Siegfried Lenz

Brot und Spiele

Von Michael Schlag

„Brot und Spiele“ von Siegfried Lenz handelt von dreißig Minuten auf der Aschenbahn in einem Stadion, mit allen Erinnerungen und Rückblicken in die Jahre, die hierhin führten. Es ist ein Buch über das Laufen und über das Leben – eigentlich ist das doch das Gleiche.

Alles über das Laufen und das Leben

Eigentlich dauert die Erzählung nur eine halbe Stunde, so lange brauchen die besten Läufer für 10.000 Meter im Stadion. Und doch passt ein ganzes Leben in die fünfundzwanzig Runden, immer vierhundert Meter auf der Aschenbahn. Und derweil lernt man auf 170 Seiten alles, was man über das Laufen und das Leben wissen muss. Siegfried Lenz gehörte zur Gruppe 47 der deutschen Nachkriegsliteratur. „Brot und Spiele“ erschien 1959 und beginnt, wie so viele Bücher aus dieser Zeit, mit den letzten Kriegstagen. Dann Gefangenschaft, Heimkehr, Suche nach Arbeit und überraschenderweise Sport als Chance.

Bert Buchner, um den es hier geht, gewinnt Wettkämpfe mit einer mörderischen Lauftaktik. Andere sind im Endspurt stärker, also setzt er sich vom Start weg an die Spitze, läuft dann mit wiederholten Zwischensprints genug Vorsprung heraus, sodass die schnelleren Schlusssprinter ihn auf der letzten Runde nicht mehr einholen können. Das widerspricht jeder Vernunft; zählt beim Langlauf doch nichts mehr als die effiziente Einteilung der Kräfte, das konstante Tempo. Der erste Kilometer genau so schnell wie der letzte und wie jeder Kilometer dazwischen. Das läuft man mit sich selbst, nicht gegen andere.

Man Braucht nur sein Herz

Turnvater Lunz, der alte Trainer vom Hafensportverein, der Bert Buchner zuerst aufnimmt, sagt: „Die größte Disziplin wird immer der Lauf bleiben. Und es ist außerdem eine genügsame Disziplin, denn man braucht keine Geräte und keine Hilfsmittel, man braucht nur sein Herz.“ Buchner siegt und siegt, wechselt den Verein, wird gefördert und berühmt, scheidet dann wegen Verletzung lange aus und will es bei der Europameisterschaft im 10.000-Meter-Lauf noch einmal allen zeigen.

Zur Hälfte des Laufs führt Buchner mit dreißig Metern Vorsprung, es ist die schnellste Zwischenzeit, die er je gelaufen ist. „Aber die Hälfte der Strecke ist nicht die Hälfte des Laufs,“ das weiß der Sportreporter, dem der Krieg eine Hand geraubt hat und der uns die ganze Geschichte erzählt. Selbst wenn die Beine selber denken und sie jederzeit wissen, was hinter ihnen und noch vor ihnen liegt: „Die letzten Runden zählen doppelt und mehr als doppelt und für manchen waren die beiden letzten Runden schlimmer als die dreiundzwanzig Runden des Anfangs.“

Der größte Gegner: Die Stoppuhr

Doch was ist der große Vorsprung zur Hälfte wert (auf der Bahn und im Leben)? Bei den Olympischen Spielen von Paris 1924 gewann Paavo Nurmi fünf Goldmedaillen, insgesamt wurden es in seiner Laufbahn sogar neun. Aber Nurmi lief auch nicht gegen die anderen auf der Bahn, so jedenfalls schreibt es Siegfried Lenz: „Nurmi trug seinen größten Gegner in der Hand: die Stoppuhr, auf die er während des Laufs blickte. Nur diesen Gegner erkannte er an, gegen ihn lief er, gegen seine eigenen Rekorde.“ Ob das so stimmt? Auf alten Bildern ist nicht zu erkennen, ob Nurmi tatsächlich beim Wettkampf mit Stoppuhr lief, aber das ist ja auch egal. Welcher Vorsprung im Laufen zähle denn etwas – doch nur der auf jede eigene, frühere Zeit, „jeder andere Vorsprung ist nicht viel wert.“ Runde um Runde geht der Lauf auf der Aschenbahn, Buchner immer vorne. Und es wird immer deutlicher: Es gibt das Brot und es gibt die Spiele, im Laufen wie im Leben; man sollte das nicht verwechseln.

Und jetzt die letzten vier Runden, „vier Runden, die einen Untergang bereithalten und einen Sieg,“ weiß der Sportreporter. Bert Buchner immer noch mit zwanzig Metern Vorsprung, im Rücken die beste Zwischenzeit, die er je erreicht hat, aber „wann wird er für seinen Wahnsinn bezahlen?“

Siegfried Lenz: „Brot und Spiele“, Zuerst erschienen 1959. ISBN 3-423-00233-6. Als Taschenbuch preiswert in Antiquariaten erhältlich, z.B. bei booklooker booklooker.de

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