Die Rettung der Hexe
von Jörg-Peter Schmidt
Johannes Kepler (1751 – 1630) ist als vor allem als wegweisender Astronom zur Berühmtheit gelangt. Er hatte erkannt, dass die Planeten um die Sonne in Bewegung sind. Weniger bekannt ist, dass er aufgrund einer überragenden juristischen Verteidigungsstrategie 1621 seine Mutter Katharina vor der Hinrichtung als „Hexe“ bewahrte. Die Historikerin Ulinka Rublack hat darüber ein sehr gründlich recherchiertes Buch geschrieben.Chancen für Freispruch gering
Die spannende Dokumentation ist unter dem Titel „Der Astronom und die Hexe“ bei Klett-Cotta erschienen. Die 1967 in Tübingen geborene Autorin, die seit 1996 Europäische Geschichte der Neuzeit am St. John’s College in Cambridge lehrt, erläutert auf 409 Seiten die Ursachen und Folgen von ungerechten Prozessen gegen „Hexen“ oder „Hexer“, die oft in Hinrichtungen endeten. Näher geht sie auf das Schicksal der in Leonberg (Baden-Württemberg) wohnenden Mutter Keplers ein, die 1615 von der Mitbürgerin Ursula Reinhold angezeigt wurde. Der Vorwurf: Katharina habe ihr etwas zu trinken gegen. an dem sie erkrankt sei. Schnell fanden sich weitere Frauen und Männer, die in die gleiche Kerbe schlugen: Katharina habe direkt oder indirekt dafür gesorgt, dass es Menschen oder Tieren schlecht gehe.
Die Angeklagte, die weitgehend allein eine Tochter und drei Söhne aufzog, war eine couragierte Frau, die von ihrem Mann Heinrich verlassen wurde und die dennoch nie aufgab. Die Chancen, dass sie einen Prozess als angeblich Hexe erfolgreich überstehen würde, waren gering. Den der Leonberger Vogt Lutherus Einhorn hatte dafür gesorgt, dass bereits mehrere „verdächtige“ Frauen getötet wurden.Die Gerichtsverhandlung fand in den Jahren 1620 und 1621 in Leonberg und Güglingen (nicht weit vom Stuttgart entfernt) statt. Johannes Kepler und seine Geschwister versuchten verzweifelt, ihre Mutter zu retten.
Zeugenaussagen durchpflügt
Ulinka Rublack schildert, wie Johannes Kepler eine überragende Verteidigungsschrift erarbeitete, mit der nachwies, dass zahlreiche Zeugenaussagen gegen seine Mutter auf wackeligen Füßen standen. Kepler durchpflügte beispielsweise eine Aussage, wonach eine Zeugin vor 25 Jahren beobachtet habe, wie Katharina ein Schwein berührt habe. Er rechnete vor, dass diese Frau zum Zeitpunkt ihrer Beobachtung gerade Mal sieben Jahre alt gewesen sein muss und kaum als verlässliche Zeugin gelten könne. Einen anderen Prozessbeteiligten, der gegen Katharina aussagte, machte Kepler unglaubwürdig: Erst habe der Zeuge behauptet, die angebliche Hexe habe das linke Bein eines Schweins berührt. Später habe er aber ausgesagt, es sei das rechte Bein gewesen.Die Stimmung kippte offensichtlich während des Prozesses.
Noch war Katharina nicht gerettet. Aber diese mutige, unerschütterliche 73-jährige Frau blieb sogar standhaft, als ihr die Folterwerkzeuge gezeigt wurde. Man erzwang ihr kein Geständnis und tatsächlich wurde die Mutter des Astronomen, die über ein Jahr in Ketten gelegt hatte, freigesprochen. Solche Freisprüche waren zu dieser Zeit nicht häufig.
Ulinka Rublack hat ein fesselndes Buch geschrieben, das man auf jeden Fall empfehlen kann.
Ulinka Rublack: „Der Astronom und die Hexe. Johannes Kepler und seine Zeit“, Verlag Klett-Cotta, 410 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 2 s/w Karten und 41 Abbildungen, ISBN: 978-3-608-98126-1, 26 Euro.