Im Westen viel Neues!
Von Ursula Wöll
Die Kreativgruppe der Arbeitsloseninitiative Lahn-Dill (Wali) stellt ihre Arbeiten im Wetzlarer Nachbarschaftszentrum Westend aus. Landbote-Autorin Ursula Wöll hat sich die Ausstellung angeschaut und ist neidisch geworden. Das Foto zeigt das Gemälde „Die Rose“ von Marc Baumgarten.
Solidarische Gruppenatmosphäre
Ja, ich bin ein wenig neidisch auf die KünstlerInnen in der Kreativgruppe der Arbeitsloseninitiative Lahn-Dill (Wali), sogar doppelt neidisch. Am 6. Oktober war ich bei der Eröffnung ihrer wunderbaren Ausstellung mit 40 Gemälden im Wetzlarer Nachbarschaftszentrum Westend. Erst im Wali-Kunstprojekt haben sie den Umgang mit Pinsel, Spachtel und Farbe geübt, doch so großartige Bilder würde ich selbst wohl nie hinkriegen. Vor allem aber spürte ich, dass die solidarische Gruppenatmosphäre den erwerbslosen KünstlerInnen Energie und Schwung verleiht und sie zu großartigen Werken anspornt. So etwas zu finden ist heutzutage Glückssache. „Begegnung“ heißt denn auch ein großes Gemeinschaftsbild, und „Begegnung“ wurde zum Titel der gesamten Ausstellung.
Menschen sind bunt und verschieden
Brigitte, Hagen, Diana, René, Marc, Frank, Marc, Angela, Hüseyin und Desirée haben an dem Acrylbild auf 180 x 130 cm Spanplatte gearbeitet, Hilfestellung gaben die Projektleiterinnen Martina Bodenmüller und Nihal Yilmaz. „Wir wollen mit dem Bild zeigen, wie bunt und verschieden Menschen sind, und dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist – auch wenn sie verschiedene Herkunft, Kultur und Lebensweisen haben – wenn sie offen für Begegnung miteinander sind“, so werden die KünstlerInnen im Ausstellungskatalog zitiert.
Das Bild wird dauerhaft im Treppenhaus des Nachbarschaftszentrums Westend hängen. Dort passt es gut hin, denn dieses Zentrum ist selbst eine beliebte Stätte der Begegnung für die über 2000 Bewohner des Stadtteils Westend Sie treffen sich nicht nur im Café, in dem ich selbstgebackenen Nusskuchen für 50 Cent aß. Sie besuchen auch gern die vielen Angebote des Zentrums zu alltagspraktischen oder literarischen Themen.
Das Wali-Kunstprojekt bannt Vereinzelung

Wer seinen Arbeitsplatz verliert, verliert damit auch soziale Kontakte. Die ArbeitskollegInnen sind weg, und das Geld reicht nicht immer zu großen Unternehmungen. Die Folge der schleichenden Isolation ist ein langsamer Einbruch des Selbstbewusstseins. Der 30jährige Marc Baumgarten bestätigt,
dass das Wali-Kunstprojekt diese Gefahr auf doppelte Weise bannt. Er hatte sich anfangs gar nicht vorstellen können, einmal so schöpferisch mit dem Pinsel zu arbeiten. Zu Recht kam er mir nun stolz auf seine neu entdeckten Fähigkeiten vor. Am Beispiel seines Gemäldes ‚Die Rose‘ erläutert er das solidarische Klima in der Gruppe. „Ich konnte einfach nicht realisieren, was mir vorschwebte. Der Austausch mit den anderen und vor allem die Hinweise von Martina liesen mich nicht aufgeben. Nun ist das malerische Ergebnis anders als das was mir vorschwebte. Eine Arbeit entwickelt sich eben im Lauf ihres Fortgangs, das ist doch schön.“
Da eine Menge Leute zur Eröffnung da sind, hat sich Marc in den Hof des Nachbarschaftszentrums verzogen, wo große Steinquader um ein Blumenbeet zum Sitzen einladen. Der gegenüberliegende Hauseingang ist mit drei Säulen flankiert. Sie sind mit farblich wunderbaren Mosaiken verkleidet, Wali-Spuren von früher. Die Arbeitsloseninitiative ist nämlich keine Eintagsfliege, sie existiert seit nun 27 Jahren! Und sie bietet außer dem Kunstprojekt noch vieles andere, etwa Beratung vor Bewerbungen oder zu Gesundheitsfragen. Wali hat zwar gewerkschaftliche und kirchliche Wurzeln, aber das Gedeihen wäre ohne das große Engagement der Erwerbslosen unmöglich gewesen. Gerne zitieren sie dazu das bekannte Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet: „Leben wie ein Baum / einzeln und frei / und / brüderlich wie ein Wald / das ist unsere Sehnsucht“.
Die Ausstellung „Begegnung“ ist bis zum 22. Dezember zu sehen im Nachbarschaftszentrum Westend in Wetzlar, Horst-Scheibert-Str. 2, Tel. 06441-210943