zusammen mit dem Kultur- und Geschichtsverein Oppershofen durchgeführt werden.

Bereits in den ersten Grabungskampagnen 2019/20 zeigte sich die gesamte zeitliche Bandbreite der Fundstelle, die über mehrere Zeitstufen der Vorgeschichte bis in die Spätantike und an den Beginn des Frühmittelalters reicht. Neben den Siedlungsbefunden aus der Jungstein- und Bronzezeit standen vor allem zahlreiche Gräber im Mittelpunkt der Untersuchung. Außer einfachen Urnenbestattungen und Körpergräbern konnten auch Reste von aufwendigeren Grabhügeleinfassungen dokumentiert werden.

Leider waren die Erhaltungsbedingungen in großen Abschnitten des Untersuchungsgebietes vor allem im oberen und mittleren Hangbereich, bedingt durch die Bodenerosion relativ schlecht. Dennoch gelang es bisher 11 Gräber als die letzten Spuren eines sicher ehemals größeren vorgeschichtlichen Bestattungsplatzes zu erfassen. Im unteren Hangbereich führte die Ablagerung von Bodenmaterial umgekehrt zu sehr guten Erhaltungsbedingungen und dadurch zur Überlieferung einer ganz besonders hervorzuhebenden archäologischen Fundstelle – einem spätantiken/frühmittelalterlichen Bestattungsplatz. Durch die relativ einfache Ausgestaltung der meist nur relativ flach eingebrachten Brandgräber sind diese im Regelfall nur schwer zu entdecken. Auch die wenigen, spärlichen Grabbeigaben tragen kaum zum Auffinden dieser, für das Verständnis der nachrömischen Besiedlung in der Wetterau, wichtigen Denkmalgruppe bei.

Bisher konnten neben einzelnen Glasperlen, verschmolzenen Bronzeresten und etwas Keramik nur wenige Funde geborgen werden. Mittlerweile sind die Feldarbeiten östlich der Hauptstraße weitgehend abgeschlossen, sofern die Witterung mitspielt, sollen in absehbarer Zeit die Arbeiten westlich der L 3134 aufgenommen werden. Dort wird die zugehörige Siedlung vermutet. Die archäologischen Untersuchungen werden durch die ortsansässige Grabungsfirma SPAU in enger Abstimmung mit der Archäologischen Denkmalpflege des Wetteraukreises und der hessenARCHÄOLOGIE durchgeführt.

Titelbild: Ausgrabungen in Rockenberg. (Foto: Wetteraukreis)

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