Rechtsextremismus

Hoher Aufklärungsbedarf

In ihrem Buch „Rechter Terror in Hessen – Geschichte, Akteure, Orte“ beschreiben Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt die Spur der Gewalt, die rechte Täter seit 1945 in Hessen hinterlassen haben. Am Donnerstag, 11. April 2024, stellen sie ihr Buch in Oberursel vor. Im Interview mit dem Landboten ziehen die beiden Bilanz ihrer bisherigen Veranstaltungen

Das Publikum ist sehr interessiert

Landbote: Wie lange seid Ihr schon auf Lesetour und wie viele Veranstaltungen waren es bisher?

Yvonne: Einzelne Vorträge haben wir bereits vor Erscheinen des Buches gehalten, aber unsere Lesetour, wenn man das so nennen mag, begann direkt mit der Veröffentlichung des Buches Ende März 2023. Seitdem haben wir rund 40-mal unsere zentralen Erkenntnisse aus unserem Buch vorgestellt, an allen möglichen Orten in Hessen, von Lampertheim bis Gieselwerder, von Wiesbaden bis Fulda. Wir waren in fast allen größeren hessischen Städten. Aber auch in kleineren Städten und Orten, wie Ginsheim-Gustavsburg, Melsungen oder Altenstadt. Dabei durften wir in ganz unterschiedlichen Räumen vortragen: von der Synagoge in Pfungstadt, über eine linke Buchhandlung in Frankfurt oder einem Kulturzentrum in Wiesbaden bis zu einer Kegelbahn in Lampertheim. Eingeladen wurden wir von vielen verschiedenen Veranstaltern: beispielsweise von Initiativen gegen Rechts, Gewerkschaften, Stiftungen, Universitäten oder kommunalen Demokratieförderprogrammen. Dementsprechend heterogen war auch das Publikum.

Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt. (Foto: privat)

Wie ist die Resonanz?

Sascha: In Bezug auf die Veranstaltungen lässt sich sagen, dass die meisten sehr gut besucht waren. Die Spanne bewegt sich zwischen 25 und 80 Besucher*innen. Lediglich ein, zwei Veranstaltungen waren weniger gut besucht. Was uns besonders freut: das Publikum ist meist sehr interessiert. Der Part mit Nachfragen und Diskussion nach den Vorträgen wird eigentlich immer ausgeschöpft – meist eine volle Stunde oder länger.

Yvonne: Auch in Bezug auf das Buch sind wir sehr zufrieden mit der Resonanz. Es gab eine Reihe von Rezensionen, die durch die Bank weg positiv sind und unsere Arbeit wertschätzen. Wir konnten Passagen aus unserem Buch auf einer Doppelseite der Frankfurter Rundschau veröffentlichen und wurden für Interviews und Podcasts angefragt. Im offiziellen Buchhandel wurden im letzten Jahr über 1.000 Bücher verkauft. Hinzu kommen 500 Exemplare, die der DGB in einer Sonderauflage für seine Ehrenamtlichen hatte drucken lassen. Und auch die Hessische Landeszentrale für politische Bildung hat unser Buch in einer Sonderauflage in ihr Programm aufgenommen.

Fragen zum Umgang mit der AfD

Haben sich die Correctiv-Enthüllungen über die Abschiebepläne der AfD auf die Veranstaltungen ausgewirkt?

Sascha: Nicht besonders intensiv mit Blick auf Anfragen für die Buchvorstellung. In den Diskussionen ist das aber immer wieder Gegenstand der Fragen. Aber es kamen seitdem vermehrt Anfragen für Vorträge zum Umgang mit der AfD. Die richteten sich dann eher an mich. Vermutlich, weil ich mich schon seit Gründung der AfD stark mit der Partei befasse und im Magazin „der rechte rand“ regelmäßig auch zur hessischen AfD geschrieben habe. Die Anfragen kamen vor allem aus Gewerkschaften, aber auch von Parteien.

Haben Euch die Diskussionen nach den Lesungen neue Erkenntnisse gebracht? Wenn ja, welche?

Sascha: Das spannende für uns an Fragen und Diskussionsbeiträgen sind weniger neue Erkenntnisse. Aber die Diskussionen bringen uns dazu, immer wieder neu darüber nachzudenken, wie wir unsere Fälle und Erkenntnisse erzählen, um die Punkte rüberzubringen, die uns wichtig sind. Es gibt Aspekte, die immer wieder auftauchen. Beispielsweise haben viele Teilnehmende der Veranstaltungen Schwierigkeiten die Täter – insbesondere was die letzten Jahre angeht – einzuordnen und Differenzen hinsichtlich der politischen Herkunft wahrzunehmen. Nicht alle Täter sind beispielsweise organisierte Neonazis. Das Milieu hat sich verbreitert.

Was nahezu in jeder Veranstaltung deutlich wird, ist ein großes Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden. Insbesondere vor dem Hintergrund der vielen Fälle von rechten Chat-Gruppen, in denen hessische Polizeibeamte sich menschenverachtend bis nationalsozialistisch artikuliert haben oder im Fall der Drohschreiben, die mit NSU 2.0 unterschrieben waren. Und nicht zuletzt drückt sich dieses Misstrauen hinsichtlich der Arbeit des Verfassungsschutzes, aber auch der Ermittlungsbehörden in Bezug auf die Nicht-Aufklärung im NSU-Komplex und dem Gefühl, nicht ausreichend über rechte Gewalttaten und Strukturen informiert zu werden, aus.

Was hat Euch am meisten beeindruckt?

Yvonne: Am allermeisten beeindruckt hat uns, dass unser Buch beziehungsweise ein Vortrag zu unserem Buch in Darmstadt dazu geführt hat, dass im Februar zum allerersten Mal eine Gedenkveranstaltung für den vor 30 Jahren aus rassistischen Motiven ermordeten Ali Bayram stattgefunden hat. Eine sehr engagierte Stadtverordnete, Kerstin Lau von der Fraktion Uffbasse, hatte unseren Vortrag besucht und einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung gestellt, dass die Stadt ein solches Gedenken ausrichten soll. Das wurde dann einstimmig beschlossen und – in Absprache mit den Angehörigen – durchgeführt. Sascha und ich durften drei der Kinder Ali Bayrams im Rahmen eines Couchgesprächs bei der Gedenkveranstaltung interviewen. Auch wenn der Anlass sehr traurig war und es sehr schlimm ist, was die Familie erlebt hat: Für uns war diese beeindruckende und sehr berührende Veranstaltung definitiv der Höhepunkt von allem, was bislang im Kontext unserer Buchveröffentlichung passiert ist.

Neben dieser Gedenkveranstaltung haben uns auch Besucherzahlen an manchen Veranstaltungsorten beeindruckt, wie beispielsweise in Altenstadt, wo sich an einem heißen Sommertag rund 80 Personen in einen viel zu kleinen Raum gequetscht hatten, um unseren Vortrag zu hören.

Sind extrem Rechte in den Veranstaltungen aufgetreten? Wenn ja, wie?

Sascha: Tatsächlich war dies auch bei der Veranstaltung in Altenstadt, im Gemeindehaus der Waldsiedlung, der Fall. Das war bisher der einzige Fall, an dem unseres Wissens nach Personen aus der extremen Rechten in der Nähe des Veranstaltungsortes waren. Es handelte sich um die beiden Landesvorsitzenden Stefan Jagsch und Daniel Lachmann von der Partei „Die Heimat“, also der NPD, die nun unter einem neuen Namen agiert. Die Veranstalter*innen hatten diesbezüglich aber gut vorgesorgt und mit einer Ausschlussklausel die rechtliche Grundlage dafür gelegt, dass Personen aus der extremen Rechten nicht teilnehmen konnten.

In Butzbach waren Personen aus dem Corona-Leugner-Spektrum anwesend. Obwohl wir deren mehr als tendenziösen Fragen sachlich beantwortet haben und auch Nachfragen zugelassen hatten, beschwerten sie sich in mehreren Leserbriefen in der Butzbacher Zeitung über die Veranstaltung und eine vermeintliche ungerechte Behandlung ihnen gegenüber. Da eine der Personen dieser Gruppe unwahre Behauptungen über unsere Arbeit formuliert hatte, mussten wir mit einer Gegendarstellung in der Butzbacher Zeitung reagieren. Es ging ihnen letztlich aber weniger darum, uns etwas vorzuwerfen, als das dortige „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ zu diskreditieren.

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Sascha Schmidt ist Politikwissenschaftler, aktiv im „Beratungsnetzwerk Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremimsus“ sowie Mitarbeiter des DGB Hessen-Thüringen und regelmäßiger Autor des Magazins „der rechte rand“.

Yvonne Weyrauch ist Politikwissenschaftlerin und Dozentin für politische Bildung sowie aktiv im „Beratungsnetzwerk Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.

Ihr Buch stellen die beiden am Donnerstag, 11. April 2023, um 18 Uhr im Kulturcafé Windrose, Strackgasse 6, in Oberursel vor. Der Eintritt ist frei.

Sascha Schmidt, Yvonne Weyrauch: „Rechter Terror in Hessen – Geschichte, Akteure, Orte“, Wochenschau Verlag, Taschenbuch, 400 Seiten, ISBN: 978-3-7344-1562-3, 29,90 Euro

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Die Fragen wurden per E-Mail gestellt und auch so beantwortet

2 Gedanken zu „Rechtsextremismus“

  1. Wie schon am Rande der Veranstaltung erwähnt, könnte das nächste Buch über die Infiltration des Staatsapparats durch Rechtsextremist: innen sein. Von Mitarbeitenden im Bundestag, über Richter: innen, über Polizei, Bundeswehr etc. Was wurde aus den 5 Polizist:innen des Ersten Polizeireviers in Frankfurt, die wegen rassistischer Chats in ihrer Gruppe vom Dienst suspendiert wurden- bei vollen Bezügen! Die Liste ist lang und gehört gebündelt veröffentlicht. Und das im Zusammenhang der historischen Verstrickung von Altnazis , die ihre Netzwerke seit Gründung der Bundesrepublik hegten und pflegten….

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