De Vries und Weber verurteilen Tat
Zwei Polizeiwagen stehen an der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim. „Wir haben 24-Stunden-Schutz“, sagt Vorsitzender Manfred de Vries. Hintergrund ist der Anschlag in Halle, wo am Mittwoch, 9. Oktober 2019, ein rechtsradikaler Täter mit Waffengewalt in die dortige Synagoge eindringen wollte. Als dies nicht gelang, erschoss er zwei Menschen außerhalb des Gotteshauses. Auch die Jüdische Gemeinde Bad Nauheim beging gestern Jom Kippur in der Synagoge. Der Neue Landbote hat mit Vorsitzendem Manfred de Vries und Britta Weber gesprochen. Weber ist Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Wetterau (GcjZ).
Nach Anschlag 24-Stunden-Schutz
Am gestrigen Tat-Tag standen plötzlich drei Polizeiautos um die Bad Nauheimer Synagoge verteilt. Üblicherweise steht in der Gesundheitsstadt während jedes Gottesdienstes ein Polizeiwagen vor dem Bauwerk. „Dies gewährt uns die Stadt, die den Polizeischutz ordert. Und das schon immer“, sagt Manfred de Vries. Dass es auf einmal drei Autos waren, sah er, als sich die Feierlichkeiten zu Jom Kippur dem Ende zuneigten. „Wir hatten aber vorher schon Informationen, dass in Halle etwas geschehen war“, schildert er dieser Zeitung.
„Erleben viel Antisemitismus“
Nach Worten von de Vries erfahren die Juden in Deutschland momentan von vielen Seiten Antisemitismus, die auch von alten Nazi-Klischees herrührten. Es sei hoffähig geworden, gegen Juden und, stellvertretend, gegen Israel zu hetzen: „In den Medien, schriftlich, im Fernsehen in Talk Shows oder mündlich.“ Er erlebe momentan Antisemitismus von rechts, aber auch von links. Von linker Seite funktioniere dies, indem es heiße: Man dürfe Israel für seine Palästina-Politik kritisieren, getreu dem Motto „Das darf man doch mal sagen“. Er sage „Nein“ dazu. Anti-Israelismus sei stellvertretender Anti-Judaismus. Israel werde von allen möglichen Seiten im eigenen Land kritisiert, es sei ein demokratischer Staat. „Das reicht. Es ist eine interne Angelegenheit Israels“, betont de Vries.
Anschlag an höchstem Feiertag
„Jom Kippur ist unser höchster Feiertag. Bevorzugt lassen unsere Gegner den Worten an diesem Tag Taten folgen.“ De Vries weist auf den Jom-Kippur-Krieg in 1973 hin, der mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens auf Israel an diesem Feiertag begann. „Es ist der Tag, an dem wir fasten, es ist unser Buß- und Bettag. Das heißt, unser System ist sehr geschwächt. Wir sind an diesem Tag besonders leicht verletzlich, denn jüdische Menschen beten den ganzen Tag, sie essen und trinken nicht.“ Dies nutzten die Widersacher aus.
Weiterhin offenes Haus
De Vries hatte zunächst nur von dem Anschlag auf die Synagoge gehört und war froh, zu hören, dass dort niemand zu Schaden kam. „Dann hörte ich, dass auf der Straße und im Döner-Imbiss Menschen umgebracht worden sind. Um diese Menschen trauere ich. Damit wurde nicht nur das Judentum getroffen, sondern auch der Islam und auch unsere Gesellschaft generell.“ De Vries weiter: „Es ist klar, dass wir ein Problem haben und man muss es angehen. Man darf aber nicht in Aktionismus verfallen.“ Die jüdische Gemeinde wolle weiter im Zentrum der Gesellschaft stehen, „wir wollen weiterhin ein offenes Haus führen“.
„Verurteilen Anschlag“
GcjZ-Vorsitzende Britta Weber betont: „Wir verurteilen den feigen und Menschen verachtenden Anschlag in Halle auf die Synagoge auf das Schärfste. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten den Todesopfern, den Verletzten und deren Angehörigen.“ Ausgerechnet an Jom Kippur, dem Versöhnungstag, habe der Täter versucht, sich Zutritt zu der Synagoge in Halle zu verschaffen, in der zu der Zeit etwa 50 Gemeindemitglieder zum Gottesdienst versammelt waren. Weber hält es für völlig unverständlich, dass die Synagoge nicht durch die Sicherheitsbehörden personell geschützt worden sei. „Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätten die passiven Sicherheitsvorkehrungen der Gemeinde nicht ausgereicht.“ Deshalb sei die GcjZ dankbar für den Schutz durch die Polizei in Bad Nauheim bei jedem Gottesdienst und jeder Veranstaltung.
Synagoge ohne Angst besuchen
„Aber wir finden uns damit nicht ab, dass dieser Schutz notwendig ist. Dass dort Polizistinnen und Polizisten stehen müssen, darf nämlich nicht der Normalfall sein. Normal wäre, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens ohne diesen Schutz und ohne Angst die Synagoge besuchen können“, unterstreicht Weber. Wie sie weiter ausführt, müsse die deutliche Zunahme antisemitischer Gewalt mit sehr großer Sorge zur Kenntnis genommen werden. Es müsse ein Ende haben, dass bei rechtsextremen Gewalttaten die Polizei offenbar reflexartig immer von Einzeltätern spreche. „Es gilt, die sich hinter jeder einzelnen Tat verbergenden Strukturen offenzulegen.“ Weber appelliert, den wieder um sich greifenden Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen.
Antisemitismus nicht bagatellisieren
„Antisemitismus darf nicht mehr bagatellisiert werden und nicht mehr als ausschließlich historisch angesehen werden. Er ist topaktuell. Wir als GcjZ Wetterau werden unsere Arbeit gegen den Antisemitismus fortsetzen. Wir hoffen auf eine breite Unterstützung durch die Zivilgesellschaft.“