„Man muss schon Mut mitbringen“
von Corinna Willführ
Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau geführt. Das hat eine repräsentative Umfrage unter 1100 Amtsinhaberinnen und Amtsinhabern in Kommunen mit mindestens 1000 Einwohnern ergeben. „Ein besorgniserregendes Ergebnis“, so die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin. Sie hatte in Kooperation mit „Kommunal“, dem „Magazin für Bürgermeister, Kommunalpolitiker und Verwaltung“ die Umfrage vor dem Hintergrund „30 Jahre deutsche Einheit“ bei dem Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben. Im Wetteraukreis sieht es deutlich besser aus.Von den 25 Kommunen – 14 Städte und elf Gemeinden – werden sechs von einer Frau geführt. Dabei ist Ulrike Pfeiffer-Pantring (bei der ersten Wahl unabhängige Kandidatin, heute SPD) in Ortenberg die dienstälteste Bürgermeisterin im Kreis. Die Mutter zweier Söhne feierte bereits ihr 20-jähriges Dienstjubiläum. Neu an einer Rathausspitze im Wetteraukreis ist Lena Herget-Umsonst. Die 32-Jährige setzte sich bei der Direktwahl am 31. Oktober 2020 in Reichelsheim durch. Amtsbeginn war für sie am 1. Januar 2021. Die SPD-Politikerin hat einen einjährigen Sohn.
Auch Kefenrod als kleinste Kommune des Kreises hat mit Kirsten Frömel, die als unabhängige Kandidatin in der Stichwahl im September 2019 in Kefenrod siegte, eine Frau an der Verwaltungsspitze. Ebenso Ranstadt mit Dr. Cäcilia Reichert-Dietzel. In Münzenberg hat seit 2017 Dr. Isabell Tammer (Freie Wähler) das Amt inne, in Ober-Mörlen seit 2018 Christina Paulenz (SPD). 60,9 Prozent der Wählerstimmen konnte die 72-Jährige damals auf sich vereinigen. Sie ist an Jahren die älteste Amtsinhaberin. Einzige Christdemokratin in der Leitung eines Rathauses war bislang Lucia Puttrich in Nidda.
Frauen für höhere Aufgaben qualifizieren
Den Grundstein für das aktuell gute Abschneiden der Wetterauer Kommunen im bundesdeutschen Vergleich sieht Ulrike Pfeiffer-Pantring in der Vergangenheit gelegt. Konkret in der Zeit der Rot-Grünen Koalition in den 1990er Jahren. Als Landrat Rolf Gnadl (SPD), Schuldezernent Joachim Pollmar (SPD) und Gila Gertz (Grüne) die Spitze der Kreisregierung bildeten. „Sie haben Programme auf den Weg gebracht, deren Ziel es war, Frauen für höhere Aufgaben zu qualifizieren. Aus- und Weiterbildung von Frauen, gerade auch in der Verwaltung, waren damals ausgesprochen erwünscht. Ich profitiere bis heute noch von den Begegnungen mit Fachleuten und Referenten aus ganz Deutschland zu den unterschiedlichsten Themen rund um das Gemeinwohl in Kommunen und darüber hinaus.“ Anfang der 1990er Jahre war der Wetteraukreis einer der ersten hessischen Kreise, der ein Frauenamt und eine Frauenbeauftragte institutionalisierte. Erste Frauenbeauftrage war Birgit Simon, die anschließend – von 2006 bis 2012 – Bürgermeisterin der Stadt Offenbach , und später Erste Beigeordnete im Regionalverband Rhein-Main war.
Dank an die Pionierinnen
Das ist eine Seite. Die andere: Die unermüdliche Pionierarbeit engagierter Frauen, die nach Ansicht der Ortenberger Rathauschefin schon vor Jahrzehnten erkannten, was für sie heute der entscheidende Grund ist, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren: „Das ist der beste Weg, das eigene Lebensumfeld mitzugestalten.“ Großen Respekt zollt die bei ihrer ersten Wahl noch parteiunabhängige Kandidatin ihren Amtskolleginnen von einst und heute. Etwa Erika Schäfer aus Ober-Mörlen, der ersten Rathauschefin im Kreis, oder Elfriede Pfannkuche, die 19 Jahre Amtsinhaberin in Hirzenhain war. Oder Susanne Schaab, seit 2003 und damit heuer in der dritten Amtszeit Bürgermeisterin von Schotten im benachbarten Vogelsbergkreis. Insbesondere auch jenen Frauen, die sich wie Renate Klingelhöfer und ihre Schwester Irmgard Reichert seit Jahrzehnten unermüdlich ehrenamtlich für die Belange der Menschen vor Ort einsetzen. Ebenso wie etwa Ute Arendt-Söhngen. Sie ist seit 30 Jahren Stadtverordnetenvorsteherin in Ortenberg.
Als diese erstmals diese Aufgabe übernahm, war Lena Herget-Umsonst noch ein Kind. In 2015 wurde sie, Jahrgang 1988, in Reichelsheim die jüngste Stadtverordnetenvorsteherin in Hessen. „Ich habe der Zeit entgegen gefiebert, als ich mit 22 Jahren endlich alt genug für das Parlament war“, erinnert sich die heute 32-Jährige. Was sie damals wie heute antreibt?
Gutes Netzwerk nötig
„Kommunalpolitik ist die direkteste Form vor Ort etwas zu bewirken, die eigene Heimat voranzubringen. Die Auswirkungen auf die Menschen sind unmittelbar zu erleben“, sagt sie. In ihrem Wahlkampf sei sie oft gefragt worden: „Wie machst Du das?“ Also: Wie können Familienleben und Arbeit in einem Beruf, der eigentlich keinen Feierabend kennt, vereinbart werden? „Dazu braucht es ein gutes Netzwerk“, sagt Herget-Umsonst. Im Privaten wie im Politischen. Den Rückhalt in ihrer Familie und bei Freunden hat sie ebenso wie bei ihren Amtskolleginnen und Amtskollegen im Kreistag und ihrer Partei. „Da geht es nicht mehr ums Geschlecht, sondern um die Kompetenz.“ Unbenommen indes: „Man muss schon Mut für eine solche Aufgabe mitbringen, darf sein Licht nicht unter den Scheffel stellen und sich nicht einschüchtern lassen.“ Sahen sich die Pionierinnen der Kommunalpolitik manch „dummen Sprüchen“ von männlichen Kollegen ausgesetzt, müssen ihre Nachfolgerinnen mit Anfeindungen über die Sozialen Medien umgehen können. Kommentare nach ihrer Wahl wie „Kümmere Dich doch lieber um Dein Kind“ in den sozialen Netzwerken haben Lena Herget-Umsonst verletzt. Zumal die Kommentatoren sich mitunter nicht zu erkennen geben.
Die dienstälteste Bürgermeisterin und die Jüngste im Amt im Wetteraukreises: Beide betonen, dass es die Familie, die Freunde, ein persönliches Netzwerk sind, die ihnen stets Mut gemacht haben und von denen sie Unterstützung bekommen haben. „Wer kompetent mitdiskutieren will, muss sich auf jeden Fall gut vorbereiten“, sagt Pfeiffer-Pantring. Dabei „zu emotional zu sein, wie ich es manchmal bin“, sei nicht hilfreich, räumt die Ortenberger Bürgermeisterin ein. „Man muss eine Balance finden zwischen den Anforderungen des Amtes und dem Familienleben.“
So stehen die Bürgermeisterinnen insbesondere dafür, in ihren Kommunen wohnartnahe Arbeitsplätze zu schaffen, für eine ausreichende Anzahl an Kitas zu sorgen. Das haben sie mit ihren Kolleginnen auf Landes- und Bundesebene gemeinsam. Von der SPD wurde die amtierende Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch (Butzbach) als Spitzenkandidatin für die Kreistagswahl am 14. März gewählt. Auf Platz steht Lisa Gnadl. Und auch die fünfte Position der Liste der Liste der Sozialdemokraten geht an eine Frau: Christine Jäger aus Niddatal. Beim Koalitionspartner CDU in der amtierenden Kreistagsregierung nimmt Barbara Heinz (Altenstadt) nach Landrat Jan Weckler (Ober-Mörlen) den zweiten Platz ein. An fünfter Stelle geht Rebecca Menzel (Reichelsheim) ins Rennen um die Wählerstimmen. Mit Myriam Gellner haben auch die Grünen eine Spitzenkandidatin für die Kreistagswahl nominiert. Als sicher gilt, dass die SPD im Wahlkreis 175 (Main-Kinzig-Kreis, Wetteraukreis und Schotten; 24 Kommunen) wieder Bettina Müller, seit 2013 im Bundestag, erneut als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im September 2021 nominiert. Bettina Müller ist gelernte Krankenschwester, studierte Juristin und Mutter zweier Kinder.
Ein passender Artikel zum Weltfrauentag, Danke!