Querdenker

Lautstark durch die Innenstadt

Von Klaus Nissen

Man solle den Protestzug der Querdenker einfach ignorieren, haben Bürgermeister Klaus Kreß und sein Stellvertreter Peter Krank vorab empfohlen. Aber das geht nicht. Laut und teils aufdringlich ziehen rund 250 Menschen am Samstagmittag, 21. Januar 2022 zwei Stunden lang durch Bad Nauheim. Die Reaktionen der Passanten sind sehr unterschiedlich.

Querdenker verteilen Luftballons

Was machen Querdenker, wenn sie sich vor der Demo auf dem Wellenbad-Parkplatz treffen? Sie umarmen ihre Freunde, die sie von den anderen Umzügen in Büdingen, Gelnhausen, Ortenberg und Bad Nauheim kennen. Dann laufen sie über den Parkplatz und zerreißen all die „Nazis raus“-Schilder, die die Antifa zuvor an den Lampenmasten befestigt hat.

Mit Luftballons, Getrommel und Transparenten mit teils kryptischen Parolen machen die Querdenker am Samstagmittag in Bad Nauheim auf sich aufmerksam. Fotos: Nissen

„Hier gibt es keine Rechten, keine Radikalen!“, ruft ein älterer Herr später beim Umzug durch sein Megafon. Ein paar Meter vor ihm spaziert der NPD-Landesvorsitzende Daniel Lachman durch Bad Nauheim. Der plaudert dabei entspannt mit seinen Freunden. Vor ihm tragen junge Männer ein schwarzes Transparent, auf dem in Frakturschrift groß „Preußen gegen Nazis“ prangt.

Aufruf zum Steuer-Boykott

Nicht nur dieses Transparent hinterlässt beim Betrachter Fragezeichen. „Kinder ohne Maßnahmen – wer schweigt, stimmt zu“ lautet eine weitere Parole. Oder: „Werdet endlich wach – informiert Euch!“ Das ist aber nicht so einfach. Der ältere Herr mit dem Megafon hält einem Zaungast an der Parkstraße ein dickes Buch vors Gesicht. Das müsse er lesen, fordert er. Es heißt „Impfen – das Geschäft mit der Angst.“

Ein ganz anderes Thema treibt eine Frau im selben Protestzug um. Seit 2003 seien alle Deutschen nicht mehr Eigentümer ihrer eigenen Autos, ruft durch ihr Megafon. „Warum soll ich dann Steuern zahlen für ein Auto, das ich nur fahre, aber nicht besitze?“ Sie findet keinen Widerspruch. Wer zahlt schon gerne Steuern? Eingängig auch die immer wieder skandierte Forderung „Für die Kinder für die Liebe, für den Frieden auf die Straße!“

Mit Megafon und Leuchtweste führt der Versammlungsleiter Jochen Amann die Querdenker-Demonstration durch Bad Nauheim. Der 53-jährige Büdinger ist seit Jahren in Protestbewegungen aktiv. Die Auseinandersetzung mit der Bad Nauheimer Ordnungsbehörde ließ er einen Anwalt führen, der sonst für die NPD arbeitet.

Zu Beginn des Umzugs hat Jochen Amann (ein auf der AfD-Liste gewählter Stadtverordneter aus Büdingen) weitere Losungen ausgegeben: „Wir müssen von dieser Testerei wegkommen – sonst werden wir die Pandemie nie mehr los!“ Man sei auch gegen die Digitalisierung. Sie diene ja dazu, jeden Menschen zu kontrollieren. Außerdem solle Deutschland keine Waffen mehr an die Ukraine liefern, so Amann. In der Menge erläutert ein Mann mit weißem Rauschebart: Putin habe die Ukraine ja nur angegriffen, um den seit acht Jahren währenden Krieg im Donbass zu beenden, erläutert

Der Strauß der Forderungen hat sehr unterschiedlich aussehende Leute nach Bad Nauheim gelockt. Einige Hippies sind dabei, andere wirken wie rüstige Rentner oder Handwerker. In der Menge ziehen auch junge Familien mit Kinderwagen durch Bad Nauheim. Neun Männer und Frauen bearbeiten die Trommeln und Tambourine vor ihren Bäuchen. Sechs Schlaginstrumente hat das Ordnungsamt genehmigt. Zusätzlich erzeugen ein Kochtopf, eine Kuhglocke und zwei Vuvuzelas beträchtlichem Lärm, der sich besonders in den engen Altstadtgassen der Schmerzgrenze nähert.

Winke-Herzen kommen bei Passanten gut an

Wer dort verwundert stehenbleibt oder aus dem Fenster guckt, bekommt von den Demonstranten einen roten Luftballon oder ein Papier-Herzchen am Stock in die Hand gedrückt. Da hellen sich die Gesichter auf, und vor allem die Kinder winken fröhlich dem Umzug zu. An der Weinbergstraße steht noch nach dem Abzug der Demonstranten ein alter Herr lächelnd mit seinem Winkelement am Hoftor. Ob er wisse, wofür oder wogegen die Leute demonstrieren? Er schüttelt den Kopf. An der Mittelstraße hat ein kleiner Junge ebenfalls ein Winke-Herz bekommen. Der Vater nimmt es ihm ab und bricht das Stöckchen in kleine Teile.

Es gebe keine Rechtsradikalen im Protestzug, wird per Megafon verkündet. Dabei spaziert der NPD-LandesvorsitzendeDaniel Lachmann (im karierten Hemd) mit Gesinnungsfreunden plaudernd im Umzug mit.

An der Esso-Tankstelle Friedberger Straße begleitet ein Gassi-Gänger mit weißem Pudel die Querdenker ein Stück des Wegs. Er grinst und singt ihnen zu: „Ihr könnt nach Hause gehen, Ihr könnt nach Hause gehn..“ Ein Stück weiter findet eine Autofahrerin das Ganze weniger witzig. Sie steigt aus und beschwert sich bei dem alten Mann, der in seinem roten Honda die Einfahrt von der Hochwald- in die Homburger Straße blockiert. Mit einem roten Winkelement in der Hand will er der Polizei helfen, die Demonstrationsroute frei zu halten. „Geh weg!“ herrscht er die unzufriedene Autofahrerin an.

Um 14 Uhr erreicht der Protestzug wieder den Parkplatz vor dem Usa-Wellenbad. Versammlungsleiter Amann lächelt zufrieden. Der Umzug wirkte durch seine Länge, den Lärm, die vielen Ballons und Transparente mächtiger als er wirklich war. Die genaue Zählung ergibt nicht ganz 250 Protestler. Rund 600 waren erwartet worden.

2 Gedanken zu „Querdenker“

  1. Hallo Klaus,
    mir hat an deinem Artikel besonders gut gefallen, dass du ohne Polemik ausgekommen bist, und dass du nicht ausgeteilt hast.
    Mit einer Bekannten habe ich heiß über die Demo diskutiert. Sie beschwerte sich, dass nicht über die Eröffnungsrede geschrieben wurde. War da was von Bedeutung?
    Viele Grüße Peter Mahla

    1. Nein, über die zitierten Aussagen Volker Amanns hinaus gab es keine besonderen Aussagen. Beim Umzug durch Bad Nauheim gab es auch keine Kundgebung mit Reden. Sondern einfach nur Lärm und ein paar Parolen.

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