Wörterbuch der Mundart
Am Institut für Germanistik im Gießener Zeughaus in der Seckenbergstraße sind die Räume für eine nicht alltägliche sprachwissenschaftliche Arbeit eingerichtet. Hier stellt ein kleines Team mit großem Engagement die Begriffesammlung für das Sudetendeutsche Wörterbuch (SdWb) zusammen, dessen fünfter Band mit zahlreichen Wort- und Satzerläuterungen in Kürze erscheint.
Germknödl sand guat
Was steht in diesen Büchern? Beispielsweise liest man Band IV, wenn man unter dem Buchstaben G blättert, was Sudetendeutsche über ein besonders leckere Mehlspeise sagen: „Germknödl sand ullwal eps Guats“ (Quelle: Ein Beleg aus Gutwasser im Böhmerwald). Die mit der Dokumentation beauftragten Isabelle Hardt, Bettina Hofmann-Käs und Bernd Kesselgruber haben bei ihrer Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. Otfrid Ehrismann täglich mit einer Sprache zu tun, die sie lieb gewonnen haben, auch wenn sie nicht aus Böhmen, Mähren oder Sudeten-Schlesien stammen.
Drei Millionen Belegzettel
In den Räumen in der Senckenbergstraße lagern in den nach Buchstaben geordneten Archivkästen knapp drei Millionen (!) alphabetisch geordnete Belegzettel mit Wort- und Satzbeispielen, etwa 16 500 Verbreitungs- und Laut-Karteikarten und rund 180 000 Synonymhinweise. Wie Bettina Hofmann-Käs berichtete, ist dieser Sprachschatz durch die mündlichen und schriftlichen Auskünfte von zahlreichen Sudetendeutschen und auf der Basis von Heimatchroniken, -büchern und –zeitschriften sowie durch weitere Veröffentlichungen entstanden.
Während des Rundgangs erfuhr man von Isabelle Hardt, dass ihre Kolleginnen und Kollegen und sie im Zeughaus bisweilen von Vertriebenen Besuch erhalten, die ihnen Archivmaterial vorbeibringen und sich darüber freuen, dass ihre Mundart dokumentiert wird. Bei solchen Besuchen in ihrem Büro erfahren Prof. Ehrismann und sein Team von den früher beispielsweise in Böhmen lebenden Menschen etwa, was in ihrer ehemaligen Wohngegend ihr Lieblingsessen war (dazu zählen unter anderem verschiedene Knödel-, Braten- und Mehlspeisen) und welche Arbeitskleidung und Trachten man trug. Dabei unterstreichen aber auch die meisten der Gesprächspartner, dass sie sich in ihrer neuen Heimat wie beispielsweise Hessen wohl fühlen. Die Eltern von Bernd Kesselgruber stammen aus dem Sudetenland. Die Mutter Hildegard aus Asch und der Vater Josef aus Herautz im Friesetal gelegen. Er erinnert sich noch genau, wie sein oft aufgrund der Kriegs- und Vertreibungserlebnisse schweigsamer Vater plötzlich doch das Formular mit Wörtern und Begriffen für das SdWb ausgefüllt hat und damit sein Interesse an der Arbeit seines Sohnes gezeigt hat.
Sudetendeutsch wurde zunächst in Prag erforscht
Kesselgruber arbeitet bereits seit 1986 am Wörterbuch, das von der Forschungsstelle Collegium Carolinum in München herausgegeben und vom Freistaat Bayern finanziert wird. Prof. Ehrismann legt Wert auf die Feststellung, dass „mein Team das Sudetendeutsche Wörterbuch nicht begründet hat“. Das Erfassen der Begriffe begann bereits vor Ende des Zweiten Weltkrieg an der Universität in Prag, bevor es ab 1945 an der Gießener Universität unter der Leitung von Franz Beranek fortgesetzt wurde.
Er starb 1967 und es ist seiner Frau Herta zu verdanken, dass die
Arbeit am SdWb nicht beendet wurde. Bis 1977 setzte sie das Werk ihres Mannes fort; ihr folgten Horst Kühnel und Norbert Englisch. Unbedingt erwähnenswert ist die wissenschaftliche Begleitung an der Justus-Liebig-Universität Gießen von Ernst Schwarz (bis Ende der siebziger Jahre) und Heinz Engels. Prof. Ehrismann kam in den neunziger Jahren hinzu. Der erste Band des SdWb erschien 1988. Seitdem bestellen die Wörtersammlungen beispielsweise Leser, die sich für Geschichte interessieren, aber auch Sprachforscher. Noch nicht absehbar ist, wann der letzte Band erscheint. „Aber“, so Ehrismann abschließend, „niemand beschwert sich, dass wir noch nicht beim Buchstaben Z angelangt sind: Drei Millionen Zettel mit Sprachbegriffen werden nicht an einem Tag ausgewertet“. Fest steht: Das Engagement von Isabelle Hardt, Bettina Hofmann-Käs, Bernd Kesselgruber und Otfried Ehrismann findet überregional Anerkennung. Ihr Resümee: „Ob es die hessischen, sächsischen, ost- und nordfriesischen oder sudetendeutschen Mundarten sind: Sie müssen auch für spätere Generationen erhalten bleiben.“
Weitere Informationen erhält man per E-Mail an Bernd.Kesselgruber@germanistik.uni-giessen.de oder auch unter den Telefonnummern 0641-99200, – 201 oder -202