Welterbe vor dem Untergang
Von Klaus Nissen
Bevor es Computer gab, wurden Schriften in Blei gegossen und auf Papier gedruckt. Wer eine neue Schriftart erfand, brauchte einen Schriftgießer, der die Buchstaben vervielfältigte. Das kann nur noch einer: Rainer Gerstenberg, 77 Jahre alt aus Frankfurt. Doch seine Kunst wird mit ihm sterben, wenn der Staat nicht handelt.Tausend Tonnen Schriftguss für den Schrott
Der alte Herr sitzt in seinem riesigen Garten und hört Rockmusik. Sein Besucher hat sich verspätet – das Wohnhaus von Rainer Gerstenberg am Südrand von Frankfurt ist nicht leicht zu finden. Als er endlich kommt, freut sich der Mann mit den weißen, zurückgekämmten Haaren sichtlich, dass da einer Interesse an seinem Schatz hat.
Der 77-Jährige steht auf. Er geht kerzengerade durch die pikobello gepflegte Grünanlage („das ist mein Ausgleichssport“) und schließt die Tür zu einem niedrigen Häuschen auf. Dahinter liegt eine voll eingerichtete Foliendruck-Werkstatt. „Die hab ich früher nebenbei betrieben. Jetzt kommt das ja alles aus China.“
Die Schatzkammer liegt dahinter: ein Zwölf-Quadratmeter-Raum voller flacher Schubladen. Darin liegen nach Größe sortiert die Prägetypen der Diethelm-Antiqua und der Newberry-Detterer in selbst geschreinerten Holzkästchen. Es sind die lateinischen, arabischen und auch chinesischen Buchstaben und Schriftzeichen, die seine Kunden in Europa, den USA und Asien am häufigsten nachfragen. Auf der ganzen Welt kann nur noch Rainer Gerstenberg solche Blei-Schriften ergänzen oder neu gießen.
Die weltgrößte Schriftensammlung soll weg
Genauer: Er könnte es. Wenn er noch an seine 53 Schriftguss-Maschinen und die etwa tausend Tonnen schwere, weltgrößte Maternsammlung heran käme. Die stehen 28 Kilometer südlich an der Kirschenallee 88 in Darmstadt. „Seit dem 1. Januar 2024 darf ich in meiner Werkstatt nicht mehr arbeiten“, klagt Rainer Gerstenberg.
Martin Faass, der Direktor des Hessischen Landesmuseums, hat die Druck- und Schriftgussabteilung in der ehemaligen Möbelfabrik geschlossen. Ihr droht nun die Verschrottung. Bauliche Mängel machten eine weitere Nutzung zu gefährlich, hieß es zur Begründung. Gerstenberg sieht das ganz anders. Erst um die Jahrtausendwende seien neue Böden in den denkmalgeschützten vierstöckigen Ziegelbau eingezogen worden.
Wohin mit all den Matern und Schriftguss-Maschinen? Allein der Umzug würde eine sechsstellige Summe kosten, schätzt Rainer Gerstenberg. Das sei dessen privates Problem, meint Museumsdirektor Faass auf Anfrage. Ähnlich klingt die Antwort aus dem Haus des hessischen Wissenschaftsministers Timon Gremmels (SPD).
Dabei sind die Matern, die Maschinen und Gerstenberg selbst als letzter Meister seiner Kunst ein Welterbe der Menschheit, findet Dorothee Ader. Die Direktorin des Klingspor-Museums in Offenbach sagt. „Der Schriftguss ist die wesentliche Erfindung, die Gutenberg machte.“ Man müsse ihn für die Nachwelt erhalten.
Die Stadt Offenbach scheint grundsätzlich bereit zu sein, Gerstenbergs Schatz zu übernehmen. Vorausgesetzt, der Meister kann sofort beginnen, mindestens einen jungen Menschen auszubilden. Dorothee Ader hat Geld dafür aufgetrieben und auch einen Kandidaten. Aber dafür müssten Meister und Azubi in der gesperrten Werkstatt arbeiten dürfen. „Es hängt total in der Luft“, seufzt die Klingspor-Direktorin. Die Zeit drängt. Wie lange bleibt Rainer Gerstenberg noch fit?
Der Meister hat einen Plan B. Einmal im Jahr fährt er für eine Woche nach Douai. In der französischen Nationaldruckerei an der belgischen Grenze zeigt er einem jungen Mann, wie man Schriften gießt. Aber da gibt es nur einen begrenzten Maschinenpark. Die vielen auf den Didot-Punkt bezogenen Schriften kann man dort nicht herstellen. Rainer Gerstenberg setzt sich wieder auf seinen Gartenstuhl und schüttelt den Kopf. „Es ist ein Dilemma“.
Wäre die Weitergabe des Wissens und die Sicherung des Bestandes nicht eher eine Aufgabe für das Gutenberg Museum in Mainz?
Meines Wissens gibt es im Hessenpark ein Haus mit Bleisatz ect.
Vielleicht kann man kooperieren.
Den Leiter Jens Scheller mal anfragen.