Putzen & Co wird in der Pflege teurer
Von Klaus Nissen
Dienstleister heben die Preise an – in Hessen sogar um 35 Prozent. Das sorgt für Irritation. Doch die Geschäftsführerin eines evangelischen Pflegedienstes sagt: Die Erhöhung der Preise war dringend notwendig.
Weniger Haushaltshilfe für die Pauschale
Zum Dritten Advent 2019 landete ein Brief der Diakoniestation Büdingen Altenstadt in den Postkästen ihrer rund 350 hilfsbedürftigen Kunden. Darin steckte kein Weihnachtsgruß, sondern eine saftige Preiserhöhung. Mit freundlichen Grüßen erklärte die Geschäftsführerin Ursula Schmidt: Man werde zum 1. Januar die Preise für körperbezogene Pflegemaßnahmen um 5,5 Prozent erhöhen. Pflegerische Betreuungsmaßnahmen würden um 8,8 Prozent teurer, die „Hausbesuchspauschale“ steige um 3,57 Prozent. Und: „Der Preis für Hilfen bei der Haushaltsführung steigt um 35 Prozent.“ Seitdem bekommt die stark beschäftigte Zentrale des evangelischen Pflegedienstes in Lindheim noch mehr Anrufe. Verblüffte Kunden wollen von Ursula Schmidt wissen, ob die Haushaltshilfe tatsächlich um mehr als ein Drittel teurer wird. „Das schockiert schon“, räumt die Geschäftsführerin ein. Aber: „Diese Erhöhung war dringend notwendig.“ Nicht alle Kunden sehen das ein. Manche haben laut Schmidt nun auf die Dienste der Diakoniestation verzichtet.
Familie Hofmann (Name geändert) würde das auch gern tun. Sie hat in der östlichen Wetterau eine Angehörige mit Behinderungen, bei der eine von der Diakoniestation eingesetzte Putzhilfe einmal in der Woche die Wohnräume säubert. Die Pflegekasse stellt dafür pauschal 125 Euro im Monat zur Verfügung. Die Preiserhöhung führt laut Annika Hofmann wahrscheinlich dazu, dass die Haushaltshilfe nur noch alle zwei Wochen saubermachen kann. Es sei denn, die Familie gibt zusätzliches Geld dafür aus. Die Hofmanns ärgern sich. Die Preiserhöhung sei viel zu kurzfristig verkündet worden. „Wir haben versucht, einen anderen Dienstleister zu finden. Aber bei denen gibt es riesige Wartelisten.“
Der Personalmangel fordert Tribut
Warum kommt es zu dieser Teuerung? Man habe mit den Pflegekassen neue Vergütungssätze ausgehandelt, berichtet Ursula Schmidt. Das erledigte die in Darmstadt sitzende Gesellschaft für Diakonie- und Sozialstationen (GfDS) im Auftrag diverser evangelischer Pflegestationen. Erreichbar war diese kirchliche Firmen-Tochter am Montag vor Silvester nicht. Selbst der Anrufbeantworter befand sich im Urlaub. Doch die Lindheimer Geschäftsführerin Ursula Schmidt kann die Gründe nennen: Die Haushaltshilfen seien bislang schlechter bezahlt worden als die pflegenden Diakonie-Angestellten. Das führe auch zu Personalmangel. Das Stundenhonorar habe man nun um fünf auf 25 Euro angehoben. Damit sei man in der Wetterau noch gut bedient. In Rheinland-Pfalz schlage die Haushaltshilfe mit 35 Euro pro Stunde zu Buche.
In der Tat: Die hessischen Pflege-Dienstleister verlangen für Hausarbeit im Schnitt um die 25 Euro von den Pflegekassen. Das kann man bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse nachlesen. Die AOK betreibt unter www.pflege-navigator.de eine Suchmaschine. Wer dort seine Postleitzahl angibt, findet die umliegenden Pflege- und Haushaltshilfe-Dienstleister mitsamt Adressen und Preisen. Das Putzen und Einkaufen durch Fachpersonal kostet demnach in der Region zwischen Nidda, Schotten, Büdingen und Gelnhausen zwischen 17,93 und 30.85 Euro pro Stunde.
Gut und schön. Annika Hofmann sagt: „Ich bin voll dafür, dass die Haushaltshilfen mehr Geld bekommen.“ Trotzdem sei nicht sicher, ob das zusätzliche Honorar wirklich den Einsatzkräften zukomme. Ihre von der Sozialstation eingesetzte Haushaltshilfe habe nichts von der Preiserhöhung gewusst. Viel problematischer noch findet Annika Hofmann, dass gerade die stark behinderten Menschen, die womöglich allein zu Hause leben, mit der Preiserhöhung massive Probleme bekommen. Vielen sei wohl noch gar nicht bewusst, dass ihre Pflege- und Haushaltskräfte ab Januar seltener oder kürzer kommen. Denn die 125-Euro-Pauschale werde ja nun schneller verbraucht. Laut Ursula Schmidt von der Sozialstation wird mit den Kunden über die kommenden Änderungen bei der Pflege und Haushaltsführung erst dann geredet, wenn sie sich bei der Geschäftsstelle in Lindheim melden. Es habe an der Zeit gefehlt, alles genau vorzubereiten. Weil Personal fehlte, musste am Montag die Geschäftsführerin selbst aufs Land fahren, um sich um pflegebedürftige Menschen zu kümmern.
Pflegekasse zahlt Haushaltshilfe
Die Diakoniestation Büdingen Altenstadt kümmert sich um hunderte daheim lebende Menschen, die Anrecht auf Leistungen aus der Pflegekasse haben. In Büdingen sind knapp 40 pflegende Angestellte mit 14 Autos täglich unterwegs. Hinzu kommen neun Kräfte in der Hauswirtschaft. Von Ranstadt aus setzt der evangelische Sozialdienst ein Dutzend Mitarbeiterinnen ein, von Altenstadt aus 29 plus vier Haushaltshilfen. Auch die katholische Kirche und zahlreiche gewerbliche Dienstleister kümmern sich um Menschen mit Pflegebedarf. In ganz Hessen gibt es rund 600 ambulante Dienste, schätzt man beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA). Ihre Bezahlung handeln die Dienste mit den Kranken- und Pflegekassen, mit den Städten und Landkreisen aus. Die von den Pflegekassen bezahlten Haushaltshilfen bekommen nun tendenziell mehr Geld als früher, sagt Stephan Gill aus der Pressestelle der hessischen AOK in Bad Homburg. Beim BPA ist zu erfahren, dass hauswirtschaftliche Leistungen in diesem Jahr um etwa 1,20 Euro pro Stunde teurer würden.
Haushaltshilfen werden aus der Pflegekasse erst seit 2017 bezahlt. Gemäß dem Pflegestärkungsgesetz stehen jedem, der mindestens im Pflegegrad 1 eingestuft ist, auf Antrag monatlich 125 Euro für Hilfe zum Einkaufen, Putzen oder anderen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten zu. Der Antrag kann bei der Pflegekasse sogar rückwirkend gestellt werden. Das Geld wird wahlweise zuerst vom Pflegebedürftigen gezahlt und dann erstattet. Oder der Dienstleister rechnet direkt mit der Pflegekasse ab. Die Haushaltshilfe darf man nicht selber engagieren.