Auf den Spuren Conrads und Stanleys
Über eine nicht alltägliche Reise berichtete der Sozialwissenschaftler Dr. Nando Belardi (Bergisch Gladbach) in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar. Er fuhr mit Begleitern auf dem wilden Wasser des Kongo über 1000 Kilometer auf einem Schiff durch den gleichnamigen zweitgrößten Staat Afrikas – auf den Spuren des Schriftstellers Joseph Conrad (1857 – 1924) und des Afrikaforschers Henry Morton Stanley (1841 – 1904).
Heute noch ein Abenteuer
Eine solche Schiffsexkursion ist auch heute noch ein Abenteuer. Belardi, der gebürtiger Wetzlarer ist und in Gießen an der Justus-Liebig-Universität seine Promotion zum Dr. phil. im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften abgelegt hat, kann sich nach seiner Afrika-Reise jetzt um so besser vorstellen, unter welch widrigen Umständen bei Begleitung unzähliger gefährlicher Insekten sich der britische Autor Joseph Conrad sich auf dem Kongo fort bewegt hat: Als Kapitän eines Flussdampfers erkrankte der gebürtige Pole Conrad schwer, überlebte aber, so dass er sein berühmtes Buch „Herz der Finsternis“ (1899 erschienen) schreiben konnte, in dem er Kritik am Kolonialismus übt. Nando Belardi dachte während seiner Kongo-Fahrt oft auch an Henry Morton Stanley, den gebürtigen Waliser, der zeitweise in Amerika gelebt hat. Stanley, der wegen seiner erfolgreiche Suche nach David Livingstone in der Nähe des afrikanischen Tanganjikasee berühmt geworden ist, hat ebenfalls die Tücken einer Kongo-Schiffsfahrt erlebt. Der Journalist spielte übrigens d eine umstrittene Rolle: Er erschloss für den belgischen König Leopold den Kongo und ging nicht selten aggressiv gegen die Afrikaner vor, die im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Ausbeutung und Kriege erleben mussten.
Stolz, Mut und Lebenfreude
“Ich habe die Menschen in diesem durch Ausbeutung und Kriege geprägten Land schätzen und lieben gelernt, zumal sie Stolz, Mut und auch ihre Lebensfreude nicht verloren haben“, unterstrich Belardi in seinem fesselnden, mit zahlreichen Fotos und einem Film untermalten Vortrag vor rund 60 Zuhörern. Der Referent
informierte zunächst über wichtige Stationen der Geschichte Kongos, in dem Edelmetalle sowie Diamanten und Coltan so manche grausamen Plünderergruppen angelockt haben. Dies war während der belgischen Kolonialzeit nicht anders und steigerte sich zu besonderer Gewalt in den Jahren 1885 bis 1908, als König Leopold II. den „Kongo-Freistaat“ zu seinem Privateigentum erklärte. Etwa zehn Millionen Kongolesen verloren damals durch Gewalt ihr Leben. Auch die Jahrzehnte danach waren von blutigen Unruhen geprägt: Stichworte dafür sind beispielsweise die Ermordung des Ministerpräsidenten Lumumba (1961), die Gewaltherrschaft Mobutus (1965 bis 1997) und 1994 die Auswirkung des Genozids der Hutu an den Tutsi in Ruanda. Aus Angst vor Rache flohen zeitweise bis zu zwei Millionen Hutu aus Ruanda in den Ostkongo und destabilisierten die Region. Danach folgten weitere Kriege, Morde, Konflikte, die auch nicht völlig beendet sind, seitdem der Kabila-Clan an der Macht ist. Nando Belardi wusste, welches Leid schon den Vorfahren der heutigen Kongolesen widerfahren war, als er 2013 auf einem Schiff seine Reise antrat, die von der Äquatorstadt Mbandaka nach Kisangani führte, in dem 1964 rund 2000 Europäer von Rebellen 111 Tage als Geiseln gehalten wurden.
Vulkan bestiegen
“Während der Fahrt auf dem etwa 4400 Kilometer langen Strom wurde vorwiegend in den Dörfern in Zelten übernachtet”, so der Wissenschaftler, der fortfuhr: „Oft paddelten die Kongolesen geschickt in ihren Kanus zu unserem Schiff zu und boten zur Essenzubereitung Affen, Fische, kleine Krokodile oder auch Fledermäuse an, die Ebola-Überträger sind. Wir fuhren stromaufwärts und nahmen alle Kanus soweit mit wie sie wollten”. Besonders beeindruckend, so erfuhren die Zuhörer, sind die Wagenia-Männer: Einige Kilometer flussaufwärts von Kisangani haben sie in den Stromschnellen Holzgerüste errichtet. Von hier aus fischen sie mit hölzernen Reusen. Übrigens mussten die Schiffsreisenden keine Paviane verzehren: Die Köchinnen sorgten unter anderem für Reis und Nudelgerichte. Unterwegs wurden Fische und Hühner dazugekauft. Im Kongo schätzt man auch schon mal geröstete Raupen. („Der Geschmack erinnert an Erdnüsse“). Schiffsbesatzung und Dorfbewohner profitierten von den Reisenden auf dem Fluss und wünschen sich, dass es mehr als zwei Touren im Jahr gibt. Gegen Ende seiner Exkursion, bei der er von Krankheiten verschont blieb (Krankenstationen und Handykontakt waren viele Tagesreisen entfernt), lernte Belardi Menschen und die Landschaft im ostkongolesischen Rohstoff- und Rebellengebiet kennen. Eine Höhepunkt war die Besteigung des gefährlichen Vulkans Nyiragongo. Dieser befindet sich wenige Kilometer nördlich der Stadt Goma nicht weit zur Grenze nach Ruanda. Der rund 300 Meter hohe Nyiragongo, der von weiteren Vulkanen flankiert ist, befindet sich im ostafrikanischen Grabenbruch. Die letzten Ausbrüche waren 2002 und 2012. Es handelt sich um einen der wenigen Vulkane, die immer einen offenen Lavasee haben. “Als Schutz vor Rebellengruppen wurden wir von 15 Soldaten begleitet”. Zum Abschluss seines Vortrags, für den unter langem Applaus Sopio Hagel (Volkshochschule Wetzlar) dankte, zeigte Belardi Aufnahmen von diesem Vulkan, dessen Lavasee man nicht allzu zu nahe kommen sollte: Es gab schon tödliche Unfälle und Attacken der Rebellen.